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Filme im Kino
MoX Kino-Tipps KW2412.06.2024
Texte: Horst E. Wegener
The Bikeriders
USA `23; R: Jeff Nichols. Ab 20.6. Wertung: **** Bild: Focus Features LLC.
Chicago in den 1960ern: Hellauf begeistert vom kultigen Outlaw-Drama „The Wild One“ mit Marlon Brando als aufmüpfigem Motorradgang-Leader, der ihn in der Glotze faszinierte, beschließt Trucker und Familienvater Johnny (Hardy) ebenfalls einen Bikerclub zu gründen. Schart lauter Aussteiger, Wehrdienstverweigerer und Randexistenzen um sich – und baut den größten Hitzkopf der Vandals genannten Truppe, den Heißsporn Benny (Butler) zu seinem Stellvertreter auf. Dem Rabaukencharme dieser Nummer Zwei erliegt auch Kathy (Comer) von der ersten Sekunde an, in der sie und der sich in einer Kneipe hinterm Billardtisch in Positur stellende Benny Augenkontakt haben; gut fünf Wochen später sind die beiden verheiratet. Da Kathy weder eine eigene Maschine noch einen Motorradführerschein hat, reicht´s ihr lange, sich hinter ihrem Liebsten auf den Soziusplatz zu schwingen, wann immer die Gang zu ihren Spaß-, Sauf- und oftmals in Prügeleien ausartenden Spritztouren durchstartet.
Inspiriert von einem coolen Biker-Fotobuch aus den Sixties führt uns Regisseur Jeff Nichols in sein atmosphärisch stimmiges und adrenalin-gesättigtes Outlaw-Drama ein: In Gesprächen mit dem Fotograf Danny (Faist), der für einen Bildband über Bikerclubs recherchiert, lässt die Regie Kathy mal über ihre Liebe zu Benny und dessen Leidenschaft zum Motorradfahren räsonieren – oder vom zunehmenden Abdriften der Vandals ins Kriminelle erzählen, die sich als immer mächtiger werdende Gang zusehends mehr über Unterweltdeals in Sachen Drogen, Prostitution und Glücksspiel finanzieren. Da Kathys Liebster grundsätzlich keiner Auseinandersetzung mit Konkurrenten aus dem Weg geht, kommt Benny irgendwann an jener Wegmarke an, vom der aus er sich zwischen seiner Loyalität zum Ersatzvater Johnny und seiner Liebe zu Kathy entscheiden müsste. So schwer es Benny und Co bisweilen auch fallen mag, uns manche ihrer Beweggründe nachvollziehbar schauspielerisch zu vermitteln, die Begeisterung der Großstadt-Biker fürs Cruisen à la „Easy Rider“ wird einem immerhin präzise durchexerziert, was definitiv Lust auf ´ne Motorrad-Spritztour ins Umland macht.
D: Austin Butler, Jodie Comer, Tom Hardy, Mike Faist, Michael Shannon, Boyd Holbrook.
Problemista
USA ´23 R: Julio Torres. Ab 13.6. Wertung: **** Bild: FreezeCorp LLC.
Insgeheim liebäugelt Alejandro (Torres) schon lange damit, beim Welt-Konzern Hasbo einen Job als Spielzeugdesigner zu ergattern. Da man von seinen hoffnungsvoll eingereichten ´spinnert-skurrilen Ideen dort aber nichts wissen will, heuert der mit einem Arbeitsvisum aus El Salvador ins Land seiner Träume eingereiste Möchtegern-Kreative notgedrungen bei FreezeCorp an, einer New Yorker Firma, die Künstler auf deren Wunsch hin einfrieren, um sie in ferner Zukunft erneut aufzutauen, sobald sich für deren Werke absehbar bessere Erlöse erzielen lassen. Nachdem Alejandro dann aber hinsichtlich des ihm zur Betreuung zugewiesenen Künstlers Bobby Ascencio (RZA) ein blamables Missgeschick passiert, feuert man ihn. Laut Immigrations-Anwalt Khalil (Nakli) bleiben dem Pechvogel gut 30 Tage, um einen neuen Arbeitgeber zu finden, bevor sein US-Visum verfällt. Bobbys Ehefrau und quasi-Witwe Elizabeth (Swinton), die sich als Underground-Kunstkritikerin längst schwer damit tat, für die monatlich anfallenden Einfrierungs- und Lagerungsgebühren ihres Gatten aufkommen zu müssen, bietet Hilfe an: Sie würde Alejandro als Assistent engagieren, wenn er zuvor als Kurator eine Galerie für Bobbys bizarre Kunstwerke organisiert. Während die Zeit tickt, entpuppt sich Kunstkritikerin Elizabeth als Albtraum-Boss, schleust ihren vielleicht-Assistenten auf eine nicht enden wollende Achterbahnfahrt durch New Yorks Künstlerszene – und Julio Torres, gleichzeitig Hauptdarsteller und „Problemista“-Regisseur, lässt diesen Trip nicht einmal damit enden, dass Elizabeth irgendwann beschließt, sich ebenfalls einfrieren zu lassen…
Fantasiebegabt, schrill-komisch, genial besetzt taugt Torres Szenekunst-Farce definitiv zum Programmkino-Geheimtipp.
D: Julio Torres, Tilda Swinton, RZA, Catalina Saavedra, James Scully, Laith Nakli.
Ein Schweigen – Un Silence
Belgien/Frankreich/ Luxemburg ´23: R: Joachim Lafosse. Ab 13.6. Wertung: **** Bild: Films Du Losange
Nun schon seit Jahrzehnten wird Francois Schaar (Auteuil) seinem Ruf als ein Staranwalt gerecht, der bei den spektakulärsten Fällen die Rolle des mit allen Wassern gewaschenen Verteidigers par excellence ausfüllt. Bei seinem aktuellen Prozess geht es um einen Fall von Pädophilie und Inzest, verbunden mit dem üblichen Interesse der Öffentlichkeit am Verfahrensverlauf, zusätzlich angeheizt durch die mediale Berichterstattung. Als dann aber Vorwürfe hochköcheln, die eine Parallele von Schaars derzeitigem Fall zu einem möglichen Fehlverhalten in dessen eigener Familie andeuten, droht ein mühsam ausgeblendetes Geheimnis der Schaars die gesamte Familie nach einem über Jahrzehnte praktizierten inneren Verdrängungsprozess aus dem Gleichgewicht zu kippen. Dass Francois´ Ehefrau Astrid (Devos) gut 25 Jahre lang geschwiegen hatte und es vorzog, unter der Schuld, die sie somit auf sich lud, zu leiden wie ihr Sohn (Galoux), setzt ihr jetzt umso mehr zu - zumal Journalisten damit beginnen, das Anwesen der Schaars zu belagern.
Regisseur Joachim Lafosse stellt diese Medienvertreter als sensationsgeile Meute dar, die die fragil austarierte Ruhe im Schaar´schen Domizil zusätzlich durchlöchert. Ansonsten verlegt sich die Regie aufs Beobachten und das schrittweise Enthüllen vom Francois´ einstigem schuldbeladenen Verhalten – zieht die Spannungsschrauben endgültig in einer finalen Verhörszene an, bei der die Familienmitglieder getrennt befragt werden. „Ein Schweigen“ punktet mit dialogstarkem Schauspielerkino und der klug inszenierten Hinterfragung von Schuld, Sühne, Verdrängung; sehenswert.
D: Daniel Auteuil, Emmanuelle Devos, Matthieu Galoux, Jeanne Charhol, Louise Chevilotte.
Niemals allein, immer zusammen
Deutschland ´24: R: Joanna Georgi. Ab 13.6. Wertung: *** Bild: Neue Visionen Filmverleih
Mit Quang, Patricia, Simin, Zaza und Feline stellt uns Dokumentarfilmerin Joanna Georgi junge Berliner Überzeugungstäter vor, die sie über ein Jahr hinweg in ihrem Alltagskampf mit der Kamera begleitet. Die Fünfe eint der Wunsch, die Welt zu verbessern - was aus ihrer Sicht bedeutet, dass man sich entweder bei Initiativen wie Fridays for Future, Deutsche Wohnen und Co enteignen oder Demos für die Aufarbeitung rassistisch motivierter Gewalt mit aller Kraft engagiert. Man nutzt seine Social-Media-Kanäle, ist in der eigenen Community bestens vernetzt – und sieht die Möglichkeiten, unser aller Umwelt nachhaltig zu verändern, kompromisslos eher durch linksradikal eingefärbte Brillengläser.
Letzteres mag auch damit zusammenhängen, dass sich Filmerin Georgi ebenfalls dem Aktivistinnen-Lager zugehörig fühlt, ihre Crowdfunding-finanzierte Langzeit-Doku das private Umfeld und die familiären Hintergründe ihrer Möchtegern-Weltverbesserer außen vor lässt und die Truppe fast ausschließlich in ihrem jeweiligen Arbeitsumfeld und bei Demos mit der Kamera begleitet. Tyoisch, dass andere Meinungen und Ansichten unerwünscht scheinen – ganz wie im alltäglichen hier und jetzt.
Doku.
Ivo
Deutschland ´24: R: Eva Trobisch. Ab 20.6. Wertung: *** Bild: Adrian Campean
Als Palliativpflegerin findet Ivo (Windrich) selten Ruhe, düst sie mit ihrem Auto von einer Patientenwohnung zur nächsten, checkt die Medikamente und spricht den unheilbar Kranken sowie deren Angehörigen Trost oder Mut zu. Immer mal wieder kommt dann die Bitte nach ermöglichter Sterbehilfe auf, die gegebenenfalls von Ivos Arbeitgeber quasi unter der Hand angeboten wird. Eine Gratwanderung für alle Beteiligten – zumal dieses Angebot hierzulande nach wie vor strafbar ist. Und die Abwägung, inwieweit man bei solchen Offerten ihres Chefs mittut, nimmt besonders heikle Züge an, wenn es um eine Patientin geht, mit der Ivo schon befreundet war, bevor diese wie im Fall von Solveigh (Hierzegger) unheilbar erkrankte. Zusätzlich erschwert wird die Entscheidung, vor der man somit steht, durch eine Affäre, die Ivo sich insgeheim mit Solveighs Mann Franz (Turtur) leistet.
Dass es Regisseurin Eva Trobisch nicht wirklich gelingt, uns ihre Figuren näher zu bringen, wirkt sich leider auch auf das schwierige Thema Sterbehilfe aus; „Ivo“ bleibt anders als Matthias Glasners „Sterben“ hinter dem Machbaren und seinen Möglichkeiten zurück. Schade!
D: Minna Windrich, Pia Hierzegger, Lukas Turtur, Lilli Lacher, Johann Campean, Lea Gerstenkorn.
Was uns hält
Italien ´20: R: Daniele Luchetti. Ab 20.6. Wertung: **** Bild: Pyramide Distribution
Solange Aldo (Lo Cascio) sich in seiner Sendung im Radio zu Büchern äußert und geistreich seziert, was sie uns über das Verhältnis von Mann und Frau oder das Leben im Allgemeinen sagen könnten, ist und bleibt er im Bilde. Im wirklichen Leben gelingt es ihm viel seltener, solche Zeichen korrekt zu deuten. Und so kommt er zu dem Schluss, dass es wohl besser wäre, jene Affäre, auf die er sich mit Kollegin Lidia (Caridi) einließ, seiner Frau (Rohrwacher) zu beichten. Natürlich ist Vanda, die gehörnte Ehefrau über diesen Fehltritt alles andere als glücklich - ihr geständiger und reumütiger Gatte übersiedelt zwar von Neapel nach Rom, wo er zu Lidia zieht, kann und will seinerseits aber weder Vanda noch die beiden gemeinsamen Kinder Anna und Sandro ganz aufgeben. Also pendelt er. Regisseur Daniele Luchetti, dessen italienisches Sittengemälde auf einer Romanvorlage basiert, springt mit seiner episodisch angelegten Geschichte von Anfang der 1980er-Jahre in eine Gegenwart, in der uns Aldo und Vanda alsbald als älteres Paar präsentiert werden, die von der Regie mit zwei anderen Schauspielern (Orlando/ Morante) besetzt sind – und deren Kinder mittlerweile als Erwachsene (Giannini/ Mezzogiorno) an eigenen Problemen zu knabbern haben. Die These der Vorlage und der Verfilmung deutet natürlich an, dass die Probleme der Kinder auf dem einstigen Fehltritt des Vaters fußen; dass aber nie eindeutig geklärt wird, ob Aldo die Affäre von Vanda verziehen wurde, und inwieweit man sich trotz der Untreue wieder zusammenraufen mochte, wächst sich zur Schwachstelle von „Was uns hält“ aus, kann von den schauspielerischen Bravouraleistungen Rohrwachers und Lo Cascios nur teilweise ausgeglichen werden.
D: Alba Rohrwacher, Luigi Lo Cascio, Laura Morante, Silvio Orlando, Giovanna Mezzogiorno, Adriano Giannini, Linda Caridi.