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Mythos Meinhof: Die Reihe „Oldenburger Lebensläufe“ widmete sich Ulrike Meinhof02.10.2019



Text und Foto  |  BRITTA LÜBBERS

Ulrike Meinhof vermag noch immer, die Menschen zu bewegen. Zumindest in Oldenburg ist das so. Hier wurde sie 1934 als Tochter eines Kunsthistorikerehepaares geboren. Ihr Vater war NSDAP-Mitglied und reichte zahlreiche Kunstwerke als „entartet“ an das NS-Regime weiter. Ulrike Meinhof ging in Oldenburg zur Schule, studierte in Münster und Marburg, wurde Konkret-Journalistin und Buchautorin, die anprangerte, was im Nachkriegsdeutschland im Argen lag – von der brutalen Heimerziehung bis hin zu politischen Kuschelbeziehungen mit Diktatoren, zum Beispiel mit dem Schah von Persien. Sie radikalisierte sich, ging in den Untergrund und galt fortan als Kopf der „Roten Armee Fraktion“ (RAF). 1976 wurde sie erhängt in ihrer Zelle im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim aufgefunden.
Zur Diskussion über den Mythos Meinhof kamen so viele Interessierte ins PFL, dass die Sitzplätze nicht ausreichten. Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung in der Reihe „Oldenburger Lebensläufe“, die von der Evangelischen Akademie, der Landesbibliothek, dem Kulturamt und der Karl-Jaspers-Gesellschaft organisiert wird und in der zuvor Persönlichkeiten wie der Philosoph Karl Jaspers und die Frauenrechtlerin Helene Lange in den Fokus gerückt worden waren, bildeten sich lange Schlangen vor der Kasse. Es ist mutig, Ulrike Meinhof in den Kanon der unbestritten verdienten Oldenburger aufzunehmen. Die Veranstalter hatten dafür schon im Vorfeld reichlich Kritik geerntet.
Dass Matthias Bormuth die Umstrittene nicht in Schwarzweiß-Kategorien abhandeln würde, machte er gleich im Eingangsstatement deutlich. Bereits in seinem Essay „Skizze einer Verunglückten“ hatte er ihre Radikalisierung als Ausdruck einer übersteigerten Moral definiert. „Sie war ein hochdifferenzierter Mensch, über den nachzudenken sich lohnt“, sagte er im PFL. Als Studentin in Marburg sei sie wie „eine kleine Sophie Scholl“ aufgetreten, ihre frühen Auseinandersetzungen, z.B. mit Literatur und Philosophie, seien faszinierend intellektuell. In ihren Kassibern, die sie später in Stammheim verfasste, habe sie ihr altes Ich als „bourgeois“ gegeißelt. Laut Bormuth ist nicht abschließend geklärt, ob ihr Tod ein Selbstmord war. Falls ja, so sei das Datum bedeutsam. Ulrike Meinhof starb in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai – dem Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus. Bormuth bezeichnete ihr Ende als „Selbstopfer einer Frau, die nicht mehr glaubte“.
Wolfgang Kraushaar legte sein Augenmerk auf das Radikale in Meinhof. „Ihr Glutkern war der Protest.“ Während eines Tagesschauberichts über den Krieg in Vietnam soll sie ausgerufen haben: „Das können sie mit mir nicht machen.“ Hier habe sich bereits ihr Weg in den Terror angedeutet, glaubt Kraushaar, der Anfang der 70er Jahre Aktivist der Frankfurter Sponti-Szene gewesen ist. „Sie definierte ihre Gewalt als Gegengewalt.“ Ulrike Meinhof engagierte sich in der verbotenen KPD. Die von ihr und ihrem Mann Klaus Rainer Röhl herausgegebene Zeitschrift Konkret sei von der SED gelenkt worden, unterstrich Kraushaar. „Sie hat nie ernsthaft Kritik an der DDR geübt.“ Nicht an der Mauer und nicht an den Mauertoten wie dem 18-jährigen Peter Fechner, der 1962 von DDR-Grenzern angeschossen wurde, im so genannten Todesstreifen zusammenbrach und dort verblutete – stundenlang, qualvoll und öffentlich. Als Journalistin habe Meinhof „zuallererst im Auftrag gehandelt“, sie sei wie eine ideologische DDR-Agentin aufgetreten. Ihr Urteilsvermögen sei tief gespalten gewesen. Allein die Namensgebung der selbst ernannten „Stadtguerilla“ als „RAF“ spreche Bände, spalte sie doch die Verbrechen, die die sowjetische Rote Armee begangen habe, einfach ab.
„Sie passt nicht in diesen Rahmen, sie ist ein absoluter Fehlgriff“, ärgerte sich ein Besucher, nachdem das Publikumsgespräch eröffnet war. Für diese Aussage gab es Applaus, aber nur sehr vereinzelt.
„Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, dass sie sich mit diesem unsäglichen Baader identifiziert hat“, wunderte sich ein anderer Gast und regte an, Meinhof als „autoritären Charakter“ zu betrachten. Nein, erwiderte Bormuth, sie sei kein Mensch gewesen, der blind gehorchte.
„Wie passt der Anschlag auf das Springergebäude zu dieser angeblich so sensiblen Frau? Wie passt es, dass sie 1972 den Mord an der israelischen Olympiamannschaft durch die palästinensische Terrorgruppe Schwarzer September ausdrücklich begrüßt hat?“, wollte eine Besucherin wissen. Kraushaar nickte und nannte Meinhofs Reaktion „verheerend und unfassbar“.
Als ein Zuhörer sich herablassend über die Liebfrauenschule äußerte, die Meinhof in Oldenburg besucht hatte, meldete sich eine ältere Frau zu Wort. „Ich war ihre Klassenkameradin“, sagte sie. „Die Liebfrauenschule hat einen sehr positiven Einfluss auf uns gehabt, auch auf Ulrike. Von Schwester Maria Ambrosine haben wir Menschlichkeit gelernt. Mit ihr sind wir nach dem Krieg zum Bahnhof gegangen, um den Flüchtlingen Lebensmitteln zu bringen. Auch Ulrike war dabei. Dass sie später Bücher wie ,Bambule‘ über die schlimme Heimkinderziehung geschrieben hat, das geht alles auf diese Schule zurück. Hier haben wir gelernt, dass wir für jene eintreten müssen, die schwächer sind.“
Schwester Ambrosine, so sagte die Frau noch, habe stets den Kontakt zu Ulrike Meinhof gesucht. Zum Schluss sandte sie ihr Briefe nach Stammheim.

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