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Wochenzeitung DIABOLO:
Eine Kämpferin
Interview mit Pernille Fischer Christensen zur Lindgren-Bio „Astrid“06.12.2018
interview | Dieter Oßwald
Ihre erste Auszeichnung bekam Pernille Fischer Christensen, eine der erfolgreichsten Regisseurinnen Dänemarks, 1999 in Cannes für ihren Kurzfilm „Indien“, den sie während ihres Studiums an der National Film School of Denmark drehte. Ihr Spielfilm-Debüt „A Soap“ wurde 2006 auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Darüber hinaus gewann der Film den Preis für das beste Drehbuch in San Sebastian sowie den Preis der Dänischen Filmkritik. Ebenfalls auf der Berlinale liefen „Someone you love“, „Eine Familie“ sowie in diesem Jahr „Astrid“, ein Liebesdrama über die junge Astrid Lindgren. Beim Filmfest Zürich unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald mit der Regisseurin.
DIABOLO: Frau Christensen, als Feministin war Astrid Lindgren ihrer Zeit voraus. Wie passt Ihre Geschichte zu der aktuellen #MeToo-Bewegung?
Christensen: Diese Frage wird mir häufig gestellt. Tatsächlich entstand das Drehbuch zu diesem Film lange vor der #MeToo-Bewegung, insofern gab es keinen unmittelbaren Bezug. Für mich ist diese Geschichte vor allem eine Liebesgeschichte. Astrid braucht diesen Journalisten, um ihren Weg in die Freiheit zu finden und Erfahrungen im Leben zu sammeln – was für sie keineswegs so einfach ist.
DIABOLO: Hätten Sie gerne in dieser Zeit gelebt, als vieles möglich war und etliches verboten?
Christensen: Das kommt immer auf die Umstände und die Herkunft an. In Berlin boten die 20-er Jahre eine Bühne der Freiheit und Experimente, auch was die Sexualität betraf. In etlichen Ländern wurde erstmals das Frauenwahlrecht eingeführt und Rechte der Frauen gestärkt. In der Provinz hingegen, wo Astrid mit ihrer streng religiösen Familie lebte, herrschten Zustände wie noch hundert Jahre zuvor. Wer hier rebellierte, der riskierte den Ausstoß aus der Gesellschaft.
DIABOLO: Immerhin hat sich vieles verbessert…
Christensen: Zumindest für westliche Länder kann man das zum Glück so sagen. Ich hoffe, diese Entwicklung geht weiter. Wir brauchen sexuelle Freiheit. Nicht nur Frauen, auch Lesben, Schwule und Transgender müssen gleichberechtigt akzeptiert werden in der Gesellschaft. Für Astrid gehörte es zu den schlimmsten Erlebnissen, dass ihr diese Akzeptanz nicht zuteil geworden ist.
DIABOLO: Was war Ihre Absicht mit diesem Film?
Christensen: Unser Ziel war es, Astrid Lindgrens Liebe zu zeigen und ihre Fähigkeit darzustellen, wie sie mit einfachen Worten über schwierige Themen wie Leben und Tod berichten konnte. Frauen wie Astrid haben für andere Frauen den Weg gebahnt.
DIABOLO: Karen Nymann, die Tochter von Astrid Lindgren reagiert wenig freundlich auf Ihren Film. Haben Sie mit dem unehelichen Kind ein Geheimnis verraten?
Christensen: Nein, die Geschichte des unehelichen Kindes war seit Jahrzehnten bekannt. Die Reaktion von Astrids Tochter Karen Nymann verstehen wir nicht. Mein Film über die Jugend von Astrid Lindgren ist eine persönliche Hommage an eine der großartigsten Künstlerinnen Skandinaviens. Eine Liebeserklärung an eine Frau, die mit ihrer starken Persönlichkeit die herrschenden Normen von Geschlecht und Religion ihrer Gesellschaft gesprengt hat.
DIABOLO: Haben Sie durch den Film etwas Neues gelernt über Astrid Lindgren?
Christensen: Für mich war Astrid Lindgren immer diese alte Märchentante, eine Ikone jenseits der Wirklichkeit. Bei meinen Recherchen wurde mir dann deutlich, wie sehr sie tatsächlich die Bezeichnung Ikone verdient hat. Was sie erlebt hat und wie sie alles durchsteht, ist bewundernswert. Wenngleich sie noch ein Teenager ist, verhält sie sich in unserer Geschichte viel verantwortungsvoller als alle Erwachsenen ihrer Umgebung. Astrid stellt sich dieser neuen Situation nach der Geburt. Da geht es nicht mehr um Religion, um Schuld oder Scham: Es geht allein um das Baby und darum, wie man damit lebt.
DIABOLO: Biografien, zumal im Kino, geraten oft zur Denkmalpflege mit Heiligenschein. Wie sind Sie dieser Gefahr begegnet?
Christensen: Mir war wichtig, Astrid als Menschen zu zeigen. Als eine Kämpferin, die durchaus Zweifel hat und eben nicht das perfekte Rezept fürs Leben besitzt. Astrid muss gegen die Widrigkeiten im Leben kämpfen, so wie wir es alle tun. Sie stellt sich ständig die Frage, wie sie ein guter Mensch sein kann und wie man die Dinge richtig macht.
DIABOLO: Bei Zeitsprüngen zur berühmten Autorin werden Briefe von Kindern an sie vorgelesen. Sind das Originale oder erfundene Texte?
Christensen: Astrid Lindgren bekam in ihren späten Jahren täglich Hunderte von Briefen von Kindern. Wir haben uns das verfügbare Archivmaterial angesehen und daraus dann unsere Briefe im Film zusammengestellt. Die Texte mussten schließlich thematisch zu der Geschichte passen.
DIABOLO: Wie viel von Astrid Lindgren steckt in Pippi Langstrumpf?
Christensen: Das kann ich eigentlich gar nicht beantworten. Bei unseren Recherchen haben wir allerdings ein altes Foto mit ihrer Schulklasse gefunden. Da sitzen alle Kinder brav auf ihren Stühlen – nur eines nicht. Und man kann regelrecht die Stimme des Lehrers hören: „Astrid, setz‘ dich bitte hin!“.
DIABOLO: Wenn Astrid nun durch die Türe käme, was würden Sie sie fragen?
Christensen: Was ich Astrid fragen würde? Können Sie mir bitte verzeihen?! (Lacht)
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