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Interview: Nicole Seidenz (Lehrerin) stellt Buch "Der Horror der frühen Medizin" vor28.01.2020



Wunden verband man hauptsächlich mit Seide oder Baumwolle und die dann folgende Wundheilung überließ man meistens ihren natürlichen Lauf, was in der Regel negative Auswirkungen mit sich brachte. Zudem gab es keine Anästhesie, die Patienten waren also bei vollem Bewusstsein. Vor allem fanden keine hygienischen Maßnahmen statt: Die Ärzte arbeiteten in ihrer Straßenkleidung und trugen keine Handschuhe bei ihren Behandlungen. Diese Gegebenheiten resultierten in Ansteckungen und Infektionen. Dementsprechend war die Sterblichkeitsrate sehr hoch. Joseph Lister gelangte nun als junger Kunststudent in einen Operationssaal. Zu dieser Zeit war das nichts Ungewöhnliches, denn Operationen liefen früher des Öfteren öffentlich ab. Lister war sofort fasziniert von den medizinischen Vorgängen und beschloss, Medizin zu studieren. Im Laufe seines Werdegangs stellte er unter anderem fest, dass in Phenol getränkte Mullbinden die Wundheilung beschleunigten. Darüber hinaus führte er die Verwendung von desinfizierenden „Catgut“-Fäden zum Vernähen von Wunden ein. Die aus Tierdärmen gefertigten Fäden waren ebenfalls in Phenol getränkt und konnten sich unter der Wirkung körpereigener Enzyme zersetzen und auflösen. Mithilfe dieser und weiterer Entdeckungen konnte Joseph Lister die Sterblichkeitsrate erheblich senken. Jedoch hatte er auch mit enormen Widerständen zu kämpfen: Alteingesessene Ärzte und Professoren sträubten sich, seine neue Theorien anzunehmen und auszuprobieren.
MoX: Wie haben Sie das Buch gelesen?
Nicole Seidenz: Auf Papier. Ich habe das Buch überraschenderweise in einer Fantasy-Abteilung gefunden. Das Cover dieser Ausgabe fand ich zudem sehr ansprechend. E-Books besitze ich keine. Wenn man über einen längeren Zeitraum verreist, leuchtet mir die praktische Seite der E-Books schon ein. Sie sparen Platz und Gewicht. Aber ich bin einfach „old-fashioned“: Ich brauche ein Buch in meiner Hand. Ich erfreue mich am Blättern und Stöbern und mag es auch, wenn die Bücher schon ein wenig gebraucht aussehen und sich so auch anfühlen.
MoX: Was hat Ihnen besonders gut an dem Buch gefallen?
Nicole Seidenz: Ich habe ein Faible fürs Morbide und mir gefällt diese Kombination aus Medizingeschichte, Sittengemälde und Biografie. Ich fand die historischen Einblicke in das viktorianische Zeitalter und die damit verbundenen medizinischen Aspekte sehr interessant. Man muss kein Mediziner oder Biologe sein, um die Erläuterungen verstehen zu können. Insgesamt bekommt man unglaublich viele Einblicke. Das Buch ist rundum spannend. Im Übrigen finde ich es sehr sympathisch, dass das Buch von einer Frau verfasst wurde.
MoX: Wem würden Sie das Buch empfehlen?
Nicole Seidenz: Die medizinischen Vorgänge und die zum Teil negativen Auswirkungen werden sehr ausführlich beschrieben. Wenn man einen empfindlichen Magen hat, ist das vielleicht nicht für jeden Leser erträglich. Wer in der Lage ist, das Blutige im Rahmen des medizinischen Geschichtswissens auszublenden, kann schon eher etwas mit dem Buch anfangen. Grundsätzlich würde ich es Lesern ab 18 Jahren empfehlen.
Mox: Was wissen Sie über die Autorin?
Nicole Seidenz: Die Amerikanerin Lindsey Fitzharris wurde 1982 geboren und promovierte in Oxford in Medizingeschichte. Derzeit lebt sie Großbritannien.

Interview und Foto: Dana Hubrich

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