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„Das Prinzip Riefenstahl hat durchaus Aktualität.“22.10.2024



Interview: Dieter Oswald


MoX: Herr Veiel, war Riefenstahl Hitlers Kinokanone?
Veiel: Da sind sich zwei begegnet mit ähnlichen Vorstellungen, was Kino und Bilder leisten sollen. Nämlich das Schöne, Starke, Überlegene zu feiern. Der Einzelne fügt sich ein in dieser Choreografie einer größeren Idee und kann sich zugleich erhaben fühlen, indem er Teil dieser Masse ist. Hitler hat sehr genau gespürt, dass Riefenstahl dafür ein besonderes Talent hat. Das hat ihm sein Instinkt gesagt. Dieser fast manische Zwang, das Schöne als überlegen zu inszenieren, ist verbunden mit der Verachtung des Schwachen, des Anderen, des Fremden. Mit diesem Blick auf die Welt waren Hitler und Riefenstahl sehr ähnlich, es war wie eine Symbiose zwischen beiden. Hinzu kommt der große Ehrgeiz bei Riefenstahl, das alles bildnerisch umzusetzen.
MoX: Bei der BBC ist „Triumpf des Willen“ in der Liste der 100 besten Filme, hierzulande ist das Werk verboten. Wäre eine Auseinandersetzung nicht viel wichtiger als bequeme Verbote?
Veiel: Man muss diese Filme zurückholen in die Auseinandersetzung. Man kann nicht einfach nur sagen, das gehört in den Giftschrank und basta. Es braucht einen differenzierten Blick. Diese Frau hatte durchaus Talente, sie war eine großartige Editorin. Riefenstahl war eine gute Regisseurin, die in vielem Neuland betrat. Sie suchte Kameraleute aus, die ihr jenseits der bekannten Wochenschauästhetik eine andere Art von Bildwelt ermöglichen. Sie entwikkelte eine innovative Bildwelt, die so noch nicht bei Eisenstein in Ansätzen vorhanden war. Für Tarantino ist sie eine der größten Regisseurinnen überhaupt. Entscheidend finde ich, die Wirkmächtigkeit ihrer Bildwelten immer im Zusammenhang mit ihrer Ideologie zu lesen und die Nachtseite dieser Ästhetik zu erkennen: Den Ausschluss, das Ressentiment und die Bedrohung, die vermeintliche Bedrohung durch das Andere, Kränkelnde oder Fremde.
MoX: Wie ergebnisoffen geht man an solch ein Projekt?
Veiel: Die entscheidende Frage für mich: Was gibt es Neues? Dass Riefenstahl einen Kokon von Lügen und Legenden geschaffen hat, ist weithin bekannt. Spannend finde ich, wofür stehen diese Unwahrheiten? Wann lügt sie und wie? In den Entwürfen ihrer Memoiren schreibt sie über Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit, in den veröffentlichten Memoiren ist das nicht mehr vorhanden. Sie wird nachweislich Zeugin an einem Massaker an Juden. Später behauptet sie, davon nichts unmittelbar mitbekommen zu haben. Dieses Prinzip Riefenstahl hat durchaus Aktualität. Wir erleben ja, wie Fake News oder Legenden, je öfter sie wiederholt werden, tatsächlich sich halten und immer wahrhaftiger werden.
MoX: Wie weit kann man dem Nachlass trauen, der von einer Meisterin der Manipulation und des Inszenierens stammt? Hat sie falsche Fährten gestreut? Oder glaubte sie, dieser Nachlass käme nie an die Öffentlichkeit?
Veiel: Genau diese Frage hat mich sehr lange beschäftigt. Mit wie viel Misstrauen muss ich auf diesen Nachlass blicken? Ganz sicher hat sie Dinge daraus entfernt und Vorhandenes arrangiert. Das ist legitim, jeder kann selbst entscheiden, was er der Nachwelt hinterlässt. Doch hat sie möglicherweise Dinge hinterlassen, um zu manipulieren? Es war ja absehbar, dass Filme, Bücher und Doktorarbeiten über sie gemacht werden würden. Ich halte Riefenstahl jedoch nicht für eine Strategin, so raffiniert war sie nicht. Sie war eine Taktikerin, die aus dem Moment heraus instinktiv das Beste für sich herausholen konnte.
MoX: Immerhin finden sich die Aufzeichnungen von belastenden Telefonaten im Nachlass. Hat sie das nur übersehen?
Veiel: Diese ganzen Telefonate belasten sie zwar schwer, aber sie zeigen eben auch den Zuspruch, den sie plötzlich bekam. Es sind Menschen, die sie rehabilitieren und großartig finden nach dieser Talkshow. Riefenstahl war über fast drei Jahrzehnte verschwunden von der öffentlichen Bildfläche. Diese Talkshow war ihr erstes Coming out nach dieser langen Zeit. Es kamen säckeweise Briefe und positive Anrufe, die tatsächlich eine Länge von über 20 Stunden umfassen. Dieser enorme Zuspruch war für sie wie eine Wiedergutmachung, ja mehr noch: ein Triumph: Sie sah sich rehabilitiert. Unter den Anrufern waren viele Alt-Nazis, auch SS-Angehörige. Diese Männer sahen sich als Idealisten, Riefenstahl pflichtete ihnen bei. Sie hätte eigentlich sehen müssen, dass sie sich damit als Ewig-Gestrige outet. Als eine Frau, die der NS- Ideologie im Kern treu geblieben ist. Dass sie immer noch hofft auf eine autoritäre, starke Hand, die wieder Moral, Sitte und Anstand herstellt.
MoX: 700 Kisten Nachlass zu durchforsten ist eigentlich schon eine Doktorarbeit. Danach 18 Monate im Schneideraum. Hat man nicht irgendwann mal das Gefühl: Mir reicht's?
Veiel: Es gab tatsächlich Momente in der Arbeit, wo ich von Riefenstahl genug hatte. Mir wurde nämlich klar, dass sie keine Entwicklung durchgemacht hat, was für mich herausfordernd war. Ich interessiere mich für Menschen, die reflektieren und neue Einsichten gewinnen, aber bei ihr wurde das Gegenteil deutlich: Mit dem Alter verhärtete sie sich immer mehr. Ihre Behauptung, unpolitisch gewesen zu sein, wiederholt sie in Interviews über Stunden, monoton und ohne Einsicht. Es war frustrierend, immer wieder diese Lügen zu hören. Gleichzeitig wurde ihre Ästhetik während unserer Arbeit durch aktuelle Ereignisse wie die Maiparade in Russland oder Trumps Aussagen über Migranten wieder erschreckend aktuell. Es ist wichtig, ihre Ideologie, die auf Ausgrenzung und Überlegenheit basiert, kritisch zu betrachten und aufzuzeigen, dass diese Denkweise heute eine bedrohliche Renaissance erlebt. Es gab Durststrecken, aber es gab immer stärker die Notwendigkeit, diesen Film machen zu müssen.
MoX: Haben diese Propagandisten von heute von der Riefenstahl gelernt? Ist sie die Blaupause für Propaganda?
Veiel: Ihre Bilder sind längst Archetypen, sie prägen die Inszenierung von Macht. Autokraten nutzen bewusst Kameraperspektiven, die Erhabenheit vermitteln – wie die Unterperspektive, die die dargestellte Person erhöht. Auch Donald Trump ließ sich nach seiner Corona-Erkrankung bewusst als „Auferstandener“ inszenieren, ähnlich wie Hitler in „Triumph des Willens“. Ohne dem Kameramann direkt Anweisungen zu geben, wusste Trump, dass er in dieser Szene als überlebensgroßer Helden erscheinen würde, der eine Krankheit, an der Millionen gestorben waren, ohne irgendein Anzeichen von Schwäche besiegen kann. Die Bildsprache solcher Inszenierungen wurde durch Leni Riefenstahl geprägt und hat sich in der Popkultur, von „Star Wars“ bis zu Rammstein, weiter verbreitet. Sie ist ein universelles, immer wieder zitiertes Symbol der Selbstinszenierung.
MoX: Inwieweit soll diese Dekonstruktion der Riefenstahl von damals zur Mahnung für heute werden?
Veiel: Ich möchte den Film als eine Warnung verstehen. Während der Vorführung des Films auf dem Telluride Festival in Colorado sagten mir Besucher, der Film sei jetzt, vor den Wahlen, sehr wichtig. Er füllt eine Lücke: Wenn ein Präsidentschaftskandidat Äußerungen macht wie „Meine politischen Gegner müssen wie Insekten vernichtet werden“ oder „Migranten verseuchen das amerikanische Blut“, dann werden diese Aussagen oft nicht als faschistisch erkannt, besonders in einem Land ohne direkte faschistische Geschichte.

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