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Mal eben so die Welt erklären01.10.2020



Text  |  Martina Burandt

Kriegstraumata, soziale Ungleichheit und  Geschlechtsrollenklischees und immer wieder Liebe; Generationskonflikte, Gigantismus und Finanzkrise; Terror, Konsumwahn, Identitätsverlust und Artensterben: Das sind die vielen miteinander verstrickten Themen in Fritz Katers Stück. Regisseur Armin Petras machte aus dem Stoff seines Alter-Egos einen, mit viel Sinn für theatrale Bildwirkung, aufgetunten Theaterabend.

Das Coronavirus mag das globale Symptom einer Menschheitskrise sein und in diesem Sinne wird sich der Autor Fritz Kater wohl zu Anfang dieser Krise ans Werk seines neuen Stückes gemacht haben. Zur Verfremdung dessen, was wir täglich in den Medien verfolgen können, wählte er einen von uns ebenso entfernten wie bekannten Ort, nämlich Amerika (bzw. America).
Miles Perkin singt uns zur Gitarre „Hey Joe“ von Jimmy Hendrix. Und auf der Videoleinwand im Hintergrund mischen sich Kriegsbilder mit Flügelschlägen. Ein kleiner Sperling, der düstere Spatz, der einst die Küste Floridas bevölkert hat, ist Mitte der 90er Jahre aufgrund der Zerstörung seines Lebensraumes durch das, was wir „menschliche Zivilisation“ nennen, ausgestorben. Dieser kleine Vogel ist das Symbol für die Zerstörung, die Fritz Kater in seiner sich über drei Generationen spannenden Familiengeschichte beschreiben will. 1987, 1996, 2008 und 2015 lauten die Jahreszahlen, der Episoden eines „american way of life“, vom Brötchenbäcker oder Besitzer eines schäbigen Hotels zum Millionär.
Melinda, Tochter eines kriegstraumatisierten Hotelbesitzers will raus aus der schäbigen Armut, heiratet Martin, den Sohn reicher Geschäftsleute, versucht mit ihm ein alternatives Leben in einer Waldhütte, doch Gier und sozialer Aufstiegs- und Bedeutungsdruck sind größer. Schließlich steuert Melinda aus der Chefetage, zusammen mit Ehemann und Schwager, die Firma gewinnbringend durch den Bankencrash. Doch während am Ende die einen im „big think“ von Fahrten auf den Mond träumen und andere, wie auch ihre eigene Tochter Luna, als Klimaschützer*innen versuchen, die Welt zu retten, weiß Melinda nicht mehr, wer sie ist.
Viel Stoff für einen Theaterabend, den sich Autor und Regisseur in einem hier auferlegt haben; zu viel. Im Spiegel, der uns mit dem „american way of life“ vorgehalten wird, erkennen wir zunächst unseren eigenen, auf Wachstum ausgerichteten Lebensstil, der bereits kräftig dabei ist, uns selbst zu zerstören. Zusammen mit den starken Bildern der Inszenierung – eine ständig wechselnde Bühnenstimmung aus Armut, Überfluss und Apokalypse – wirkungsvoll von Julian Marbach mit den Schwarz-weiß-Videos von Rebecca Riedel arrangiert, wird das so überdeutlich, dass sich bald Widerstand breit macht.
Denn die überbordend verwickelte und sich zuspitzende Handlung über den Untergang bleibt trotz starker ästhetischer Eindrücke flach. Zu klischeehaft sind die Figuren entworfen. Da hilft auch nicht das engagierte Spiel des achtköpfigen Ensembles. Die zynische Übertreibung der Stückvorlage mit ihren plakativen Dialogen, befinden sich oft jenseits übertragbarer Alltäglichkeit. So wird ein Wissenschaftler, der für das Überleben des dunklen Spatzes kämpft, zu einem schrulligen Eigenbrötler, dessen beste Freundin eine Ziege ist. Und eine engagierte junge Klimaschützerin ist am Ende nicht mehr als hilfloses Opfer im Windmühlenkampf gegen einen blinden wie brutalen Kapitalismus.
Da sind Text wie Regie nur an der Oberfläche geblieben. Und so sehen wir keine Menschen mit nachvollziehbaren Gefühlen, sondern nur bunte Abziehbilder vor beeindruckender Kulisse, garniert mit nicht enden wollenden Nebelschwaden und viel Geschrei. Die beinahe zweieinhalbstündige Inszenierung (mit Pause) wird anstrengend lang und länger und mutet manchmal an wie eine Nachhilfestunde in Dingen, die wir uns täglich selbst aus den Medien erschließen können.
Was wollen uns Fritz Kater und Armin Petras sagen? Mal eben so die Welt erklären, in der  alles nur Schein ist? Dass die Menschheit schlecht ist? Dass alles Bemühen um sie lächerlich ist und sinnlos?
Innehalten und Veränderung scheinen derzeit existentiell für unseren Planeten zu sein. Die meisten Menschen handeln, wenn sie berührt werden. Berührung war an diesem Theaterabend, an dem sich ein Autor selbst inszeniert hat, leider nicht zu spüren, allenfalls durch die von Miles Perkins gut arrangierte, bis in die Knochen tönende Livemusik.

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