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Wochenzeitung DIABOLO:
Neues aus der Hauptstadt
Neue deutsche Härte22.11.2018

Text  |  Horst E. Wegener

Den sogenannten Mauerpark in Berlin legen uns hippe Reiseführer gern als eine jener typisch hauptstädtischen Freizeitattraktionen ans Herz. Am nördlichen Ende dieses ehemaligen innerstädtischen Grenzstreifens zwischen Wedding im Westen und Prenzlauerberg im früheren Ostberlin befindet sich die Schwedter Straße.

Nach dem Ende der DDR hat in den runtergerockten Mietshäusern im Viertel ein Verdrängungskampf eingesetzt, der selbst langjährige Anwohner mit all den hässlichen Nebeneffekten einer in die Gänge kommenden Gentrifizierung konfrontiert. Seit 13 Jahren galt als einer der wenigen im Viertel verbliebenen Treffpunkte mit bezahlbaren Preisen das Café Niesen. Weder die schluffige Bedienung noch die Sperrmülleinrichtung hielt Neu- und Altberliner ab, zu einer der Lesungen, zu unplugged-Konzerten oder Ausstellungen vorbeizuschauen; man traf sich zum Fußballgucken, um Protestaktionen zu planen oder einfach nur zum Quatschen auf ein Käffchen. Doch jetzt sah sich die Betreiberin Christine Wick gezwungen, endgültig die Reißleine zu ziehen: Eine angekündigte, laut Hausverwaltung nicht verhandelbare Mieterhöhung um 55 Prozent, sprich gut 1000 Euro Monatsmiete zusätzlich,  hätte sich allenfalls mit drastisch erhöhten Preisen erwirtschaften lassen, was dem Konzept der Lokalität zuwidergelaufen wäre.
Pikant: Eigentümer des Altbaus, in dem das Café betrieben wurde, ist das aus Schwerin stammende Musik-enfant terrible Till Lindemann, der anno 1994 mit anderen Ex-DDRlern die Metal-Combo Rammstein in Berlin gründete. Und den Sänger, der überm Café nicht nur wohnte, sondern sich anfangs auch noch ganz gern in Wicks Location blicken ließ, dürften Geldsorgen kaum plagen. Nun macht das zwar niemanden automatisch zum Gutmenschen, dennoch kommt uns in diesem Zusammenhang automatisch der Protest des Rammstein-Keyboarders Christian „Flake“ Lorenz in den Sinn, der kürzlich erst die Gentrifizierungsexzesse im Prenzlberg-Kiez lautstark verurteilte. Sollte ihm dabei etwa nicht klar gewesen sein, dass sein Bandkollege Lindemann bei diesem Prozess an vorderster Front mitmischt? Andererseits hatte sich die Rammstein-Truppe ein paar Steinwürfe entfernt vom Café Niesen vor sieben Jahren eine Fabrikhalle gekauft, diese denkmalgerecht saniert, Büros und Lagerräume hochziehen lassen – und dieser Tage in einem Teilbereich sogar einen Fanshop eröffnet. Man könnte also wissen, wie sich umsichtige Vermieter und Wohnungseigentümer verhalten sollten, oder? Statt sich zur vorgeschlagenen Mietsteigerung des Café Niesen auch nur zu äußern, schwieg Rammstein-Frontmann Lindemann lieber hartnäckig. Und schaltete sich auch dann nicht ein, als seine Ex Sophia Thomalla via Instagram der Cafébetreiberin „mangelnde Hygiene“ vorwarf, die vom alarmierten Kammerjäger postwendend als barer Unsinn abgefedert wurde. Bei Rammstein promotet man derzeit lieber ein neues Album, das erste seit zehn Jahren, das für anno 2019 inklusive Europa Stadion Tour angekündigt ist.  Soweit alles paletti – erst recht da auch Café-Betreiberin Wick von einer honorigen Hausbesitzerin neue Räumlichkeiten unweit der Schwedter Straße zu akzeptablen Konditionen angeboten wurden.

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