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Wochenzeitung DIABOLO:
Nino Haratischwili
Die Zeit heilt niemals alle Wunden.17.01.2019

<i>Wochenzeitung DIABOLO:</i><br />Nino Haratischwili<br />Die Zeit heilt niemals alle Wunden.

text  |  Horst E. Wegener

Es dürfte nicht allzu viele Jugendliche in Georgien gegeben haben, die in den 1980er und 90er Jahren Deutsch lernen wollten. Im Fall der 1983 im dortigen Tbilissi geborenen Nino Haratischwili erschien es dem kreativen Mädel zudem sinnvoll, sich in der eigentlich fremden Sprache auszudrücken: Als Jugendliche gründete Nino eine deutsch-georgische Theatergruppe, der sie regelmäßig eigene Stücke zulieferte.

Mit anderen Worten: Noch bevor sich die Kulturbeseelte an der Filmakademie in Tiflis fürs Regiestudium qualifizieren konnte, war ihr das Deutsche vertraut. Um so einfacher fiel es der Auswanderin, ihre Romane und Theaterstücke nach der Übersiedelung gen Westen ab 2003 nurmehr auf Deutsch zu ersinnen. Die hiesige Theater- und Literaturszene mochte Haratischwili dafür vom Start weg feiern und mit Auszeichnungen überhäufen. Dem vielbeachteten Debütroman „Juja“ von 2010 folgten im Jahr drauf „Mein sanfter Zwilling“ und 2014 der 1300-Seiten-Wälzer „Das achte Leben (Für Brilka)“, jene große europäische Familiensaga, die die in Hamburg lebende Autorin und Regisseurin endgültig einem größeren Publikum hierzulande bekannt machen sollte. Nach ihrem Bestseller „Das achte Leben“ hat die Mittdreißigerin jetzt einen Täter-Roman über den Tschetschenienkrieg geschrieben, der grob auf einer wahren Geschichte beruht, die Haratischwili in einer von Anna Politkowskaja Reportagen auffiel. Diese ermordete russische Menschenrechtsaktivistin hatte die Schändung und Tötung einer jungen Frau im Ersten Tschetschenienkrieg minutiös recherchiert, woraus Nino Haratischwili Jahre später ihren knapp 800 Seiten starken Roman „Die Katze und der General“ entwickelte.
Die Wahl-Hamburgerin katapultiert sich und ihre Leser zurück ins Jahr 1994, wo in einem kleinen tschetschenischen Bergdorf die Einheit des alkoholkranken russischen Oberst Schujew von der Bevölkerung mit Unbehagen beobachtet wird. Der Krieg im entfernten von den Sowjets verwüsteten Grozny ist nurmehr in den Köpfen der Dörfler präsent, ums Dorf herum herrscht mehr oder weniger Frieden. Dennoch will niemand den Soldaten Lebensmittel verkaufen, einzig die 17-jährige Nura lässt sich Hühner und Eier abkaufen, will damit ihren Traum vom selbstbestimmten Leben andernorts in die Tat umsetzen. Doch daraus wird nichts.
Zwanzig Jahre später: Einen der jungen Rekruten von damals, dem die Schändung der 17-Jährigen nie aus dem Kopf ging, treibt nach wie vor die Suche nach Vergeltungsmaßnahmen um. Da er zu Reichtum gekommen ist, bietet sich Orlow eine Möglichkeit, als ihm in Berlin die georgischstämmige Schauspielerin Sesili, Katze gerufen, übern Weg läuft. Die junge Frau sieht Nura zum Verwechseln ähnlich, was den nurmehr General genannten Oligarchen Orlow über die Produktion eines Videos mit der Katze nachdenken lässt.
Haratischwili zergliedert ihren Thriller um Schuld und Sühne in zeitliche Sprünge, erzählt ihn wechselweise aus unterschiedlichen Perspektiven. Rund um den im Zentrum stehenden Orlow hat sie ein Ensemble unterschiedlicher Figuren versammelt. Zwei stechen heraus: Neben der Schauspielerin Sesili, die Nura wie ein Zwilling gleicht, und sich tief in ihre Rolle verstrickt, ist da ebenfalls der deutsche Journalist Onno Bender zu nennen, der sich an die Fersen des Oligarchen geheftet hat, weil er mehr über Orlows märchenhaften Aufstieg in Erfahrung bringen will.
Beim Spiel mit sämtlichen Möglichkeiten werden sowohl die handelnden Figuren als auch wir Leser von der Erzählerin fortwährend auf falsche Fährten gelockt. Übern reinen Suspensethriller hinaus ging es Nino Haratischwili jedoch auch um das schwierige Ankommen in einem neuen Leben, in einem anderen Land. Die Literaturkritik hat der 35-Jährigen vorgeworfen, die Metamorphose etwa des Oligarchen Orlow nicht ausreichend plausibel auf Papier gebracht zu haben, kreidete ihr schlampige Recherche an. Und wie eh und je sind Kürzungen und sprachliche Verknappung Haratischwilis Sache nicht. Trotzdem ist man als Leser geneigt, an ein altes Sprichwort zu denken: „Die Zeit heilt alle Wunden“. Wer hätte gedacht, dass uns „Die Katze und der General“ zeigt, dass das nicht stimmt.

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