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Buchfavorit: Ulysses02.10.2021



Wir erleben einen Mann, Leopold Blum, und einige Menschen drum herum von der Frühstückszeit, wo er ganz seltsame Dinge zu sich nimmt, über, und das in 18 Episoden, den ganzen Tag bis tief in die Nacht, wo er dann irgendwann zu seiner Frau Molly Blum wieder zurückkehrt, nachdem er unheimlich viel erlebt hat. Und das ist das Buch. Nächstes Jahr wird es 100 Jahre alt, daher habe ich es ausgewählt. Es ist am 02.02.1922 bei Silvia Beach in Paris veröffentlicht worden, wo Joyce ein und aus ging, weil er dort vorübergehend lebte.

MoX: Was hat Ihnen besonders gut gefallen?
Dr. Uta Fleischmann: Das Interessante ist der innere Bewusstseinsstrom, der in diesem Buch vermittelt wird. Das ist nicht erzählbar, weil es manchmal überhaupt nicht dem gesprochenen Wortlaut nachkommt, sondern es sind innere Spuren, die, wie wenn man selbst auch nachdenkt, gar nicht syntaktisch geordnet sind. Das geht kreuz und quer. So erleben wir diesen Leopold Blum. Das heißt auch, dass die Perspektiven immer wechseln. Dabei sagen viele Menschen, dass das überhaupt keinen Unterhaltungswert hat, aber ich finde das schon, aber den muss man sich erarbeiten. Und das ist das Interessante an diesem Buch. Jedes Kapitel ist literarisch anders gestaltet. Eines besteht beispielsweise nur aus Fragen und Antworten oder ein anderes dreht sich nur um Nahrung. Das mag beim ersten Lesen wirr klingen, aber wenn man sich versucht darauf einzulassen, dann kriegt man von sich selbst mit, und das ist das Tolle, wie sich so ein innerpsychischer Mechanismus in Verbindung mit der Umwelt durchschneidet. Tucholsky hat mal gesagt: „Joyce hat die Tür aufgestoßen, die Freud noch angelehnt hatte.“ Das ist eben eine Anspielung auf das Unterbewusstsein und was innerpsychisch läuft an Bewusstseinsströmen und ich finde das einfach klasse. Auch das letzte Kapitel, in dem Molly Blum dann im Bett liegt, nachdem Leopold nach Hause kommt nach zig amourösen Abenteuern. Da hält sie einen Monolog. Ohne Punkt und Komma ist der hier über fast 50 Seiten geschrieben worden. Und das ist wie Lyrik.

MoX: Wie haben Sie das Buch gelesen?
Dr. Uta Fleischmann: Gedruckt natürlich. Ich habe es mir privat immer laut vorgelesen, weil man die eigenwillige Sprache noch mehr spürt. Sprache, die nicht nur Kommunikationsgehalt hat, sondern auch Sprache als Ausdruck von Welt, von meiner Welt. Ich kann damit Welt schaffen als auch zerstören und das kommt ganz gut zum Ausdruck, wenn man das laut liest. Ich bin über Virginia Woolf zu Joyce gekommen. Ich habe lange Jahre hier an der Uni Lehraufträge für feministische Literaturwissenschaft ausgeführt und da habe ich auch Virginia Woolf gemacht. Beide verkehrten in einer Buchladenszene in Paris, worüber ich einen Artikel entdeckte. Das ist 40 Jahre her. Seitdem habe ich das Buch in Begleitung und auch 2 Seminare dazu gemacht.

MoX: Wem würden Sie das Buch empfehlen?
Dr. Uta Fleischmann: Ich würde das immer Menschen empfehlen, die Lust an sich selbst haben und nicht alles vorgefertigt haben möchte. Die nachdenken und nachspüren wollen und durchaus Mut haben. Wie der ganz bekannte Fritz Senn, der ist Joyce Spezialist in Zürich, der sagt: Ulysses muss man mindestens 2x gelesen haben.
MoX: Was wissen Sie über den Autor?
Dr. Uta Fleischmann: Er ist 1882 in Dublin geboren und wäre zunächst fast Naturwissenschaftler geworden. Hat Mathematik und Medizin studiert aber nie ausgeübt. 1904 ist er nach seiner Heirat auf Lebensreise gegangen. Italien und Paris. Hat dort als Lehrer und journalistisch gearbeitet. Er ist dann 1941 in seinem freiwilligen Exil Zürich gestorben. Wenn man ihn erleben will, kann man auf den Zürichberg fahren. Dort ist ein Friedhof wo eine Bronzeskulptur auf seinem Grab sitzt, die sinniert und einen anschaut als wollte er fragen: Hast du meine Bücher schon gelesen?

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