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Filme im Kino

MoX Kino-Tipps KW 1615.04.2024













Texte: Horst E. Wegener


Civil War (langfassung)
USA/GB ´24; R: Alex Garland. Ab 18.4. Wertung: ****** Bild:
Die USA in nicht allzu ferner Zukunft: Im gesamten Land tobt ein brutaler Bürgerkrieg, sezessionistische Bundesstaaten wie Texas oder Kalifornien haben sich abgespalten und sind drauf und dran, mit ihren bis an die Zähne bewaffneten Western Forces-Streitkräften gegen die Armee des von Washington D.C. aus in dritter Amtszeit regierenden Präsidenten (Offerman) vorzurücken. Längst ist dieser Konflikt blutig eskaliert, auch wegen etlicher Bombenangriffe auf die aufständischen Rebellen, die von Mr. President eiskalt befohlen wurden, und für die ihn die Western Forces unbedingt zur Verantwortung ziehen wollen. Der Plan der Sezessionisten-Armeen sieht vor, rechtzeitig zum bevorstehenden nationalen Unabhängigkeitstag gemeinsam in der Hauptstadt einzumarschieren und das Weiße Haus zu stürmen!
Derweil träumen im fernen New York City die erfahrene Kriegsfotografin Lee (Dunst) und ihr Reporterkollege Joel (Moura) davon, noch vor den Western Forces vor Ort zu sein, in der Hoffnung auf einen Exklusiv-Interviewtermin mit dem Präsidenten im Weißen Haus, der sich seit mehr als einem Jahr nicht mehr der schreibenden Zunft gegenüber äußern wollte. Gar keine Frage, dass diese ´spinnerte Idee einer Art Himmelfahrtskommando gleich käme, mit dem nicht von der Hand zu weisenden Risiko, schon vorm Anmarsch aufs Weiße Haus von der Präsidenten-Garde erschossen zu werden, da Pressevertreter in Washington D.C. alles andere als gern gesehen sind. Andererseits ist´s in diesem zutiefst gespaltenen Land überall mordsgefährlich – zumal für jene Medien, die sich das Dokumentieren des Alltags auf die Fahnen geschrieben haben. Wie sehr jedermanns Leben am seidenen Faden hängt, wird dem für Reuters in New York von einer Demo berichtenden Duo Lee und Joel mal wieder bewusst, als sich eine Selbstmordattentäterin unmittelbar neben ihnen in die Luft sprengt. Mit viel Glück überlebt das Reuters-Duo diese Verzweiflungstat unbeschadet, fühlt man sich erst recht darin bestätigt, tags darauf gen US-Hauptstadt aufbrechen zu wollen. Obwohl skeptisch auf das Vorhaben von Lee und Joel blickend, schließt sich ihnen der alte Sammy (McKinley Henderson) an, ein am Stock gehender, stark übergewichtiger Kriegsberichterstatter der New York Times – und als vierte Person schummelt sich Nachwuchsfotografin Jessie (Spaeny) mit in den Wagen, sehr zum Unmut Lees, die bald ein verjüngtes, mitunter leichtfertigeres Spiegelbild ihrer selbst erkennt. Das Quartett sieht sich gezwungen, weite Umwege zu fahren, da Kampfhandlungen die direkte Route in Richtung Washington blockieren. Ihre Reise führt die Vier auch so durch Gegenden, in denen die Zivilisation längst zusammengebrochen ist. Gesetzlose Rednecks nutzen diese politisch instabilen Zeiten knallhart für ihre eigenen Interessen aus, extremistische Partisanenmilizen begehen Kriegsverbrechen – wer das Pech hat, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, wird gnadenlos überwältigt, gefoltert, gelyncht, im Massengrab verscharrt oder am nächsten Baum aufgeknüpft. Das Ausmaß des mörderischen Irrsinns lässt keinen der Vier unberührt – im Gegenteil.
Der Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland (unter anderem für seinen Robot-SciFi-Thriller „Ex Machina“ berühmt) war noch nie für rosarote Zukunftsvisionen bekannt, diese adrenalingeladene „Civil War“-Dystopie vom abgebrannten, rechtlosen Amerika ist allerdings schlicht atemberaubend. Nicht zuletzt, weil es gelingt, unter dem dröhnend-intensiven Dauerbeschuss und Granathagel beiläufig die stillen Geschichten von drei Generationen journalistischer Kriegsberichterstattung in einem Auto anzudeuten und von selbstverordneter Abstumpfung, aber auch den Grenzen des Erträglichen zu erzählen. Wie Gods own Country in nicht allzu ferner Zukunft derart vor die Hunde gehen konnte,  wer in der Nation zu den Guten und wer zu den Bösen gehört, interessiert den britischen Sci-Fi-Regietausendsassa Alex Garland nämlich kein bisschen. Stattdessen zeigt er die Verrohung, schockt mit drastischen Bildern – und konzentriert sich vor allem darauf, sein Reporterquartett ins Bild zu rücken, um dessen Berufsethos zu hinterfragen. Der Anspruch von Kriegs- und Krisenberichterstattern wie der Reuters-Fotografin Lee, die - wie ihre namensgleiche Magnum-Berühmtheit Lee Miller, bekannt geworden durch ikonografische Fotos von der Befreiung der im KZ Dachau Inhaftierten oder ihrem Selfie in Adolf Hitlers Badewanne-,  stets nur eine Story dokumentieren und sie mitnichten bewerten will, weckt Assoziationen zu Filmklassikern wie Peter Weirs „The Year of Living Dangerously“ oder an den Politreißer „Under Fire“; gleichwohl belässt es Garland nicht bei dieser Reflexion über den Journalismus, sondern er baut sein „Civil War“ zu einer schonungslosen Kritik an der Hybris der USA aus.
Um sich dabei nicht selbst der Glorifizierung des Kampfes oder gar des Heroismus schuldig zu machen, vertraut der Brite auf gegenläufige Atmosphären , indem er auf brutalste Metzeleien eine traumwandlerische Roadmovie-Ästhetik à la New Hollywood folgen lässt: Da schaut das Presse-Quartett dann in einer Art Twilightzone-Städtchen zum Rast machen vorbei oder man passiert auf einsamen Fernstraßen brennende Bäume, deren Rinden bei Nacht helle Funken schlagen – wie poetisch. Spätestens wenn Garland sein glaubwürdig schauspielerndes Reporterteam dann gegen Ende ihres Höllentrips durchs Land in Washington beim Vorrücken im Straßenkampf mitten ins unübersichtliche Kriegsgetümmel hinein katapultiert, schaltet der Film vom schockierenden Bürgerkriegsdrama und nervenzerfetzenden Actionthriller endgültig zur quasi-dokumentarischen Spekulativ-Fiktion um. Selten genug, dass uns eine Megabudgetproduktion mit der Vielschichtigkeit  eines Arthausfilms ins Kino lockt; ob „Civil War“ als überspitzter Kommentar zu den kommenden Präsidentschaftswahlen zu verstehen ist, wird in den USA bereits diskutiert, nachwirken und berühren kann er aber auch diesseits des Atlantiks. Garland überzeugt mit einer quasi-SciFi-Studie über unser aller erschreckende Gegenwart – ein grandios gelungenes Meisterwerk.
D: Kirsten Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny, Stephen McKinley Henderson, Jesse Plemons, Nick Offerman, Jefferson White, Nelson Lee.


Sterben
Deutschland ´24; R: Matthias Glasner. Ab 18.4. Wertung: **** Bild: Jakub Bejnarowicz
Lissy (Harfouch), Gerd (Bauer), Tom (Eidinger) und Ellen (Stangenberg) – außer demselben Nachnamen verbindet die Mitglieder der Familie Lunies kaum etwas, ist ihnen Mitgefühl ein Fremdwort. Während es einem noch halbwegs nachvollziehbar erscheinen mag, dass sich Mutter Lissy mit Mitte Siebzig und selbst todkrank, von der Pflege ihres demenzkranken Ehemanns Gerd überfordert fühlt, weshalb der Alte im Pflegeheim landet, wo er alsbald stirbt, kann sich´s die Rabenmutter nie verkneifen, ihrem Sohn Tom fortwährend klar zu machen, wie sehr er in ihren Augen einst ein „Unfall“ war – und ihm seine jüngere Schwester Ellie vorzuziehen. Mit dem Erfolg, dass sowohl Nesthäkchen Ellie als auch ihr Bruder Tom zu totalen Gefühlsneurotikern herangewachsen sind; zwei Beziehungsunfähige unter lauter Unsympathen.
In mehreren Akten und aus verschiedenen Perspektiven erzählt Regisseur Matthias Glasners biografisch inspiriertes Dreistunden-Drama „Sterben“ von den toxischen Befindlichkeiten (s)einer dysfunktionalen Familie. Da es den Ensemble-Mitgliedern bei aller theatralischen Überzeichnung immer wieder gelingt, ihre Charaktere lebensprall darzustellen, folgt man deren existenziellen Fragen zum Überleben und Sterben über sämtliche dramaturgischen Verästelungen hinweg atemlos – eine schauspielerische Tour de Force, zurecht fürs Drehbuch bei der diesjährigen Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.
D: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Ronald Zehrfeld, Anne Bederke, Robert Gwisdek, Hans-Uwe Bauer.


Amsel im Brombeerstrauch
Schweiz/Georgien ´23: R: Elene Naveriani. Ab 18.4. Wertung: **** Bild: Alva Films
Dass sie sich beim Brombeerpflücken außerhalb des jwd gelegenen Dörfchens in den georgischen Bergen von einer aufgeschreckt davonflatternden Amsel kurz hat ablenken lassen, wurde Etero Gelbakhiani (Chavleishvili) fast zum Verhängnis: Die Endvierzigerin geriet prompt ins Straucheln, wäre nahezu den Abhang in die tiefe Schlucht hinabgestürzt, und konnte sich nur mit viel Glück retten. So blieb es ihrer blühenden Fantasie vorbehalten, sich beim Rückweg ins Heimatkaff auszumalen, wie Dörfler ihren leblosen Körper entdecken und bergen. Wohlbehalten im Bergdorf angekommen, wo Etero einen Haushaltswarenladen betreibt, ist sie noch damit beschäftigt, ihre Schürfwunden zu versorgen, als ihr Lieferant Murman (Chichinadze) etwas zu früh mit neuen Waren vorbeikommt. Und als hätte sich´s die allein lebende Ladeninhaberin in den Kopf gesetzt, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, lässt sie sich von Murman entjungfern. Mit 48 Jahren ihren ersten Sex erleben zu dürfen, gefällt der wortkargen Pragmatikerin einerseits gut genug, um ihren Lover weiterhin treffen zu wollen, andererseits besteht Etero auf Treffpunkten außerhalb des Dorfes, da keines der Tratschweiber im Ort über dieses Verhältnis informiert sein muss. Obwohl Murman verheiratet ist und zwei Enkelkinder hat, wäre ihm mehr Verbindlichkeit lieb, während Etero darauf Wert legt, sich ihre Freiheit zu bewahren.
Ihr bedächtig erzähltes Beziehungsdrama reichert Filmerin Elene Naveriani mit Fantasie-Sequenzen an, in denen Etero ihre verstorbene Familie immer mal wieder durchaus real erscheint; zudem erdet Eka Chavleishvilis Verkörperung dieser ungewöhnlichen Frau die Adaption der literarischen Vorlage, was „Amsel im Brombeerstrauch“ zum Programmkino-Geheimtipp werden lässt.
D: Eka Chavleishvili, Temiko Chichinadze, Piqria Niqabadze, Tamar Mdinaradze, Lia Abuladze.


Es sind die kleinen Dinge
Frankreich ´24: R: Mélanie Auffret. Ab 18.4. Wertung: **** Bild: ADNP-Zinc
Der alte Émile (Blanc) ist ein Querulant wie er im Buche steht. Doch nach dem Tod seines Bruders merkt der des Lesens und Schreibens Unkundige, dass ihm die Probleme, seinen Alltag zu bewältigen, bisweilen total übern Kopf zu wachsen drohen. Also schaut der in einem Winzkaff in der Bretagne lebende Analphabet spontan in der Dorfschule vorbei, um dort sein Handicap ein für allemal in den Griff zu kriegen. Im Kreise von gerademal zehn Kindern in der einzigen Klasse lernt Émile – und kann es trotzdem nicht lassen, seiner Lehrerin  auf die Nerven zu gehen. Dabei ist Alice Le Guennic (Piaton) aufopferungsvoll bemüht, es allen im Dorf nicht nur in ihrer Funktion als Lehrerin, sondern auch als nebenbei-Bürgermeisterin recht machen zu wollen. Als eines Tages der Schulinspektor im Ort auftaucht, um zu entscheiden, ob die Winzschule weiterhin geöffnet bleiben darf, muss die Dorfbevölkerung gemeinsam handeln…
Typisches Wohlfühlkino aus Frankreich, das uns gute Laune vermittelt.
D: Michel Blanc, Julia Piaton. Lionel Abelanski, Marie Bunel, India Hair, Marie-Pierre Casey.


Spy x Family Code: White
Japan ´23; R: Takashi Katagiri. Ab 25.4. Wertung: **** Bild: Family Movie Project
Loid Forger arbeitet insgeheim als Topspion und seine Ehefrau Yor verdient sich ihre Brötchen nebenbei als Profikiller – ohne dass den beiden das Doppelleben des jeweiligen Partners bewusst ist. Und auch Adoptivtochter Anya haben sie in ihre Geheimnisse nicht eingeweiht – wobei das Töchterchen aufgrund ihrer telepathischen Fähigkeiten Bescheid weiß, allerdings durchaus Probleme hat, die Dinge richtig einzuordnen. Obendrein hat Anya Angst, wieder ins Waisenhaus zurück zu müssen, sollte sie sich Loid und Yor gegenüber offenbaren. Oder schlimmer noch, für den  Fall, dass deren Geheimnisse komplett auffliegen würden.
Nachdem Agent Loid mit seiner aktuellen Mission Operation Strix augenblicklich nicht weiter kommt, liebäugelt er damit, Anya tatkräftig unter die Arme zu greifen, damit sie bei einem bevorstehenden Kochwettbewerb ihrer Schule siegt. Den Familienausflug zu den Ursprüngen des beabsichtigten Gerichts, Leibspeise des Schuldirektors, plant Loid trotzdem ganz nebenbei für weitere Recherchen im Rahmen seiner Agententätigkeit zu nutzen. Doch dann läuft die Mission komplett aus dem Ruder. Dass sich Anya unversehens einmischt, löst eine bedrohliche Situation für die ganze Welt aus.
Takashi Katagiris Anime in Spielfilmlänge, wochenlang auf Platz eins der japanischen Kinocharts, basiert auf dem gleichnamigen Manga von Tatsuya Endo – und dürfte auch hierzulande von den Fans der Erfolgsserie sehnlichst erwartet worden sein. Fortsetzung folgt? Mal seh´n.
Animationsfilm.


Die Liebe in ungleichen Zeiten
Katar/ Deutschland/ Tansania/ Südafrika ´21: R: Amil Shivji. Ab 18.4. Wertung: **** Bild: jip Film
Sansibar in den letzten Jahren der britischen Kolonialzeit: In der Bevölkerung auf der Insel vorm tansanischen Festland sind es viele Einheimische leid, weiterhin von fremden Mächten regiert zu werden und begehren dagegen auf. So wie der rebellische Denge (Mwanyika), der auch vor Bombenanschlägen nicht zurückschreckt. Eines Nachts begegnet ihm Yasmin (Vora), eine indisch-stämmige junge Frau, die mit einem viel älteren Mann verheiratet wurde. Total unglücklich in ihrer Zwangsehe rannte Yasmin weg und fand bei einer Freundin Unterschlupf. Dort lernt sie Denge kennen, fühlt sich von dessen Aufmüpfigkeit und seinen politischen Ansichten angezogen. Es bleibt nicht aus, dass es zwischen den beiden funkt – doch hat ihre Liebe auf Sansibar aus den unterschiedlichsten Gründen keinerlei Chance…
Der tansanische Filmemacher Amil Shivji kombiniert sein Kino auf den Spuren des großen Regie-Vorbilds Wong Kai-wai mit einer Geschichte über die Historie der Insel Sansibar zu Zeiten des Befreiungskampfes der Einheimischen gegen die britischen Kolonialherren; beides könnte und sollte uns Europäer gleichermaßen interessieren.
D: Gudrun Columbus Mwanyika, Ikhlas Gafur Vora, Siti Amina, Luqman Thani, Rasheed Hamed

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