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MoX Kinotipps KW2228.05.2024













Texte: Horst E. Wegener

Golda – Israels eiserne Lady
GB ´23: R: Guy Nattiv. Ab 30.5. Wertung: ***** Bild: Jasper Wolf
Am 6. Oktober 1973 rückten ägyptische, syrische und jordanische Streitkräfte in einer konzertierten Aktion gen Sinai-Halbinsel und Golanhöhen vor, um jene Gebiete von Israel zurückzuerobern, die man im Sechstagekrieg verloren hatte. Der Tag des Überraschungsangriffs war ganz bewusst gewählt, da er auf den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur fiel – ein Datum, an dem Israels Armee, Geheimdienste, Politik und die Bevölkerung insgesamt deutlich weniger wachsam agierten als sonst. Noch während sich die Nation mühte, das Ausmaß dieser existenziellen Bedrohung abzuschätzen, rief Ministerpräsidentin Golda Meir ihr Kabinett zusammen, um über das weitere Vorgehen des israelischen Staates zu beratschlagen. Es galt in einem Wettlauf gegen die Zeit schicksalhafte Entscheidungen zu treffen, um Millionen von Menschenleben vorm Kriegstod zu bewahren. Meir, die seit 1969 als eine der ersten Frauen weltweit in ein solch herausragendes politisches Amt gewählt worden war, sah sich im Nu damit konfrontiert, sich gegen ihr ansonsten ausschließlich männlich besetztes Kabinett fortwährend durchsetzen zu müssen; dass sie zu diesem Zeitpunkt wegen Lymphdrüsenkrebs behandelt wurde, war ein gut gehütetes Geheimnis, kam dennoch erschwerend hinzu. Dabei ließ sich Meir weder von ihren einmal getroffenen Entscheidungen durch Geheimdienstler, Militärs oder andersdenkenden Politikern abbringen, noch mochte Israels eiserne Lady dem Rauchen auch nur eine Sekunde lang abschwören.
Guy Nattivs Spielfilm über jene schicksalhaften Tage während des Jom-Kippur-Krieges spielt zumeist in Kommandozentralen und verrauchten Hinterzimmern: Man beugt sich über Landkarten, durchdenkt die Taktik der Feinde, sucht nach Lösungen. Gelegentlich telefoniert Kettenraucherin Meir (herausragend von Helen Mirren gespielt) mit US-Außenminister Henry Kissinger (Schreiber), dessen Nation zu jener Zeit heillos in Präsident Nixons Watergate-Skandal verstrickt ist; sichtlich vertraut miteinander besprechen die beiden Politiker die Form und das Ausmaß der Unterstützung durch die Schutzmacht USA.
Dem Golda Meir-Biopic gelingt es in aller Kürze zunächst anzudeuten, wie die seit ihrer Gründung von arabischen Rivalen und Feinden umgebene israelische Nation immerzu ums reine Fortbestehen kämpfen muss. Dass der Jom-Kippur-Krieg nach 19 Tagen von den israelischen Streitkräften gewonnen wurde, gilt seither als einer der größten militärischen Erfolge des Landes, ebnet andererseits aber auch vielen Problemen den Weg, die sich bis heute auswirken. Durch unbeabsichtigte Bezüge zu den Tagen seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 weist der Film über sich hinaus; realisiert wurde er bereits anno ´22 und lief auf der Berlinale im Frühjahr ´23. Es ist und bleibt tragisch, vor allem die schicksalhaften Parallelen von 1973 zu 2023 im Film vor Augen geführt zu bekommen – und sich sagen zu müssen, dass ein Ende des aktuellen Konfliktes mitsamt Freilassung der durch die Hamas verschleppten Geiseln hin zu Terror und Elend im Gaza-Streifen und ringsumher weniger denn je in Sicht ist.
D: Helen Mirren, Rami Heuberger, Liev Schreiber, Lior Ashkenazi, Jonathan Tafler, Zed Josef, Claudette Williams, Henry Goodman, Olivia Brody, Emma Davies.


May December
USA ´23: R: Todd Haynes. Ab 30.5. Wertung: **** Bild: Francois Duhamel/ Netflix
Sie war eine verheiratete Frau von Mitte Dreißig und er ein 13 Jahre junges Bürschlein, als die beiden insgeheim ein Liebespaar wurden. Nachdem Gracies Affäre mit Joe aufflog, was in einen handfesten Skandal einmündete und vor Gericht endete, verurteilte man sie wegen Verführung eines Minderjährigen zu etlichen Jahren Gefängnis. Doch kaum war diese Strafe abgebüßt, gaben sich die Freigängerin (Moore) und ihr mittlerweile volljähriger früherer Liebhaber (Melton) das nun endlich mögliche Ja-Wort. Das alles ist mehr als zwanzig Jahre her – und die beiden sind immer noch miteinander verheiratet; mitsamt Kindern, die kurz vor dem Highschoolabschluss stehen. Nach außen gibt man das Bild einer glücklichen Familie ab - Risse tauchen erst auf, als sich ein Filmprojekt ankündigt, in dem es um die Beziehung von Gracie und ihrem Ehemann Joe gehen soll. Die namhafte Schauspielerin Elizabeth Berry (Portman), als Hauptdarstellerin mit von der Partie, lässt bei der Familie anfragen, ob sie sich vor Ort ein Bild machen dürfte, um deren Leben, Leid und Liebe präzise in ihre Rolle einzuarbeiten. Das ist ganz im Sinn von Gracie, die in Gesprächen mit dem Kinostar bald alles tut, um einen positiven Eindruck von sich, ihrer Ehe, ihrer Familie und ihrem Alltag zu vermitteln. Scheinbar freunden sich die beiden Frauen an, und Elizabeth beginnt damit, Gracies Mimik und Allüren anzunehmen, macht sich dann allerdings irgendwann auch an Joe heran – der diese Avancen prompt erwidert.
Todd Haynes, spätestens seit „Carol“ (2015) Spezialist für komplizierte Frauengeschichten, greift in „May December“ eine wahre Affäre auf, mit der eine US-amerikanische Lehrerin in den 1990ern für einen Skandal und die entsprechenden Schlagzeilen sorgte. Für seine fiktive Aufbereitung dieses Falls arbeitet die Regiegröße mit Thrillerelementen à la Hitchcock, setzt er uns seine verrätselt inszenierte Psychostudie häppchenweise vor – und kann sich dabei vor allem auf das überragend schauspielernde Frauenduo Moore/ Portman verlassen. Beeindruckend bis zuletzt!
D: Julianne Moore, Natalie Portman, Charles Melton, Cory Michael Smith, Elizabeth Yu, Gabriel Chung.


Nathalie – Überwindung der Grenzen
Schweiz/ Frankreich ´22: R: Lionel Baier. Ab 30.5. Wertung: *** Bild: W-Film distribution
Sizilien im Sommer 2020: Dem Flüchtlingslager beim Catania steht hoher Besuch durch die damaligen Staatslenker Angela Merkel und Emmanuel Macron bevor, was vor Ort vor allem der PR-Beauftragten Nathalie Adler (Carré) jede Menge Vorarbeit und Stress beschert. Um diese diplomatisch herausfordernde Mission möglichst zur Zufriedenheit der Regierungsoberen absolvieren zu können, soll sich Adler im Vorfeld sowohl mit Vertretern der deutschen als auch der französischen Regierung abstimmen – und trifft dabei auf ihre Ex-Geliebte Ute (Lardi) und deren französischen Gegenpart Charlan (Villa). Besonders letzterer ist bei seiner Ankunft nicht nur von der Sauberkeit im Camp überrascht, auch dass die vielen afrikanischen Migranten vor Ort oftmals fließend Französisch sprechen, befremdet ihn ungemein. Aber vielleicht ließe sich ja ein Flüchtling dazu überreden, beim für den hohen anstehenden Besuch simulierten Aufnahmegesprächsprotokoll wenigstens in gebrochenem Französisch zu antworten? Die Inszenierung, die dem französischen vorab-Kommando vorschwebt, soll natürlich in erster Linie dazu dienen, Staatsmann Macron eine positive PR zu verschaffen, ist aber angesichts der Gegebenheiten in Catania zum Scheitern verdammt. Und neben den permanenten Kabbeleien von Charlan mit seinem deutschen Gegenüber Ute, die von Koordinatorin Adler austariert werden müssen, gilt es für die zusehends Gestresste auch noch in den verbalen Clinch mit dem urplötzlich auftauchenden eigenen Sohn (Pellerin) zu gehen. Der ist als Aktivist für eine gemeinnützige Organisation nach Sizilien gereist – und liegt mit der lange nicht gesehenen Mutter, die sich von seinem Vater scheiden ließ, als er noch ganz klein war, fortwährend über Kreuz.
Die vom Schweizer Regisseur Lionel Bauer gewählte Verknüpfung einer tragikomischen Mutter-Sohn-Beziehungsgeschichte mit der EU-brisanten Migrationsproblematik kommt einer heiklen Gratwanderung gleich, kann aber unterm Strich als gelungen und federleicht-sommerkomödiantisch ausgeleuchtet eingestuft werden. Weshalb allseits Hoffnung heraufdämmert – sowohl, dass Nathalie ihr schwieriges Verhältnis zum Sohn wieder zu kitten vermag, und man letztlich in der EU in puncto Flüchtlingspolitik Licht am Ende des dunklen Tunnels zumindest erahnen kann.
D: Isabelle Carré, Théodore Pellerin, Ursina Lardi, Ivan Georgieu, Tom Villa.


Alle die Du bist
Deutschland/ Spanien ´24: R: Michael Fetter Nathansky. Ab 30.5. Wertung: *** Bild: Universum Film
Einst kehrte die alleinerziehende Maschinenbauerin Nadine (Schwarz) ihrer brandenburgischen Heimat den Rücken, um im Rheinischen Braunkohlerevier wieder Arbeit zu bekommen. Doch nun am neuen Wohnort kommt ihr jener Mann (Ljubek), mit dem sie seit Jahren verheiratet ist, zusehends wie ein Fremder vor – nicht nur weil der die Arbeitslosigkeit fürchtende Paul immer mal wieder an Panikattacken leidet. Dann erscheint er Nadine doch tatsächlich in der Gestalt eines Rindviechs, bei anderer Gelegenheit sieht sie in ihm mal  ein Kind, einen Twen oder sogar eine Mutterfigur. Verständlich also, dass Pauls Ehefrau längst Schwierigkeiten hat, die romantischen Gefühle, die sie vor Jahren für ihren Mann hegte, in sich weiterhin entfachen zu können. Und so fragt sich Nadine immer öfter, was sie zu Beginn ihrer Liebesbeziehung in dem ihr fremd gewordenen Gatten sah - oder mehr noch: warum sie diese besondere Emotionen kaum mehr fühlt.
Das sozialromantische Beziehungsdrama lebt von stimmigen Dialogen, einem magischen Bildrealismus und einer virtuos gehandhabten Montagetechnik, bei der „Alle die Du bist“-Regisseur Michael Fetter Nathansky seinen Cutter beständig zwischen der filmischen Gegenwart mit ihrer routiniert erstarrten Liebesgeschichte und einer Vergangenheit, in der sich Paul und Nadine kennenlernten, hin und her kobolzen lässt. Die vertrackt inszenierte Entliebungs-Mär, uraufgeführt bei der diesjährigen Berlinale, entpuppt sich als echtes Programmkino-Schmankerl.    
D: Aenne Schwarz, Carlo Ljubek, Sara Fazilat, Naila Schuberth, Youness Aabbaz, Jule Nebel-Linnenbaum.


The End we start from
GB ´23: R: Mahalia Bela. Ab 30.5. Wertung: ***- Bild: Universal Pictures
Nicht enden wollender Dauerregen bringt im Großraum London zusehends den Verkehr und jegliches öffentliche Leben zum Erliegen, überspült Straßen, flutet Keller und Erdgeschosse. Nicht gerade die beste Zeit, um ein Kind zu bekommen – doch die junge namenlos bleibende hochschwangere Frau (Comer) harrt zuhause aus, wartet auf das Einsetzen der Wehen. Derweil bahnt sich das unablässig steigende Regenwasser seinen Weg auch in die höheren Stockwerke der Londoner Häuser. Und kaum ist die Geburt überstanden, kommen die Frau und ihr Mann (Fry) überein, mitsamt ihrem Neugeborenen dem unbewohnbar gewordenen Heim den Rücken zu kehren, um bei seinen im bergigen Umland wohnenden Eltern Zuflucht zu suchen. Doch auch außerhalb Londons regnet es weiter, werden Unterkünfte für die zu vielen Flüchtlinge knapp, gehen die Essensvorräte zur Neige. Auftauchende Plünderer nehmen sich brutal, wonach ihnen der Sinn steht. Hoffnung könnte eine sichere Inselkommune bieten – doch von der Reisegesellschaft dorthin werden lediglich Kinder mit jeweils einem Elternteil zur Teilnahme am Treck zugelassen. Unser junges Elternpaar kommt überein, dass zunächst sie und ihr Säugling sich dem rettenden Treck anschließen. Im Kreise dieser Schicksalsgemeinschaft lernt die Frau eine weitere junge Mutter (Waterston) näher kennen, kämpft man sich gemeinsam zur Rettung verheißenden Insel durch…
Regisseurin Mahalia Bela adaptiert Megan Hunters gleichnamigen Roman – und vertraut in ihrem Arthaus-SciFi-Drama neben wohl dosierten Thrillerelementen auf umweltchaotische Endzeitstimmung sowie vor allem auf die glaubwürdig von Jodie Comer umgesetzte Mutter-Kind-Beziehung.
D: Jodie Comer, Joel Fry, Benedict Cumberbatch, Nina Sosanya, Katherine Waterston, Mark Strong, Gina McKee.


Felix 2 – Der Hase und die verflixte Zeitmaschine
Deutschland ´05; R: Giuseppe Maurizio Laganà. Ab 6.6. Wertung: *** Bild: Universal Pictures
Die Bilderbuchserie mit dem lese- und sprechbegabten Stoffhasen Felix als Held dürften nicht nur die allermeisten Steppkes hierzulande heiß und innig lieben. Erst recht begeistert waren die lieben Kleinen dann als das kuschelige Langohr auch noch eine eigene Fernsehserie und sogar ein Kinoabenteuer bekam. Im zweiten Kinozeichentrickfilm besuchen Felix und sein Frauchen Sophie nun gemeinsam mit deren Papa ein Museum. Dort begegnet ihnen Professor Snork, der stolze Erfinder einer Zeitreisemaschine. Neugierig setzt sich Felix in die Maschine des Professors – woraufhin der Apparat prompt verrücktspielt und das Langohr in ganz weit zurückliegende Epochen katapultiert: Nachdem sich dem Kuschelhasen zunächst ein Mammut sowie eine Schildkröte anschließen konnten, schaut man zu dritt in der Steinzeit vorbei, besucht die alten Ägypter mit ihrer fiesen Herrscherin Nofretete und macht Zwischenstation sowohl bei den Wikingern als auch bei den Indianern, bevor es für Felix endlich wieder heimwärts zu seiner geliebten Sophie geht.
Inszenatorisch ist das Abenteuer ganz auf unsere kleinsten Kinogänger zugeschnitten, mit manch altklugen Scherzen des Hasen, die wohl eher von den begleitenden Erwachsenen im Publikum verstanden werden können – aber was soll´s: Derlei kleinliche Einwände müssen keinen Dreikäsehoch vom Kinobesuch abhalten.  
Zeichentrick.

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