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Schwerelose Schokolade10.07.2024



Text und Foto: Britta Lübbers


Nora Arrieta tischt ordentlich auf. Ihre Objekte sind überbordend, sie glänzen und strahlen ab, sie verschwenden sich in alle Himmelsrichtungen. „Schlaraffenland“ hat die Künstlerin die Ausstellung im 1529 errichteten Bauwerk der ehemaligen Oldenburger Stadtbefestigung betitelt. Zwischen den betagten Mauern kommt das Frische, Peppige ihrer Keramikkunst gut zur Geltung – und auch der Subtext, die Ironie, die mitschwingt.
Rüstung aus Naschwerk
Das Schlaraffenland gilt vielen als Inbegriff des genussvollen Schlemmens. Dabei ist es nicht nur positiv besetzt. Im 16. Jahrhundert beschrieb der Nürnberger Dichter Hans Sachs das Land der unbegrenzten Möglichkeiten als Treffpunkt furchtbar fauler Menschen, die für arbeitende Zeitgenossen nur Hohn übrig haben. „Drei Meilen hinter Weihnachten“ liegt laut Sachs das Schlaraffenland, in dem die Zäune aus geflochtenen Bratwürsten sind. Möchte man hier wirklich leben? Gleichfalls im 16. Jahrhundert malte Pieter Brueghel der Ältere sein Bild „Schlaraffenland“. Vollgefressene halten sich darauf die Bäuche und starren mit glasigen Augen vor sich hin. Auch die von Nora Arrieta präsentierten Kunstwerke sind herausfordernd. Hier wurde mit Glasur dick aufgetragen und nicht an Details gespart. Das im Pulverturm installierte Schlaraffenland bietet eine krasse Überflussorgie – angefangen vom „Candy Knight“ – ein Ritter mit kindlichen Zügen, dem ein Schokoriegel zwischen den Lippen steckt und der in seiner Rüstung aus Naschwerk fast verschwindet – bis hin zum Hotdog, dessen Bratwurst bräsig in den Raum ragt. Nichts für Weicheier ist die „Fleischvase“: glasiertes Steinzeug in Fleischlappentextur. Vom „Deep Fried Chicken“ oder der ziemlich realistisch gestalteten „Zungenwurstdose“ gar nicht zu reden. Aufdringlich gibt sich der „Gurkenhalter“, der seine mit Rocher-Pralinen bestückten Tentakel ausstreckt. Will er angreifen – oder bloß etwas Süßes servieren? Die Frage bleibt unbeantwortet, denn das Sammelsurium hat keine Zeigefingermoral. Wer Pädagogik erwartet, läuft zwischen lustvoll arrangiertem Steinzeug ins Leere. Alle anderen werden auf hohem Niveau unterhalten. Die Objekte sind handwerklich erste Sahne und in ihrer Symbolhaftigkeit äußerst witzig. Die Künstlerin entwerfe eine freche Ikonografie der Gegenwart, die den Widerstreit von menschlicher Kultur und Natur zeige, beschreibt Kuratorin Dr. Sabine Isensee den ausgestellten Mikrokosmos. Geschickt nutzt Nora Arrieta auch digitale Techniken. So ist in den Boden ein Bildschirm eingelassen, auf dem animierte Objekte durch den Kosmos gleiten, z.B. Schokoladenstücke und Suppenterrinen.
Tagesnews und Trends
Nora Arrieta wurde 1989 in Leipzig geboren und studierte an der Weißensee Kunsthochschule in Berlin. Von 2014 bis 2017 war sie Meisterschülerin bei Prof. Martin Honert an der Hochschule Bildende Künste in Dresden. Im Anschluss absolvierte sie ein Masterstudium in den USA. 2022 erhielt sie den Frechener Keramikpreis, 2023 den Grassipreis der Sparkasse Leipzig. Sie war an Ausstellungen u.a. in Meißen, München, Chemnitz, Medellin (Kolumbien) und New York vertreten. Heute lebt und arbeitet sie als Bildhauerin in Höhr-Grenzhausen und leitete die Werkstatt für Keramik an der Hochschule Koblenz.
Sie sei fasziniert von den Emotionen und dem Bewusstsein, die den Menschen des 21. Jahrhunderts beeinflussen, sagt die Künstlerin über ihre Inspirationen. Was treibt den modernen Menschen um? – Dieser Frage gehe sie nach. „Ich untersuche die Assimilierung von Erlebtem und Phantastischem in realen und digitalen Räumen, globale Mobilität und die ständig wachsende Reizüberflutung von Informationen und Konsumgütern in einem unüberschaubaren Netz aus Apps, Bildern, Tagesnews und Trends.“ Darauf ein Praliné aus dem Gurkenhalter.

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