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Filme im Kino

MoX-Kinotipps KW 4907.12.2022

MoX-Kinotipps KW 49

Texte: Horst E. Wegener

She Said
USA ´22: R: Maria Schrader. Ab 8.12. Wertung: ****
Als sich im Frühjahr 2016 Gerüchte mehrten, Hollywoods Starproduzent Harvey Weinstein würde seine Machtposition benutzen, um Frauen aus der Branche sexuell zu belästigen, bittet die New York Times-Redaktion ihre Investigativjournalistin Jodie Kantor (Kazan), diesen Verdächtigungen auf den Grund zu gehen. Zunächst will allerdings keine der kontaktierten und durchaus auskunftsfreudigen Gesprächspartnerinnen namentlich zitiert werden, was das Verfassen eines Artikels unmöglich werden lässt. In ihrer Ratlosigkeit fragt Kantor bei der Kollegin Megan Twohey (Mulligan) nach, deren Recherche zu ähnlichen Übergriffen des damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump in der New York Times dank zitierfähiger Quellen zu einer vielbeachteten Artikelserie führte. Wie Twoheys Befragungsmethode den Trump-Opfern deren Zustimmung zur namentlichen Nennung abtrotzte, das könnte auch Kantors Hollywood-Reportage durchaus zu einem belastbaren Fundament verhelfen. Die beiden Journalistinnen bilden ein Team, um peu à peu aufzudecken, wie Weinstein agierte - und wie der Macho Druck ausübt auf alle, die im Nachhinein zu den von ihm offensiv abgestrittenen Missbrauchsvorwürfen öffentlich Stellung nehmen wollen. Nachdem sich ein ehemaliger Finanzvorstand von Weinsteins Produktionsfirma Miramax bereitfindet, über Schweigegeldzahlungen zu reden, hat das Reporterinnen-Duo endgültig die entscheidenden Trümpfe in der Hand, um belastbares Material in die Anklagetexte gegen den notorisch übergriffigen langjährigen Königsmacher bei den Oscars einzubauen. Während die #metoo-Bewegung weltweit Fahrt aufnimmt, melden sich immer mehr Weinstein-und-Co.-Opfer zu Wort…
Regisseurin Maria Schrader - zuletzt Lola-prämiert für „Ich bin dein Mensch“ -, zieht in ihrer ersten US-Spielfilmproduktion den Fokus sowohl auf Kantor und Twohey scharf als auch auf den Frauen, die misshandelt wurden und auf deren Geschichten; Weinstein selbst sieht man nur einmal kurz von hinten. Er steht als Sinnbild für ein mucho-Macho-System, für Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt. Stoisch geht Schrader auf die ermüdende Suche ihres Reporterinnen-Duos nach Wahrheit und Zeugen ein, die ihre Verdächtigungen erhärten sollen. Dabei lassen sich Kantor und Twohey weder durch wachsenden Druck von außen oder Bedrohungen von ihrem Weg abbringen, noch zum Aufgeben zwingen – was „She said“ letztlich zu einer sehenswerten Arbeit über investigativen Journalismus macht.
D: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andrer Braugher, Jennifer Ehle, Samantha Morton, Ashley Judd, Mike Houston. Bild: Universal Studios


Weisses Rauschen
USA ´22: R: Noah Baumbach.  Ab 8.12. Wertung: ****
Wir schreiben das Jahr 1984: Während man in den USA unter ihrem no-Nonsens-Präsidenten Ronald Reagan die Bedrohung eines Nuklearkrieges diskutiert, blendet Geschichts-Professor Jack Gladney (Driver) derlei Ängste ab, indem er sich auf das neue Studienjahr am liberalen College-on-the-Hill vorbereitet. Obendrein versucht der ausgewiesene Experte für Adolf Hitler damit klarzukommen, dass Babette (Gerwig), seine vierte Ehefrau, von einer experimentellen Droge namens Dylar längst so abhängig ist, das sie sich dafür prostituiert. Doch ihre Ängste vorm möglichen Weltuntergang bekommt Babette erst recht nicht mehr in den Griff, als unweit ihres Wohnorts ein Lastwagen in einen Güterzug crasht: Dass der Zug chemisches Material geladen hat und der LKW Gas transportiert, führt zu einer Explosion, die eine giftige Wolke freisetzt. Die daraufhin eingeleitete Evakuierung der gesamten Bevölkerung in der Umgebung mündet in einen Mega-Stau auf den Ausfallstraßen des Uni-Städtchens ein – dringend braucht Jack Gladneys Holde jetzt ein Date mit ihrem schmierigen Dealer Arlo (Eidinger)…
Die Vorlage lieferte ein Roman Don deLillos von 1985, der als unverfilmbar galt. Gekonnt fängt der Bestsellerautor „die Absurdität, den Horror und den Wahnsinn Amerikas zur damaligen Zeit ein“, so Independentfilmer Noah Baumbach, dessen Adaption es gelingt, einen Bogen hin zur Gegenwart zu schlagen. Gleichermaßen sperrig, packend, sarkastisch – und absolut zeitlos; Erwachsenenkino par excellence.
D: Adam Driver, Greta Gerwig, Don Cheadle, Jodie Turner-Smith, Raffey Cassidy, Lars Eidinger, Barbara Sukowa. Bild: Netflix


Aftersun
GB ´22: R: Charlotte Wells.  Ab 15.12. Wertung: ***
In ihrer Erinnerung ist jene Zeit, in der Sophie (Corio) mit ihrem Vater Calum (Mescal) ein paar Urlaubstage in einem Ressort in der Türkei verbrachte, so besonders, weil die damals Zwölfjährige ansonsten mit ihrer Mutter in Glasgow lebte, während Dad in London zuhause war. Mittlerweile ist Sophie (Rowlson-Hall) selbst im damaligen Alter ihres Vaters – und verliert sich zu gern ins Sichten alter Videos, die sie seinerzeit mit der Kamera von ihrem Dad machen konnte. Wobei uns Betrachter zusehends mehr irritiert, dass die Kamera bald auch Momente wiedergibt, die Calums Tochter seinerzeit gar nicht aufgenommen haben kann. Unter der beeindruckenden Regie der Spielfilmdebütantin Charlotte Wells vermischen sich Erinnerung und Fantasie mehr und mehr, so dass es einen irgendwann kaum noch wundert, wenn wir der gut dreißigjährigen Sophie am Rande der Tanzfläche dabei zuschauen, wie sie ihren Vater beim Tanzen beobachtet. „Aftersun“ belässt es bei Andeutungen, verharrt stimmig im Ungefähren – wie sich ja auch jedermanns Erinnerungen selbst an einprägsame Momente mit der Zeit immer unschärfer ausbuchstabieren lassen. Beeindruckend.
D: Paul Mescal, Frankie Corio, Celia Rowlson-Hall, Sally Messham, Ayse Porlak, Sophia Lamanova. Bild: Cinetic


Avatar: the Way Of Water
USA ´22: R: James Cameron.  Ab 14.12.
In jenen mehr als zehn Jahren, seit Ex-Soldat Jake Sully (Worthington) mithilfe des sogenannten neuronalen Pandora-Netzwerks den menschlichen Körper verlassen konnte, um mit seinem Avatar zu verschmelzen, sind ihm die auf dem Pandora-Mond lebenden Na´vi-Völker ans Herz gewachsen. Mit Neytiri (Saldana) hat Sully zwischenzeitlich sogar eine Familie gegründet, drei Kinder gezeugt, und zwei weitere adoptiert. Soweit es die RDA-Company betrifft, die fern der Erde auf Pandora wichtige Wertstoffe abbaut, ohne sich um die Rechte der Na´vi-Bevölkerung vor Ort groß zu scheren, herrscht nach dem Tod von Colonel Miles Quaritch (Lang) General Ardmore (Falco) mit gnadenlos harter Hand. Um ihren Lebensraum gebracht, sind Jake und seine Familie gezwungen, zum Na´vi-Stamm der die Küste bewohnenden Metkayina zu fliehen. Doch auch dort findet man nicht allzu lange Ruhe… „Titanic“-Rkgisseur James Cameron hat für seinen „Avatar“-Nachschlag weder Kosten noch Mühen gescheut, um die Superlative des 2009 in die Kinos gekommenen Fantasy-Auftakts zu toppen. Mit einem Budget von rund 250 Millionen Dollar, neuesten technischen Raffinessen und einer Länge von mehr als drei Stunden Laufzeit setzt das SciFi-Epos bereits vor dem Kinostart neue Maßstäbe. Drei weitere „Avatar“-Filme sollen dann jeweils im Zwei-Jahres-Rhythmus nachfolgend die Saga komplettieren – zur Freude aller Freunde visionärer Kinospektakel.
D: Sam Worthington, Zoe Sandana, Sigourney Weaver. Edie Falco, Stephen Lang, Kate Winslet, Jack Champion, Cliff Curtis Bild: Walt Disney Company


Der Schatz im Silbersee
Deutschland/Jugoslawien ´62: R: Harald Reindl.  Ab 14.12. Wertung: ***
Was für nachfolgende Kinogänger-Generationen die Adaption kultiger Harry Potter- oder Herr der Ringe-Romanbestseller bedeutet haben mag, glückte Horst Wendlandts Rialto-Produktionsgesellschaft in den 1960ern mit den höchst erfolgreichen Karl-May-Verfilmungen. Dass sich „Der Schatz im Silbersee“ zum größten deutschen Geschäftserfolg der Saison ´62/´63 mausern würde, hätte vorab niemand erwartet. Doch Regieroutinier Harald Reindls Idee, nicht den amerikanischen Western zu imitieren, sondern Mays Vision des Westens in Szene zu setzen, traf ins Schwarze. Da setzt in der allerersten Verfilmung einer May-Westernvorlage der weiße Trapper Old Shatterhand (Barker) mit seinen Gefährten alles daran, die Bande des schurkischen Cornel Brinkley (Lom) vom Aufspüren eines sagenhaften Indianerschatzes abzuhalten. Unterstützung bekommen die aufrechten Weißen von Winnetou (Brice), dem Häuptling der Apachen - der sich in den Auseinandersetzungen mit Brinkleys Bande an der Spitze von befreundeten Indianerstämmen ebenfalls erfolgreich zu behaupten weiß. Das französische Cineasten-Blatt Cahiers du Cinema nannte den Schatz im Silbersee einen „Schwarzwald-Western, der nicht vorgibt, wie Ford und Boetticher zu sein, aber seine eigene Suppe trefflich kocht“. Das Erfolgsrezept der vielen nachfolgenden May-Verfilmungen neben der internationalen Besetzung, den attraktiven Schauplätzen und Martin Böttchers eingängigen Filmmusiken? Ganz klar: Dass das Gute stets siegt!
D: Lex Barker, Pierre Brice, Götz George, Karin Dor, Marianne Hoppe, Ralf Wolter, Eddi Arent, Herbert Lom. Bild: Croco Film


Drei Winter
Schweiz/ Deutschland ´22: R: Michael Koch.  Ab 15.12. Wertung: ***
Für einen Neuankömmling wie Marco ist´s in der Abgeschiedenheit der Schweizer Bergwelt von Vorteil, einsilbig und zupackend zu sein. Denn das sind Punkte, die ihm im Dorf Akzeptanz verschaffen. Letztlich gut für das aus dem Flachland kommende Mannsbild, da sich Marco unsterblich in die junge alleinerziehende Anna verliebt. Diese erwidert seine Gefühle. Man heiratet – und führt zusammen mit Annas Töchterchen Julia eine Zeitlang ein äußerst harmonisches Familienleben. Doch dann wird bei Marco eines Tages ein bösartiger Tumor im Kopf nachgewiesen, der das Wesen des zuvor sanftmütigen Mannes total verändert. Auch eine Operation bringt keine Besserung mit sich – nachdem Annas Göttergatte in der Zeit vorm Eingriff teils zudringlich wurde, verfällt er nunmehr sichtlich. Da aber die Dorfgemeinschaft an jemandem, der körperlich zu schwach ist, um sich bei anstehenden Arbeiten auf dem Hof oder auf dem Feld einbringen zu können, keinerlei Interesse hat, bleibt Anna einzig die Liebe zu ihrem Ehemann. Trotzdem muss sie sich bald fragen, wie lange dieser Mann an ihrer Seite noch mit dem Marco, in den sie sich einst unsterblich verliebte, in Verbindung gebracht werden kann. „What is Love?“ hört man Haddawy zu Beginn des Films singen – und „Drei Winter“ greift diese Frage auf. Variiert nicht nur die Eurotrash-Hymne mehrfach, sondern spiegelt ihren Inhalt von der ersten Begegnung Annas und Marcos – stets glaubwürdig vom schauspielernden Laien-Pärchen Michèle Brand und Simon Wisler umgesetzt. Überhaupt entwickelt Regisseur Michael Koch ein Gespür fürs gesamte dörfliche Laien-Ensemble, deren Mentalität und Bräuche. Ihm gelingt eine Liebesgeschichte und Milieustudie, die auf ihr tragisches Ende zusteuert – und uns bis zuletzt fesselt.
D: Michèle Brand, Simon Wisler, Elin Zgraggen, Daniela Barmettler, Josef Aschwanden.  Bild: Grandfilm

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