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Was denkt die Academy?07.02.2024

Was denkt die Academy?

Text: Martin Schwickert


Nun wurde sie zurecht für ihre Rolle als Schriftstellerin unter Mordverdacht in „Anatomie eines Falls“ nominiert. Es gibt wohl kaum eine deutsche Schauspielerin über deren internationale Anerkennung man sich mehr freuen könnte.  Als man sie 2016 in dem ebenfalls oscarnominierten „Toni Erdmann“ sah, glaubte man, dass Hüller hier die Rolle ihres Lebens gefunden hatte. Aber dann legte die gebürtige Thüringerin erst richtig los als Lagerarbeiterin in „In den Gängen“ (2018), gestresste Regisseurin in „Sibyl“ (2019), künstlich intelligente Roboterfrau in „Ich bin dein Mensch“ (2021) oder verschrobene Kammerzofe in „Sisi und ich“ (2023). Sandra Hüller begegnet all ihren Rollen mit einer beeindruckenden Furchtlosigkeit. Ob ihre Figuren zur Sympathieträgerin taugen, scheint sie dabei weniger zu interessieren als die eigenwilligen Konturen, die sie ihnen verleiht. Ihre Performance in Justine Triets „Anatomie eines Falls“, der in Cannes mit der Goldenen Palme und nun mit insgesamt fünf Oscar-Nominierungen bedacht wurde, ist ihr bisheriges Meisterstück. Schicht um Schicht legt sie immer neue Facetten in dem differenzierten Porträt einer Mordverdächtigen frei, deren Unschuld bis über das Filmende hinaus nie zweifelsfrei belegt werden kann. Hüller tritt in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ gegen gewichtige Konkurrentinnen an. Lily Gladstone konnte sich mit „Killers of Flower Moon“ bereits bei den Globes durchsetzen, Annette Bening ist als Hollywood-Ikone zum fünften Mal nominiert und die fabelhafte Emma Stone steht Hüller in „Poor Things“ in puncto Furchtlosigkeit nichts nach.


Die zweite wichtige deutsche Nominierung geht nach Japan. Wim Wenders „Perfect Days“ um das erfüllte Leben eines Toilettenreinigers in Tokio geht für Japan in das Rennen um den Oscar für die beste internationale Produktion. Das tiefenentspannte Alterswerk des aus Düsseldorf stammenden Filmemachers kann als aussichtsreicher Favorit gelten. Wenders, der bereits für seine Dokumentarfilme „Buena Vista Social Club“ (2000), „Pina“ (2012) und „Das Salz der Erde“ (2015) nominiert war, hat nach „Paris, Texas“ (1984) immer wieder in den USA gedreht und verfügt über beträchtliches internationales Renommee. Außerdem könnte er von der Aufmerksamkeit profitieren, welche die Academy in den letzten Jahren mit den Auszeichnungen für „Everything Everywhere All at Once“ (2022) und „Parasite“ (2019) dem asiatischen Kino zuteil werden ließ.


Ebenfalls in der Kategorie bester internationaler Film kann sich die deutsche Produktion „Das Lehrerzimmer“ von Ilker Çatak über eine Nominierung freuen. Der Film über die komplexe Interaktionsdynamik im Mikrokosmos Schule ist geradezu ein Fest der ambivalenten Konfliktforschung. Schön, dass die  Academy das internationale Potenzial dieses scheinbar spezifisch deutschen Filmes erkannt und honoriert hat.


Dass das deutsche Kino bei der Oscar-Rallye gleich drei Eisen im Feuer hat, ist eine echte Rarität. Aber zu optimistisch sollte man nicht auf die Verleihung am 10. März im Dolby Theatre in Los Angeles blicken. Durch den Covid-Stau war 2023 ein ungewohnt starker Kinojahrgang, in dem sich im gesamten Nominierungsgeschehen Christopher Nolans Atombomben-Epos „Oppenheimer“ (13 Nominierungen) und Greta Gerwigs pink-feministischer „Barbie“ (8 Nominierungen) als Boxoffice-Schwergewichte zusammen mit Yorgos Lanthimos‘ exzentrischen „Poor Things“ (11 Nominierungen) durchgesetzt haben. Aber gerade die Auszeichnung in der wichtigsten Kategorie „Bester Film“ bot in den letzten Jahren immer wieder Überraschungen. Selbst wenn Sandra Hüller nicht gewinnen sollte, hat ihr Film „Anatomie eines Falls“ immer noch gute Chancen sich als Außenseiter ganz nach vorne zu arbeiten.


Foto: [font=Univers]Sandra Hüller und Samuel Theis in “Die Anatomie eines Falls” Bild: Justine Triet[/font]

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