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MoX-Buchfavorit:„Faserland“ von Christian Kracht07.12.2021
Interview und Foto: Thea Drexhage
MoX: Worum geht es in dem Buch?
Dr. Andreas van Hooven: Es ist eine Roadstory. Ein junger, namenloser, aus gutem Elternhause stammender Mann ist auf Sylt an der Nordspitze in der nördlichsten Fischbude Deutschlands, bei Gosch, isst dort seinen Fisch und trifft eine Freundin. Mehrere Ereignisse auf seiner Reise quer durch Deutschland, von der Nordspitze bis hin zum Bodensee werden beschrieben, die er nahezu reflexionslos aufnimmt und die ihn erschrecken. Viele gesellschaftliche Verwerfungen gehobener Klasse spielen eine Rolle, Sexorgien, Drogen und so weiter, in denen er aber nur so halb drin ist und die er zurücklässt. Aber es ist nicht so, dass er dann, wie man es erwarten würde, einen Schlussstrich zieht und aussteigt aus dieser Gesellschaft oder dass er komplett darin versinkt. Er bleibt immer dazwischen und kann sich nicht entscheiden. Am Ende bleibt er völlig identitätslos zurück. Der Roman ist damals dafür kritisiert worden, dass es eine Identitätskrise bei dieser Figur gäbe, man aber als Leser nicht so richtig erklärt bekommt, weswegen er denn jetzt eine Krise hat. Ich würde heute so weit gehen und sagen, dass die namenslose Hauptfigur gar keine Identität besitzt. Es ist ein Mensch, der einfach wesentlich älter biologisch ist als er seelisch ist und gar nicht weiß, wer er selbst ist, wofür er steht und was seine Positionen sind. Diese ziellose Reise ist so spannend gestaltet, mit einem echt schnoddrigen, sehr einfachen Sprachstil, der zur Figur passt, sodass man gar keine Distanz zwischen Erzähler und der Figur hat, dass ich das Buch damals einfach so weggelesen habe.
MoX: Was hat Ihnen besonders gut gefallen?
Dr. Andreas van Hooven: Das Besondere ist, dass seine Erzähl- und Schreibtechnik zum damaligen Zeitpunkt sehr radikal gewesen ist, weshalb er angefeindet wurde im gehobenen Literaturbetrieb. Der Schreibstil wurde angefeindet als schnoddrig und lax bis hin zur Gedankenlosigkeit. Die Kompromisslosigkeit im Schreibstil, dass der Erzähler mit der Figur selbst verschmolzen ist und wir dann als Leser mit der Hauptfigur verschmelzen, wenn wir uns darauf einlassen, hat mich umgehauen damals. Wenn man natürlich schon auf der ersten Seite nicht mit der Sprache einverstanden ist, dann wird das nicht gelingen. Man bleibt mit einigen Fragezeichen zurück am Ende, aber wenn man darüber ein wenig nachdenkt, kann man vieles aus diesem Buch für sich selbst mitnehmen.
MoX: Wie haben Sie das Buch gelesen?
Dr. Andreas van Hooven: Ich habe es als Erstausgabe gelesen, sofort nach Erscheinen im Sommer 1995. Es ist ein Sommerroman, der auch bei mir persönlich gut in die Zeit passte, da ein Umzug nach Berlin anstand.
MoX: Wem würden Sie das Buch empfehlen?
Dr. Andreas van Hooven: Es ist ein Buch für eine jüngere Generation, bis 30 Jahre. Für ältere Semester ist es eher etwas, wenn man für Literatur offen ist und ein Stück lesen will, dass man einordnen kann in eine bestimmte Epoche.
MoX: Was wissen Sie über den Autor?
Dr. Andreas van Hooven: Christian Kracht ist ja ein sehr umstrittener Zeitgenosse. Er stammt aus einer sehr vermögenden Familie aus der Schweiz. Daher wurde auch spekuliert, dass er “Faserland” aus diesem Grunde bei Kiepenheuer & Witsch unterbringen konnte.
Sein Vater war hochrangiger Manager bei Axel Springer. In jungen Jahren war er selbst als Journalist bei einem Magazin aus dem Verlag in Hamburg unterwegs. Mit Mitte 20 wurde er dann durch diesen Erstlingsroman Schriftsteller und hat seitdem in losen Etappen neue Werke vorgelegt, die alle mit dem Absurden spielen.