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Chemnitz kommt!08.10.2020



Text: Horst E. Wegener

Was tun, wenn man wie Gisela als Tochter einer alleinstehenden Mutter in sogenannten prekären Verhältnissen aufwächst – und mit dem Abi in der Tasche möglichst fern von Zuhause studieren will? Dass sich die 20-Jährige aus Dresden für Chemnitz entscheidet, hängt mit den unverschämt niedrigen Lebenshaltungskosten in der Studentenstadt zusammen; für Politikwissenschaften schreibt sie sich ein, weil einen in diesem Fach keine Zugangsbeschränkungen erwarten.
So schwer sich Gisela aufgrund der ihr von klein auf verhassten Körperfülle mit Beziehungen zu Jungs tut, Freundinnen findet sie recht schnell. Woraufhin Erstsemester zu tun beginnt, was man eben so im Erstsemester tut: Neben dem Studieren die Kneipenszene der Stadt erkunden, saufen, kiffen, feiern, gegen Nazis protestieren. Auf dem Rückweg von einer Spritztour nach Tschechien beschließt Gisela mitsamt ihrer Mädelsclique eine Girlband zu gründen, Musik zu machen. Und wenn die sich Superbusen nennende Freundinnentruppe nicht auf Tour geht, steht Demonstrieren gegen die vielen jungen und alten Nazis in Chemnitz an. Denn wir schreiben August 2018, jene Zeit, in der die Welt nach Chemnitz schaut, weil es dort unweit der monumentalen Karl-Marx-Büste nach dem gewaltsamen Tod eines Mannes zu heftigen Ausschreitungen kommt. Gisela ist schockiert von dem rechten Klima, das in der Stadt herrscht, gleichzeitig existiert vor Ort aber auch ein großer Freiraum und Zusammenhalt über die linke Kulturszene hinaus – weshalb sich Paula Irmschlers Romandebut vom klassischen Coming-of-Age- und Poproman, wie wir ihn hauptsächlich aus männlicher Sicht kennen, lesenswert unterscheidet. Irmschlers Gisela ist das Gegenteil von jenen altbekannten Hipstertypen, die ihren Verflossenen hinterhertrauern, sich die Kante mit Alk und Koks und Liebesballaden aus ihrer Jugendzeit geben und ihre Umgebung permanent zuschwafeln.
Obwohl „Superbusen“-Autorin Irmschler nie in einer Girlband Musik gemacht hat, weist ihr Romandebüt doch Parallelen zur eigenen Biografie auf. Sie ist wie ihre Erzählerin in Dresden geboren, empfand sich von klein auf als zu dick. 2010 zog sie für ihr Studium nach Chemnitz. Ging dann nach fünf Jahren nach Köln, um dort als Garderobiere zu malochen und nebenbei eine Kolumne fürs Szenemagazin Intro zu schreiben. Bald zeigten auch andere Zeitschriften und Zeitungen Interesse. Seit dem Herbst 2018 hat Irmschler eine Festanstellung als Redakteurin beim Satireblatt Titanic, so dass sie ihren Brotjob Garderobiere endgültig an den Nagel hängen konnte.

Paula Irmschler liest aus ihrem Romandebut
10.10., ab 20:00 Uhr, Kulturetage, OL.

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