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Wochenzeitung DIABOLO:
„Wir sind alle Voyeuristen!“
Interview mit Fatih Akin zu „Der Goldene Handschuh“14.02.2019

<i>Wochenzeitung DIABOLO:</i><br />„Wir sind alle Voyeuristen!“<br />Interview mit Fatih Akin zu „Der Goldene Handschuh“

interview  |  Dieter Oßwald

Fatih Akin, geboren 1973 in Hamburg, zählt zu den erfolgreichsten Regisseuren Deutschlands. 2004 wurde sein Drama „Gegen die Wand“ mit Sibel Kekilli unter anderem mit einem Goldenen Bären, dem Deutschen und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. 2007 erhielt „Auf der anderen Seite“ in Cannes den Preis für das beste Drehbuch. Mit „Aus dem Nichts“ legte Fatih Akin 2017 seinen bislang größten Erfolg vor. Das Drama um einen Neonazi-Anschlag gewann den Golden Globe und den Deutschen Filmpreis. Diane Kruger bekam in Cannes die Goldene Palme. Mit „Der Goldene Handschuh“ präsentiert der 45-Jährige eine Woche vor Kinostart auf der Berlinale die wahre Geschichte des Hamburger Serienmörders Fritz Honka, als Vorlage diente der gleichnamige Roman von Heinz Strunk. Mit dem Regisseur unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

DIABOLO: Herr Akin, Sie haben immer persönliche Bezüge zu Ihren Filmen. Wie sah das bei diesem Horror-Film aus?
Akin: Ich bin ein großer Fan von Charles Bukowski, den ich immer schon einmal verfilmen wollte. Aber das wäre in Los Angeles und zu weit weg. Als ich den Roman von Heinz Stunk gelesen habe, spürte ich ein starkes Bukowski-Echo. Zudem handelte es sich um die Geschichte eines Serienmörders in meiner Nachbarschaft. An diesem Projekt führte eigentlich gar kein Weg mehr vorbei.
DIABOLO: Sind Sie ein Fan von Horrorfilmen?
Akin: Absolut. Ich dachte immer, in Deutschland kann man Autorenfilme machen, so langweiliges Zeug eben (Lacht). Aber Genre-Kino ist nach wie vor schwierig, das wird den Amerikanern überlassen. Ich habe Liebe und Respekt für dieses Genre. Die Frage war, wie kann ich das sinnvoll in meine Arbeit einbauen. Bei dem Projekt war ich überzeugt, dass das funktioniert.
DIABOLO: War Honka Ihnen bekannt?
Akin: Nein, Honka ist irgendwie an mir vorbei gegangen. Entdeckt habe ich das alles erst durch den Roman.  
DIABOLO: Der Serienmörder als extremste Form im Umgang von Männern mit Frauen? Horrorfilm in Zeiten von #metoo-Debatten?
Akin: Ja natürlich, die #metoo-Debatten waren präsent. Die meisten Männer begreifen nicht, was Gewalt an Frauen bedeutet. Männer brauchen eine Art Schocktherapie über das Visuelle, und ich wollte die Gewalt deshalb explizit zeigen, so bedrückend wie sie ist. Der Film hat die größten Machos in meinem Bekanntenkreis völlig fertiggemacht.
DIABOLO: Wie blutig darf die Schlachtplatte auf der Leinwand ausfallen?
Akin: Die Frage ist, wie zeige ich das. Die Lösung lautet, dass ich mir die Gewalt selbst glauben muss. Gewalt als Selbstzweck zu zelebrieren, das kann ich nicht. Ich würde mir vorkommen wie ein Lügner. Ich wollte bei den Szenen nicht wegschwenken, aber auch keine Tarantino-Nummer daraus machen. Es ging um Wahrhaftigkeit und darum, die Würde zu behalten. Gegenüber den Opfern, aber auch gegenüber dem Mörder.
DIABOLO: Was hat der minutenlange Todeskampf der Erwürgten noch mit Würde zu tun?
Akin: Die Frau stirbt nicht so einfach, sondern sie möchte leben. Dieses Drama wollte ich drastisch darstellen. Das berührt und schockiert und erschüttert den Zuschauer. Genau das war dabei die Absicht.
DIABOLO: Die Absicht könnte man auch voyeuristisch nennen...
Akin: Wir sind alle Voyeuristen. Ob als Filmemacher oder als Menschen. Wer fährt an einem Unfall vorbei und schaut nicht hin? Voyeurismus ist auch etwas Positives, ein Überlebensinstinkt. Das weiß ich von unserer Psychologin, die am Set dabei war.
DIABOLO: Weshalb hatten Sie eine Psychologin beim Dreh dabei?
Akin: Das war die Idee unserer Produzentin. Sie wollte, dass bei solchen drastischen Szenen jemand da ist, der den Schauspielern das Gefühl von Sicherheit gibt. Zu ihr musste niemand hingehen, aber es war gut, dass es die Möglichkeit dazu bestand.  
DIABOLO: Hat jemand psychologische Hilfe in Anspruch genommen?
Akin: „Mir geht’s so schlecht, wo ist die Couch“-Fälle hat es nicht gegeben. Man hat eher zu Recherche-Zwecken bei der Psychologin nachgefragt, wie es den jeweiligen Personen wohl in bestimmten Situationen gegangen sein muss.  
DIABOLO: Im Unterschied zum Roman lassen Sie die Vorgeschichte der Figuren weg, aus welchem Grund?
Akin: Im Drehbuch war das ursprünglich vorhanden, aber instinktiv habe ich mich dann dagegen entschieden. Man kann solche pathologischen Taten auch gar nicht erklären. Zudem erlaubt mir das eine viel größere kreative Freiheit, da kann man auf die Leinwand malen. Am Ende des Tages ist es ja nur ein Film. (Lacht)
DIABOLO: Nur ein Film ist auch Ihr nächstes Projekt über Marlene Dietrich mit Diane Krüger, wie kam es dazu?
Akin: Das war Dianes Idee. Ich dachte zunächst, was habe ich denn mit Marlene Dietrich zu tun? Ich komme aus Hamburg-Altona! Aber Diane lag mir in den Ohren und meinte, „du kannst das!“. Nach dem die Arbeit mit ihr bei „Aus dem Nichts“ so großartig verlief, habe ich mich mit dem Material über Marlene Dietrich beschäftigt. Und habe dann doch einige Querverbindungen zwischen mir und der Dietrich entdeckt. Derzeit sind wir am Schreiben des Drehbuchs, gedreht werden soll im nächsten Jahr.

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