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Neues aus der Hauptstadt29.10.2020

Text: Horst E. Wegener

Mit Herzblut geführte Frühstückskneipen und -cafés sind für jedes Viertel schier unverzichtbar. Dienen der Stammkundschaft als Kieztreff, um den neuesten Tratsch auszutauschen. Und umwerben den Zufallsgast mit leckeren Spezialitäten, nettem Service und einer ganz besonderen Atmosphäre. Nun befindet sich das Canapé Berlin nicht gerade in einer von Touristen dauerfrequentierten Gegend, beschert dem Lichtenberger Retro-Café dennoch immer mal wieder Gäste - laut Inhaber meistens von außerhalb -, die sich über seine originalen Einrichtungsgegenstände aus der spätkolonialen Zeit aufregen wollen.
Anstatt ihre Freude an dem mit skurrilen Schildern, Trödel und Antiquitäten vollgeräumten Ladenlokal zu bekunden, während man auf dem namensgebenden Kanapee Platz nimmt, um einen Kaffee zu schlürfen, schimpft diese Kundschaft lieber lauthals wie ein Rohrspatz über eine prominent neben der Kasse platzierte Sarotti-Mohr-Figur. Wir nehmen es dem Café-Betreiber ohne weiteres ab, wenn er stöhnt, es leid zu sein, fortwährend über „politische Korrektheit“ diskutieren zu müssen. In seinem Laden zeige er alles, was zur Gründerzeit angesagt war – so schiebt der gute Mann gern nach – und dazu gehöre auch die Sarotti-Figur. Diese schmückte beispielsweise die Pralinenschachtel „Drei-Mohren-Mischung“ der Berliner Firma Sarotti zum 50. Jubiläum im Jahr 1918; Konditor Hugo Hoffmann begann in einem Hinterhaus in der innerstädtischen Mohrenstraße 1868 mit der Herstellung feinster Pralinen, ließ sich den Mohr als Werbefigur konzipieren.
Nun geht es dem Canapé-Betreiber wie gesagt in keinster Weise ums Schüren von Rassenhass, weshalb er seinen Mohr vor ein paar Jahren auch schon mal weiß angepinselt hatte. Dann sei ihm seine Figur geklaut worden – und der Retro-Café-Betreiber stellte wieder „ein Original“ hin. Wann immer seither in der Stadt Forderungen nach einer Umbenennung der angeblich rassistisch klingenden U-Bahnstationen Mohrenstraße oder Onkel Toms Hütte hochköcheln, treibt ihn die Frage um: Wo hört die politische Korrektheit auf und wo fängt sie an? Bekanntlich fordern Berliner Grünen-Politiker seit längerem schon, man müsse sämtliche Namen von Generälen und Schlachten aus dem Stadtbild tilgen. Wohin das führen könnte: Vorstellbar, dass es in Deutschland irgendwo noch eine  Straße gibt, die vom Kaiser nach einem Bankier benannt wurde, in der Weimarer Republik nach einem Nobelpreisträger, von den Nazis nach einem Nazi, in der DDR nach einem Kommunisten – und die jetzt auf Druck der Grünen den Namen einer Antikolonialistin trägt. Und das, was danach ans Ruder kommt, was immer es sei, wird ja auch wieder umbenennen. Was das immerzu kostet! Wäre es da im Interesse der Nachhaltigkeit nicht an der Zeit, über unverfängliche Straßenschilder nachzudenken? Oder wie im Hause Sarotti anno 2004 geschehen, den Mohr zum Magier zu überarbeiten und ihm eine goldene Hautfarbe aufzupinseln?!? Beim U-Bahnhof Mohrenstraße haben Witzbolde die Schilder vor der mittlerweile beschlossenen Umbenennung gern mit zwei Pünktchen verziert, was Passanten in schönster Regelmäßigkeit ein Grinsen ins Gesicht zaubern mochte. Allerdings scheint die Republik sich zusehends humorloser verhalten zu wollen; schade!

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