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Filme im Kino

MoX Filmtipps KW1222.03.2023













Texte: Horst E. Wegener


Tagebuch einer Pariser Affäre
Frankreich ´22: R: Emmanuel Mouret. Ab 23.3. Wertung: ****



Beziehungsstress, Eifersüchteleien, Macho-Gehabe – davon hat Charlotte (Kiberlain) schon länger die Nase voll. Andererseits ist das für sie kein Grund, auf Sex verzichten zu wollen. Mit dem in etwa gleichaltrigen Simon (Macaigne) glaubt die Frau in den Vierzigern, sich auf einen Seitensprung ohne tiefergehende Verpflichtungen einlassen zu können. Schließlich mochte ihr der zufällige Gesprächspartner während einer Party beim Smalltalk frei von der Leber weg erzählen, dass er zwei Kinder habe, seit zwanzig Jahren verheiratet sei und die darauf fußende Routine für seinen Alltagstrott grundsätzlich schätze. Dieser Plauderei entnimmt Simons Gegenüber, dass ihre Chancen bestens stehen, sich mit dem leicht tollpatschigen Tagträumer weder einen Klammer-Typen ins Bett zu holen, noch sich auf einen Lover einlassen zu müssen, der umgehend zum Psycho mutiert. Beim Wiedersehen in einer rappelvollen Bar verliert Charlotte denn auch keinerlei Zeit: Eröffnet Simon, dass sie auf risikolosen Sex in ihrer nahe gelegenen Wohnung aus ist, möglichst gleich – und fortan gerne regelmäßig, solange eine sich daraus ergebende Affäre absolut unverbindlich bliebe. Da ihre entwaffnende Direktheit fürs Gegenüber reizvoll klingt, lassen sich die beiden auf einen Seitensprung ein, bei der Paar-Unternehmungen jenseits des Bettes über Monate hinweg kaum in Frage kommen, da der Alltag beständig dazwischenfunkt und unsere Matratzensportler permanent zum schnellen wieder Auseinandergehen zwingt. Dennoch werden die Abstände zwischen den Rendezvous von Charlotte und Simon kürzer, verabreden sie sich mal in Museen, im Park, einem Hotel oder beim Sport, geraten die Unterhaltungen vorm und nach dem Sex immer offener.
Der eigentliche Akt bleibt unser aller Fantasie überlassen, da das Interesse der Regie dem Nachdenken und Diskutieren über Romantik, Liebe, Lust und Sex gilt – vergleichbar Eric Rohmers oder Woody Allens Paarkonstellationen, jedoch ohne sich deren Großstadtneurosen zu eigen zu machen. Lieber konzentriert sich Filmemacher Emmanuel Mouret auf sein exzellentes Darstellerduo, das über viele tagebuchartig kurze Sequenzen hinweg die Paardynamik abwechslungsreich wortwitzig meistert. Während moralische Aspekte keine Rolle spielen, fragen wir Kinogänger uns, wie´s mit Charlotte und Simons Affäre wohl enden mag? Auflösung im Kino!

D: Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet, Maxence Tual, Stéphane Mercoyrol. Foto: Pyramide Distribution


The Ordinaries
Deutschland ´22: R: Sophie Linnenbaum. Ab 30.3. Wertung: ****



tell dir vor, du lebst in einer Art Filmuniversum, das zum einen von Haupt- und Nebenfiguren bevölkert wird, und in dem es obendrein von Charakteren mit Filmfehlern wimmelt, denen das Schicksal droht, aus ihren Geschichten herausgeschnitten zu werden. In dieser cineastischen Dreiklassengesellschaft lebt die sechzehnjährige Paula (Sendel) zusammen mit ihrer Mutter (Böwe), einer ewigen Nebenrolle. Und Mamas Leben im Hintergrund ist dem Teenie Motivation genug, um sich fürs Bestehen der Prüfungen zur Hauptfigur krumm zu legen. Nicht dass Paulas Chancen schlecht stehen: Einzig beim Erzeugen von emotionaler Musik hat die Klassenbeste Defizite. Auf der Suche nach einer Lösung stößt die Sechzehnjährige auf Ungereimtheiten zum Tod ihres Vaters, von dem sie bislang nur wusste, dass er einst eine erfolgreiche Hauptfigur war, die beim großen Aufstand der Outtakes vor einigen Jahren ums Leben kam. Paulas Nachforschungen führen sie zu den Outtakes. Und je länger sie sich mit diesen vorgeblichen Rebellen abgibt, desto größer werden ihre Zweifel an allem.
Angesiedelt in der Welt des Films wird hier eine SciFi-Satire ersonnen, die uns in eine Dreiklassengesellschaft entführt – und mal in den grellbunten Kulissen einer Musicalwelt à la Hollywood in den 1950ern und mal in einer Malochertristesse über die Bühne geht. Lange hat´s gedauert, bis der Eröffnungsfilm des letzten Oldenburger Filmfests regulär ins Kino kommt.
 
D: Fine Sendel, Jule Böwe, Sira Faal, Henning Peker, Pasquale Aleardi, Denise M´Baye, Noah Tinwa. Foto: Bandenfilm


John Wick: Kapitel 4

USA ´22: R: Chad Stahelski. Ab 23.3. Wertung: ***



ber jene drei bislang verfilmten Kapitel des längst auftragskillermüden Möchtegern-Ruheständlers John Wick (Reeves) ist´s uns bewusst geworden, dass die vielen Bösewichte von ihm als unberechenbarem Gegner partout nie genug bekommen können. Diesmal muss sich Einzelkämpfer Wick der Hohen Kammer erwehren – was sich als der wohl größte Gegner im Rachefeldzug der kampfkunst-affinen Menschmaschine erweist. Da kommt selbst Wick irgendwann nicht mehr umhin, auf die Hilfe des ihm zur Seite stehenden Killers Caine (Yen) zu bauen.
Wer weiß, dass Teil Fünf bereits in der Vorbereitung ist, muss sich um das Ende des vierten Wick-Kapitels für den Titelhelden kaum Sorgen machen.  

D: Keanu Reeves, Donnie Yen, Bill Skarsgard, Laurence Fishburne, Hiroyuki Sanada.

Foto: FilmExport


Seneca
Deutschland/ Marokko/ Frankreich  ´23: R: Robert Schwentke. Ab 23.3. Wertung: ***



Im antiken Rom gilt Senator Seneca (Malkovich) als berühmter Philosoph – und predigt letztlich doch nur Armut, während ihm persönlich Reichtum, Macht und Ruhm weit wichtiger sind. Als Lehrer und Lebensberater des unberechenbaren Nero (Xander) fällt er bei seinem keinerlei Widerworte duldenden Tyrannen irgendwann in Ungnade. Woraufhin Seneca vom Kaiser den Befehl erhält, er möge sich selbst hinrichten – am nächsten Morgen will Nero vom Tod des Vordenkers berichtet bekommen.
Bis es soweit ist, lässt Filmer Robert Schwentke John Malkovich als Seneca antreten, um dessen Endlos-Monolog in ein Philosophie-Seminar über Macht, Korruption und Selbstüberschätzung einzukleiden - und der Kino-Größe zu einer rabenschwarzen Kammerspiel-Tour de Force zu verhelfen. Zudem verweist das Historiendrama permanent auf heutige Zustände, wird die Doppelmoral unserer Politkaste angeprangert. Nur Lösungen sollten wir uns von „Seneca“ nicht erhoffen.

D: John Malkovich, Tom Xander, Louis Hofmann, Andrew Koji, Julian Sands, Geraldine Chaplin, Alexander Fehling, Lilith Stangenberg, Mary-Louise Parker, Samuel Finzi, Wolfram Koch. Foto: Filmgalerie 451



Sisi und Ich
Deutschland/ Schweiz/ Österreich ´23. R: Frauke Finsterwalder. Ab 30.3. Wertung: ****



Einmal mehr ein Film übers Leben der Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi (Wolff) – diesmal aus der Perspektive ihrer letzten Hofdame fiktiv aufgefächert. Um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, muss sich Irma Gräfin Sztáray (Hüller) zuallererst auf ihre Konstitution hin wie ein zum Verkauf stehendes Rassepferd bewerten lassen. Erst dann darf sie die Reise nach Korfu antreten. Auf diese Insel hat sich die Kaiserin zurückgezogen, um dort sicher vor den Erwartungen des Hofes an eine Frau ihrer Stellung zu sein und ganz nach ihrem Geschmack leben zu können. Da Neuankömmling Irma den sportlichen Erwartungen Sisis vollauf entspricht, wird der Alltag der adeligen WG bald von Gewaltmärschen über die Insel, Fastenkuren, Drogenexperimenten, Séancen und Gesprächen bestimmt. Assoziationen zu aktuell angesagten Themen wie Bodyshaming oder Diätwahn scheinen von der Regie durchaus beabsichtigt zu sein und werden unter anderem durch die modische Kleidung sowie die unerwartet moderne Soundtrack-Musik verstärkt. Grandios: die schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen.

D: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Johanna Wokalek, Stefan Kurt, Georg Friedrich, Markus Schleinzer, Angela Winkler. Foto: DCM/ Bernd Spauke


[font=Helvetica]Der vermessene Mensch[/font]
Deutschland ´22: R: Lars Kraume. Ab 23.3. Wertung: ****
Im kaiserlichen Berlin anno 1896 darf sich die Bevölkerung an sogenannten Völkerschauen ergötzen, bei denen spärlich bekleidete „Hottentotten“ barbarisch-folkloristische Stammestänze vollführen müssen, während angehende Ethnologen in der Universität von ihren Professoren eingeimpft bekommen, dass Schädelgröße und Intelligenz angeblich korrelieren, weshalb der Schädel eines Buschmanns kleiner ausfalle als der eines deutschen Arbeiters. Bei so viel Herrenrassen-Gefasel bleibt es einer Delegation von Hereros auf Stippvisite in Berlin nicht erspart, dass man sie trotz ihrer europäischen Kleidung durch Professor von Waldstättens Studenten vermessen lässt. Einer der angehenden Wissenschaftler, Alexander Hoffmann (Scheicher), staunt, dass sich sein Forschungsobjekt (Jazama) als mathematisch und philosophisch bewandertes Wesen entpuppt, dem beim Vermessen werden die Tränen kommen. Wenige Jahre später bricht in Deutsch-Südwest-Afrika ein Aufstand der entrechteten Hereros und Nama los, der von kaiserlichen Truppen niedergeschlagen wird – bis er ab 1904 in den ersten  Genozid des 20. Jahrhunderts einmündet. Als sich Hoffmann die Gelegenheit eröffnet, im Schutze der Armee kreuz und quer durch Afrika zu reisen, um vor Ort Artefakte einzusammeln, hofft er zunächst noch, jene gängige Theorie, anhand des Vermessens von afrikanischen Schädeln die Überlegenheit der deutschen Rasse belegen zu können, zu widerlegen. Die Frage, die sich ihm obendrein stellt: Was wohl aus seinem universitären Forschungsobjekt, der Dolmetscherin Kezia geworden sein mag? Gut, dass Regisseur Lars Kraume sich und uns eine Liebelei zwischen Hoffmann und Kezia erspart. Lieber lotet er die Entartung seines deutschen Antihelden aus - bis hin zu dessen Selbstzensur, bei der der korrumpierte Ethnologe seinen einst verfassten kritischen Aufsatz über die Suggestivfrage „Gibt es minderwertige Rassen?“ aus einem Buch herausreißt. Fest steht, dass jene Massaker im ehemaligen Deutsch-Südwest, heute Namibia, noch immer viel zu selten thematisiert werden; insofern wirft „Der vermessene Mensch“ schmerzhafte Fragen auf, denen wir uns wenigstens im Kino stellen sollten.
D: Leonard Scheicher, Girley Charlene Jazama, Peter Simonischek, Sven Schelker, Max Koch. Foto: [font=Arial, sans-serif]Studiocanal GmbH / Willem Vrey[/font]

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