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Die Welt im Ei20.11.2024



Text und Foto: Britta Lübbers

Er tauchte das Ei in Licht und Schatten, ließ es mal hell, mal dunkel changieren, zeigte es wie einen sitzenden Akt oder wie den abnehmenden Mond. Das war 1972, und es war immer dasselbe Ei. Seither begleiten ihn Eier als Fotomodelle auf einer kreativen Reise, die andauert. „Bis zu jenem Tag war ein Ei für mich ein Nahrungsmittel, seitdem sehe ich es als Kunstwerk“, lächelt Strelow. Jetzt hat er einen kleinen Fotoband herausgebracht, der das Ei feiert. „Eivisionen“ heißt das Buch, das überrascht und Spaß macht. Das Ei, betont Strelow, sei der Ursprung des Lebens. „Es gab es schon, als die Dinosaurier noch die Erde bevölkerten.“ Es sei ein Wunder in unterschiedlichen Größen, Gestalten und Farben. Und so ist der Begriff „Eierkopf“ für Strelow auch keine Beleidigung, sondern im Gegenteil die Bezeichnung für einen besonders klugen und eigenwilligen Menschen.
„Wird ein Ei durch eine Kraft von außen aufgebrochen, endet das Leben. Wird ein Ei durch eine Kraft von innen aufgebrochen, beginnt das Leben“, erklärt Strelow und zeigt die ersten beiden Aufnahmen im Buch. Links sehen wir ein Ei, das von einer Spitzhacke perforiert wird, rechts öffnet sich die Schale, damit ein Küken schlüpfen kann.
Strelows überwiegend schwarzweiße Ei-Fotografien sind inszeniert, ohne künstlich zu wirken. Mal schwingt sich ein gekapptes Ei in die Lüfte („Whow“), mal schwimmt ein Riesen-Ei auf den Wellen der Nordsee („Eivolution“). Für „Der Schrei“ hat Strelow ein Ei in Kopfhöhe geöffnet. Es scheint tatsächlich, als würde es verzweifelt rufen. Die Assoziation zu Munch ist beabsichtigt – und gelungen.
Ein andermal hat Strelow Eier wie Billardkugeln angeordnet. Oder er hat auf einer Doppeltseite jedes Ei mit einem anderen Muster versehen. Die geometrische Anordnung von Strichen und Punkten erinnert an die surreale Fotokunst der 1920er Jahre – das Ei als ästhetische Reverenz an eine frühe Avantgarde. Auch das Glasauge seines Onkels Heinrich – ein Gegenstand, den Strelow gerne für seine Arbeiten nutzt – hat er verwendet. Diesmal blickt das Auge aus einem Eierkarton heraus – kein Zweifel, man fühlt sich beobachtet. Auf dem letzten Bild ist ein Ei zu sehen, das von einem zarten Zweiglein flankiert wird. „Sabishii“ hat Strelow das Motiv genannt. Das ist japanisch und bedeutet „allein“. Es ist ein nachdenklich stimmender Abschluss. Das ganze Büchlein mutet eher leise als laut an. Es setzt in vollendeter Konzentration auf einen einzigen Gegenstand. „Das Ei ist die faszinierendste und idealste Form, die die Natur geschaffen hat“, findet Strelow. Diese Form feiert er.
Mehr als 600 Fotos hat Ennow Strelow in seinem bisherigen Wirken dem Ei gewidmet. Woher nimmt er seine Ideen? „Das kommt einfach. Meine Frau merkt immer, wenn es losgeht. Sie sagt dann: Na, hast wieder etwas ausgebrütet?“
Penner und Promis
Nicht nur in Sachen Ei ist Ennow Strelow, der 1949 in Lübeck geboren wurde und viele Jahre in Hagen lebte, phantasievoll und vielseitig. In Hagen machte er sich als Porträt- und Theaterfotograf einen Namen. Er holte Penner und Promis vor die Kamera. Kultgruppen wie Grobschnitt, Extrabreit und die Humpe-Schwestern kannte er persönlich. Auch schräge Typen und Kriminelle. Strelow stellte sein Stativ an die Basis. Vor mehr als 20 Jahren zog er nach Oldenburg und arbeitete hier am Staatstheater. 2019 widmete ihm das Stadtmuseum eine eigene Werkschau. Auch als Autor ist er in Erscheinung getreten, hat illustrierte Gedichte und – gemeinsam mit Karsten Rauchfuß – die Stadtteil-Krimis „Mörderische Grüße aus Oldenburg“ veröffentlicht. Zurzeit gibt er einem Fotobuch über den Klimawandel den letzten Schliff, das Ende des Jahres erscheinen soll. Die „Eivisionen“ sind schon auf dem Markt. Ein schöner Geschenktipp zu Weihnachten. Auch, um sich selbst eine Freude zu machen.

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