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Sichere Daten?08.10.2020

Text  |  Christoph Kienemann

Geht es um den Klimawandel, dann ist oftmals von sogenannten Kipp-Punkten die Regel. So könnte sich beispielsweise der Temperaturanstieg der Erde nicht mehr begrenzen lassen, wenn bestimmte Voraussetzungen eintreten. Doch wie genau lassen sich diese Punkte bestimmen? Ein Forscherteam um den Oldenburger Biodiversitätsexperten Prof. Dr. Helmut Hillebrand stellt nun infrage, ob umweltpolitische Entscheidungen auf dem Konzept der Kipppunkte basieren sollten.

Viele politische Maßnahmen, die die Folgen globaler Umweltveränderungen abmildern sollen, stützen sich auf das Konzept der sogenannten Kipp-Punkte. In den vergangenen Jahren sind zu diesem Thema viele ökologische Studien veröffentlicht worden, die das Kippverhalten von Ökosystemen untersuchen und aufzeigen sollen. Werden beispielsweise in ein Korallenriff zu viele Nährstoffe eingetragen, können sich die Riffe in kurzer Zeit in ein von kleinsten Algen dominiertes System wandeln. Wissenschaftler*innen wollen inzwischen für bestimmte Ökosysteme Schwellenwerte definieren, die nicht erreicht werden sollten, um den Kipp-Punkt der Systeme nicht zu überschreiten. Viele politische Entscheidungsträger*innen achten daher auf Schwellenwerte, um Strategien zum nachhaltigen Schutz von Ökosystemen zu entwickeln. Der Oldenburger Forscher Helmut Hillebrand, Direktor am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität, sieht dieses Vorgehen kritisch: „Wenn solche Schwellenwerte jedoch zum Standardinstrument für das Bewerten des globalen Wandels werden sollen, müssen wir zeigen können, auf welchem Niveau sie eigentlich liegen.“
Ein internationales Forscher*innenteam wollte daher herausfinden, ob sich Schwellenwerte überhaupt aus den vorhandenen Daten ablesen lassen. Denn, um eine gute Umweltpolitik zu entwickeln, brauchen wir eine allgemeine Leitlinie“, betont Hillebrand. „Das Problem ist aber, dass Schwellenwerte in natürlichen Ökosystemen schwer zu erkennen sind, wenn die vom Menschen verursachten Veränderung nicht besonders groß sind. Zudem können wir nicht für jeden Prozess in jedem Ökosystem tatsächlich Schwellenwerte festlegen.“ Um einen besseren Überblick zu erhalten, wie Ökosysteme auf Veränderungen reagieren, untersuchte das Team bereits veröffentlichte Forschungsdaten. Die Untersuchungen befassen sich vor allem mit den Folgen heutiger, aber auch zukünftiger Belastungen, wie zum Beispiel erhöhter Kohlendioxid- oder Nährstoffgehalte. Die verwendeten Daten stammen aus 4601 Feldexperimenten. Das Vorgehen stellt laut Forscher*innenteam die umfangreichste Analyse von wissenschaftlicher Literatur zum globalen Wandel, die je unternommen wurde.
Anhand der Daten erstellten die Forscher*innen eine Statistik, die zeigt, ob das Ausmaß der Reaktion des Ökosystems mit dem Grad der Belastung zusammenhängt. Wurde ein Zusammenhang festgestellt, wurde betrachtet, ob es einen Belastungsgrad gab, bei dem extrem starke Veränderungen auftraten. „Dies würde auf das Vorhandensein von Schwellenwerten hinweisen", erklärt Koautor Dr. Jan Freund, Modellierungsexperte der Universität Oldenburg. „Die Ergebnisse waren verblüffend“, sagt Hillebrand. Während die überwiegende Mehrheit der Meta-Analysen ergab, dass zwar der Grad der Belastung das Ausmaß der Reaktion beeinflusst, wiesen nur sehr wenige (drei von 36) statistische Beweise für eine Überschreitung eines bestimmten Schwellenwerts auf. Die Tatsache, dass keine Schwellenwerte auftraten, könnte allerdings zweierlei bedeuten, betont Hillebrand: „Die Werte sind entweder nicht vorhanden oder sie existieren zwar, sind jedoch mit unserem statistischen Ansatz nicht nachzuweisen.“ Die Forscher*innen empfehlen daher, sich von der Idee der Kipp-Punkte zu verabschieden und sich auf die vielen kleinen Änderungen zu konzentrieren und vielmehr ein Vorsorgesystem zu etablieren.


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