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Filme im Kino

MoX Kino-Tipps KW4322.10.2024













Anora
USA ´24: R: Sean Baker. Ab 31.10. Wertung: ***** Bild:

Anora (Madison), kurz Ani, lebt im New Yorker Stadtteil Brooklyn und arbeitet als Stripperin, Tabledancerin und Callgirl im HQ, einem Stripclub in Manhattan. Da sie aufgrund ihrer usbekischen Wurzeln russisch spricht, wird ihr eines Abends das Oligarchen-Söhnchen Iwan (Eydelshteyn) als Kunde zugeteilt. Der 21-Jährige ist von Anis hingebungsvoll laszivem Körpereinsatz so begeistert, dass er ihre Dienste bald auch privat bucht. Und nachdem dem Escort-Girl solch lukrative Anfragen nicht alle Tage unterkommen, lässt sich Ani routiniert-motiviert auf eine rauschhafte, wilde Woche mit ihrem verwöhnten, dauergeilen Spezialkunden ein, die man kurz vorm Jahreswechsel in der New Yorker Dependance von Iwans abwesenden Eltern verbringt. Das sündige Treiben in jener extravaganten Villa in Brighton Beach mit standesgemäßem Wasserblick mündet dann in eine Einladung auf ein paar Tage nach Las Vegas ein, die das Pärchen im Privatflieger antritt. Gipfelt dort in einem Antrag, den Iwan seiner beglückten Begleitung macht. Keine Frage, dass Ani da eine finanziell sorgenfreie Zukunft vor sich sehend ja sagt. Als dann ihre Schwiegereltern von der überstürzten Heirat des Sohnemanns „mit einer Prostituierten“ Wind bekommen, sind Iwans Alte entsetzt. Beauftragen ihren Kontaktmann in den USA, den Priester Toros (Karagulian), der auch früher schon Fehltritte des missratenen Muttersöhnchens ausbügeln durfte, die beiden Turteltäubchen aufspüren zu lassen und sie zu zwingen, ihre Ehe umgehend zu annullieren. Toros  schickt zwei seiner Brutalos in die Spur, die allerdings weder damit rechnen, dass Iwan hasenfüßig Reißaus nimmt, geschweige denn, dass Ani keinesfalls gewillt ist, ihre Option auf ein besseres Leben einfach so auf Druck durch Garnick (Tovmasyan) und Igor (Barisov) herzugeben.
Was folgt: Eine turbulente Auseinandersetzung von Toros Handlangern mit einer Ehefrau, die gemäß dem Wunsch von Iwans Eltern bald schon keine mehr sein soll – inszeniert als eine Art screwball-comedy auf den Spuren von Preston Sturges und Ernst Lubitsch. Wobei Independent-Filmer Sean Baker vom Start weg virtuos die Balance zwischen schriller Komik, Drama und Tragödie hält, die sämtliche Beteiligten dazu nötigt, sich auf die Suche nach Anis abgängigem Gemahl zu begeben. Dabei kann man nie sicher sein, ob diese als sex-deftig märchenhafte „Pretty Woman“-Modifizierung auftaktende Chaos-Dramedy nicht bös´ enden wird. Allerdings hat Indy-Regiedarling Baker in bislang all seinen Filmen ein Herz für Außenseiter und Randexistenzen bewiesen, galten seine Sympathien stets jenen, die abseits geltender Normen ihren Alltag behaupten und ums Überleben kämpfen – angefangen mit „Starlet“ anno 2012 und jenem ungeschönten Blick aufs Porno-Business im San Fernando Valley, über die 15er Buddy-Comedy „Tangerine“, in der es um transgender-Sexarbeiter in Los Angeles geht, gefolgt von der ´17er Milieustudie „The Florida Project“, in deren Mittelpunkt eine alleinerziehende Mutter für sich und ihre Tochter die Brötchen als Gelegenheitsprostituierte verdient, hin zum ´21er in Texas angesiedelten „Red Rocket“, der uns das Leben eines Ex-Porno-Stars näher bringt. Zugegebenermaßen ist der Spurwechsel weg vom gleichermaßen fordernden wie ernüchternden Alltag der Sexworker hinüber in die dekadente Welt der Oligarchen ein riesiger, setzt die Regie deren Sorglosigkeit gegenüber jedweden Konsequenzen und ihre beinharte Ausbeutungsmentalität mit dem Weltbild von Sklavenhaltern oder verzogenen Kindern gleich. Da sich Regisseur Baker nach wie vor als Humanist zeigt, muss man nicht lange rätseln, wem seine Sympathien gelten – gut zu wissen für´s „Anora“-Finale. Und verständlich, dass diesem Kino-Juwel  im Frühjahr zurecht der Hauptpreis des Filmfestivals von Cannes zugesprochen wurde.
D: Mikey Madison, Mark Eydelshteyn, Yura Borisov, Karren Karagulian, Vache Tovmasyan.


The Room next Door
USA `24: R: Pedro Almodóvar. Ab 24.10. Wertung: **** Bild:
Bei der Arbeit für ein und dieselbe Zeitschrift haben Ingrid (Moore) und Martha (Swinton) einander einst zu Beginn ihrer Karriere kennen und schätzen gelernt. Doch dann verloren sie sich aus den Augen, brillierte Ingrid als erfolgreiche Schriftstellerin, während Martha als Kriegsreporterin Aufsehen erregte. Dass die einstige Freundin mittlerweile schwer an Krebs erkrankt ist, lässt Ingrid – kaum dass sie davon hört - umgehend bei Martha im Krankenhaus vorbeischauen. Sie spricht der lange nicht gesehenen Todkranken Mut zu – was diese alsbald dazu bringt, eine ungewöhnliche Bitte zu äußern. Da die letzte Therapie nicht anschlug, möchte Martha ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen und wünscht sich dabei eine Vertraute in der Nähe. Zu ihrer Tochter hat die Lebensmüde keinen Kontakt mehr, ihre sonstigen Bekannten haben bereits abgelehnt. Nach anfänglichem Zögern und gegen den Rat eines vertrauten Freundes willigt Ingrid ins geplante Vorhaben der Krebspatientin ein, beziehen die beiden Frauen Quartier in einem Haus weit außerhalb von Manhattan gelegen. Die Tage bis zu Marthas selbstbestimmtem Tod verbringt man mit Spaziergängen, Filmabenden, Gesprächen über Gott und die Welt…
Basierend auf einer Romanvorlage der US-amerikanischen Autorin Sigrid Nunez widmet sich die spanische Regie-Größe Pedro Almodóvar in seinem ersten englischsprachigen Spielfilm dem schweren Thema Sterbehilfe. Zwar taktet der Film ermüdend wortlastig auf, entwickelt sich dann aber zu einer Geschichte über gegenseitiges Verständnis, das von dem ungleichen, aber loyalen Freundinnen-Gespann - überragend durch Julianne Moore und Tilda Swinton verkörpert – zum leidenschaftlichen Plädoyer für Sterbehilfe ausgebaut wird.
D: Julianne Moore, Tilda Swinton, John Turturro, Alessandro Nivola, Juan Diego Bolto, Raul Arevalo, Victoria Luengo.


Venom: The Last Dance
USA ´24: R: Kelly Marcel. Ab 24.10. Vorankündigung

Nach „Let there be Carnage“ gibt Tom Hardy zum dritten und voraussichtlich letzten Mal den Reporter Eddie und seinen außerirdischen Parasiten Venom: Inzwischen sind die beiden auf der Flucht, eine Verbindung zu Spider-Man und ein Paralleluniversum spielen dabei eine entscheidende Rolle. Gejagt von Verfolgern aus ihren jeweiligen Welten zieht sich die Schlinge immer enger zu – und zwingt das Duo zu einer verheerenden Entscheidung, die den Vorhang für Eddies und Venoms buchstäblich letzten Tanz fallen lassen wird. Geradezu spektakulär handeln die Macher des Actioners den Auftritt jenes Super-Bösewichts, auf den die Fans des SSU und des MCU lange und händeringend gewartet haben: Knull! Countdown läuft…
D: Tom Hardy, Chiwetel Ejiofor, Juno Temple, Rhys Ifans, Peggy Lu.


Tandem – In welcher Sprache träumst Du?
Frankreich/Deutschland/Belgien ´24: R: Claire Burger. Ab 24.10. Wertung: *** Bild:
Fanny (Grasmug) hofft darauf, dem Mobbing an ihrer Straßburger Schule sowie familiären Spannungen für ein Weilchen zu entkommen, indem sie im Rahmen eines Sprachprogramms bei ihrer deutschen Austauschpartnerin Lena (Heinsius) in Leipzig vorbeischaut. Doch diese ist an dem Besuch aus Frankreich kein bisschen interessiert, weshalb sich zu Fannys Ankunft am Hauptbahnhof einzig Lenas Mutter (Hoss) als Begrüßungskomitee einstellt. Wie unwillkommen deren Tochter ihr Gast ist, lässt Lena Fanny dann auch in den nächsten Tagen immer wieder spüren – einerseits, indem sie mit ihrem Gast weder Französisch sprechen will, noch andererseits einen Gegenbesuch in Straßburg im Sinn hat. Glücklicherweise finden die beiden 17-Jährigen einander dann nach diesem verunglückten Start doch noch ganz nett, entsteht zwischen ihnen eine Verbundenheit, die spätestens bei Lenas Gegenbesuch in Frankreich in eine LIebesbeziehung einmünden könnte. Da sich Fanny aber noch in Deutschland die Geschichte ihrer in Wahrheit gar nicht existierenden politisch aktiven Halbschwester ausgedacht hatte, um der sich politisch links verortenden deutschen Freundin näher zu sein, kommt diese Flunkerei im Rahmen von Lenas Straßburg-Aufenthalt zwangsläufig ans Licht – und stellt die Beziehung der beiden Mädels auf eine harte Belastungsprobe, um nicht zu sagen in Frage.  Da dem Drehbuch dieser Erzählstrang einer jungen Liebe leider zu wenig ist, überfrachtet man die Coming-of-Age-Mär zudem mit Gegenwartsthemen wie veganer Ernährung, Klimawandel, anschwellendem Rechtsextremismus bis hin zu Fannys Außenseiterstatus an ihrer Schule; zu viel des Guten für ein ansonsten stimmig besetztes Jugendportrait am Puls der Zeit.
D: Lilith Grasmug, Josefa Heinsius, Nina Hoss, Chiara Mastroianni, Jalal Altawil.


Münter & Kandinsky
Deutschland ´24: R: Marcus O. Rosenmüller. Ab 24.10. Wertung: *** Bild:
Wenn Frauen hierzulande zu Beginn des 20. Jahrhunderts Kunst studieren wollten, gab es nur die Möglichkeit, sich an einer privaten Kunstschule unterrichten zu lassen, da staatliche Hochschulen ausschließlich den Männern offen standen. Zum Glück für die junge kunstversessene Gabriele Münter (Loibl) erwies sich ihr Dozent Wassily Kandinsky (Burlakov) an der Münchner Privatschule ab 1901 als jemand, der sich der aufkommenden Klassischen Moderne gegenüber aufgeschlossen zeigte. Obwohl er  verheiratet war, verliebten sich Dozent und Schülerin im Nu ineinander. Natürlich wurde diese Liaison nur in Künstlerkreisen nicht als Skandal betrachtet – was allerdings weder die stürmische Gabriele noch ihren älteren intellektuellen Dozenten und Liebhaber groß interessierte. Stattdessen versprach er ihr fortwährend, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, woraufhin Gabriele in Murnau am Staffelsee ein Haus kauft, für das sie gutgläubig ihr elterliches Erbe opfert. Dort leben und arbeiten die beiden Künstlernaturen jahrelang gemeinsam, entwickeln sie mit Seelenverwandten wie Franz Marc(Klare) und Paul Klee (Koechlin) ihre jeweiligen Malstile weiter. Während Wassily sich hin zum Abstrakten entwickelt, setzt Gabriele auf Reduktion. Der erste Weltkrieg trennt das Paar, sie feiert Erfolge in den kriegsneutralen Ländern Dänemark und Schweden, hofft dort auf eine Fortsetzung des gemeinsamen Lebens mit dem inzwischen geschiedenen Russen Kandinsky. Doch Wassily kehrt in seine einstige Heimat zurück und heiratet dort eine andere Frau – was die düpierte Gabriele erst mit der Zeit halbwegs verdauen kann.
Das konventionell inszenierte Biopic beschränkt sich auf die gemeinsamen Jahre Gabriele Münters mit Wassily Kandinsky, bringt uns ihre Kunst näher – und spiegelt somit zumindest die Atmosphäre des beginnenden 20. Jahrhunderts gekonnt wider.
D: Vanessa Loibl, Vladimir Burlakov, Julian Koechlin, Felix Klare, Monika Gossmann.


Riefenstahl
Deutschland ´24: R: Andres Veiel. Ab 31.10. Wertung: **** Bild:
In gut 7000 Kisten – bestückt mit Skripten, Briefen, Notizen, Filmschnipseln, Fotografien, privaten Super-8-Aufnahmen, Kassetten mit Telefonmitschnitten und diversen Entwürfen für ihre Memoiren – hortete Hitlers Vorzeige-Nazi-Künstlerin Leni Riefenstahl ihren Nachlass, der von der Dokufilmerin als Fundus begriffen wurde, um sich nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs jederzeit zur unpolitischen Person hochzustilisieren. Die riesige Materialsammlung wurde nach dem Tod der vor allem für die hyperästhetischen Dokumentarfilme „Triumph des Willens“ und „Olympia“ bekannten Visionärin von ihren Erben dem Archiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz überlassen. Dort sprach dann TV-Talkerin und Dokufilmerin Sandra Maischberger vor, die anno 2002 zum hundertsten Geburtstag der Riefenstahl ein aus ihrer Sicht unbefriedigendes Interview mit der hellwachen Greisin geführt hatte, um deren Nachlass checken zu lassen - und möglicherweise doch noch Erhellendes über diese Selbstdarstellerin par excellence entdecken zu können. Bezeichnend etwa, dass beispielsweise ein Interview, das Riefenstahl 1934 dem britischen Daily Express gewährt hatte, mit der Bekundung, Hitlers „Mein Kampf“ verschlungen zu haben, im Nachlass fehlte. Die Vermutung liegt nahe, dass die Riefenstahl das Bild von sich über ihren Tod hinaus prägen wollte – mit ein Grund, weshalb dem von Produzentin Maischberger mit der Erstellung eines dokumentarischen Films beauftragten Regisseur Andres Veiel auch in seiner jüngst in Venedig uraufgeführten Fleißarbeit kein entlarvender Blick hinter die Fassade des Lebens der Portraitierten gelingen kann. Wenn es ihr passte, hat die Riefenstahl ihre Lügen so lange wiederholt, bis diese von einem Großteil der Öffentlichkeit übernommen wurden. Die wichtigste Erkenntnis nach Betrachten von Veiels Doku: Dass  Riefenstahl den Prototyp von Fake News abgibt.
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