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Filme im Kino
MoX Kinofilme KW2624.06.2024
Texte: Horst E. Wegener
Kinds of Kindness
GB/ Irland ´24; R: Yorgos Lanthimos. Ab 4.7. Wertung: **** Foto: Disney
Yorgos Lanthimos, Regiespezialist fürs albtraumatische Kontrollkinospektakel, kehrt nach seinem Kritiker- und Publikumserfolg mit der sensationell bilderwuchtigen Frankenstein-Variation „Poor Things“ zu früheren Manipulations- und Hörigkeitsdramen zurück. In drei inhaltlich nicht miteinander verknüpften Episoden überantwortet der aus Griechenland stammende Kinoberserker gemeinsam mit seinem langjährigen Drehbuchautor Efthymis Filippou sein Schauspieler-Ensemble in „Kinds of Kindness“ gewohnt bizarren Szenarien, die dem mit jeweils unterschiedlichen biografischen Hintergründen und Namen ausgestatteten Star-Personal – darunter Emma Stone, Willem Dafoe, Jesse Plemons – mit Blick auf Partnerschaft, Liebe, Sex die gängigen traditionellen Schutzräume radikal entzieht. In Episode Eins lässt sich eine von Jesse Plemons gespielte Figur sein Berufs- und Privatleben bis ins Detail von seinem Chef, interpretiert von Willem Dafoe, diktieren. In Episode Zwei glaubt eine ebenfalls von Plemons verkörperte Person, seine Frau sei nach einem Unfall durch eine Doppelgängerin ersetzt worden. Und in der dritten Episode steht die Lanthimos-Muse Emma Stone im Mittelpunkt, deren Sex-Hörigkeit zu einem von Star-Kollege Dafoe gespielten Sektenführer thematisiert wird. Wohlgemerkt reißt dies lediglich die jeweiligen Ausgangssitutionen der drei Kapitel an, driften die sich verstörend entwickelnden Geschichten im Nu ins Chaos weg. Wie eh und je leuchtet Regie-enfant terrible Lanthimos die manipulativen Abgründe aus, die in uns Menschen schlummern – widergespiegelt im zitierten Eurythmics-Song „Sweet Dreams…“; dass man sich vor der Leinwand mit dem lustvoll über die Stränge schlagenden Schauspieler-Reigen nie wirklich identifizieren mag, weil einem sämtliche Figuren unwirklich vorkommen, schmälert allerdings auf Dauer das Interesse des Kinogängers auch am filmischen Triptychon insgesamt.
D: Emma Stone, Willem Dafoe, Jesse Plemons, Margaret Qualley, Hong Chau, Joe Alwyn, Mamoudou Athic.
A Quiet Place: Tag Eins
USA ´24: R: Michael Sarnoski. Ab 27.6. Vorankündigung Bild: Paramount Pictures
Das Leben und Überleben der Menschheit in den Jahren, nachdem furchterregende Außerirdische auf unserem Blauen Planeten landeten und nimmermüd mit der Jagd auf die Erdbevölkerung loslegten, bescherte Filmfans bislang zwei coole Schocker. Jetzt schiebt deren Regisseur John Krasinski als Produzent die Vorgeschichte nach, ergänzt man die action-satte Mär um den Beginn der Alien-Invasion: In New York City erlebt Sam (Nyong´o) die Landung der Kreaturen. Diese sind zwar blind, können aber extrem gut hören – und haben es von Anfang an auf die Bevölkerung abgesehen. Wer am Leben bleiben will, muss sich auf Biegen und Brechen mucksmäuschenstill verhalten – nichts schwerer als das…
Ma seh´n, für wen in New York (und in Hollywoods Traumfabriken) die Rechnung gut ausgeht; bis Redaktionsstart war jedenfalls keine vorab-Pressevorführung hierzulande angesetzt.
D: Lupita Nyong´o, Joseph Quinn, Alex Wolff, Djimon Hounsou, Denis O´Hare.
Daddio – Eine Nacht in New York
USA ´23: R: Christy Hall. Ab 27.6. Wertung: **** Bild: Leonine
Die Fahrten vom New Yorker Airport JFK in die Stadt hinein nutzt Taxi-Veteran Clark (Penn) gern, um mit seinen Passagieren ins Gespräch zu kommen. Oder sich per Rückspiegel zumindest Gedanken über die jeweils Zugestiegenen zu machen. Wie so oft war der Arbeitstag für Clark mal wieder lang – und die spätabendliche Tour vom JFK gen Manhattan mit der jungen Frau (Johnson) auf der Rückbank seines Taxis soll der letzte Job für diesen Tag werden. Wie gewohnt verwickelt der Fahrer seinen Gast während des Trips gen City in ein Gespräch, das sich vom puren Smalltalk alsbald zum verbalen Schlagabtausch über intime Geheimnisse weiterentwickelt.
Da ein Verkehrsunfall einen Stau verursacht, bleibt der Regie Zeit genug, um eine Therapiestunde einzufädeln. Zur Sprache kommt dabei zunächst die Affäre des City-Girls mit ihrem älteren, verheirateten Sugar-Daddy, der sich per Smartphone bei der Heimkehrerin anklopfend schnellstmöglichen Sex wünscht; dass Clarks Fahrgast für ihre Affäre nie mehr als ein Spielzeug sein dürfte, wie es unserem Mann hinterm Steuer erscheint, wird sich die Lady auf dem Rücksitz wohl niemals eingestehen. Aber auch sie kann ihrerseits unbequeme Fragen stellen, den Taxler zum Seelenstrip nötigen. Die Dramaturgie der sukzessiv enthüllten Geheimnisse trägt vor allem dank des glaubwürdig agierenden Schauspieler-Duos Penn/Johnson; macht uns neugierig auf weitere Filme der Regie-Newcomerin Christy Hall.
D: Dakota Johnson, Sean Penn, Marcos A. Gonzalez, Shannon Gannon.
Die Gleichung ihres Lebens
Frankreich/Schweiz ´23: R: Anna Novion. Ab 27.6. Wertung: **** Bild: Pyraminde FIlms
Dass ihr ausgerechnet vom Erzkonkurrenten Lucas (Frison) bei der Präsentation ihrer Thesen in aller Öffentlichkeit ein Fehler nachgewiesen wird, demütigt die hochbegabte Mathestudentin Marguerite (Rumpf) so sehr, dass sie die Arbeit an ihrer Dissertation unterbricht. Die introvertierte Einzelgängerin beschließt, der Uni fortan fernzubleiben, und zieht mit der lebenslustigen Tänzerin Noa (Bonny) zusammen. Da es in der chinesisch-stämmigen Nachbarschaft des allmählich aufblühenden Mathe-Nerds Marguerite aber zu regelmäßigen Mahjongg-Spielen um Geld geht, darf sich die Pariserin über kurz oder lang zum wahren Champ in diesem Spiel entwickeln. Zudem gewinnt sie durch eine von ihr eingefädelte Annäherung an den universitären Rivalen an Selbstsicherheit. Bald schließen sich die beiden Mathe-Nerds sowohl forschungsmäßig als auch privat enger zusammen. Derweil vermag auch Filmerin Anna Novion mit ihrer filmischen Kombination aus Melodram, Mathe und RomCom zu punkten, während es vor allem Hauptdarstellerin Ella Rumpf gelingt, unser Interesse an ihrer zusehends lebenslustiger werdenden Großstadtmimose wachzuhalten.
D: Ella Rumpf, Jean-Pierre Darroussin, Julien Frison, Clotilde Courau, Sonia Bonny.
Lang ist der Weg
Deutschland 1948: R: Herbert B. Fredersdorf/ Marek Goldstein. Ab 1.7. Wertung: **** Bild:Fredersdorf/ Marek
Anhand der fiktiven jüdischen Familie Jelin, deren Leidensweg in Warschau mit der deutschen Besetzung beginnt, wird das Schicksal von Holocaust-Opfern und –Überlebenden verdeutlicht. Bei der filmisch eindringlichen und gelungenen Synthese von Dokumentar- und Spielfilm überzeugt vor allem die lautere Gesinnung der displaced persons. „Lang ist der Weg“ stellt die Lebenstragödie der Jelins in den Mittelpunkt; überdies ist es bis heute der einzige in Deutschland produzierte Film in jiddischer Sprache. Der Film wird im Rahmen des jüdischen Filmfests im Oldenburger cine k. präsentiert.
D: Israel Becker, Bettina Moissi, Bertha Litwina.
Born to be wild – Eine Band namens Steppenwolf
Deutschland/ Kanada ´24: R: Oliver Schwehm. Ab 4.7. Wertung: **** Foto: Didi Zill
Der Rocksong „Born to be wild“ mauserte sich in Zusammenhang mit dem Roadmovie-Undergroundklassiker „Easy Rider“ im Nu zur Hymne einer aufbegehrenden Jugend in den späten 1960ern. Vor allem aber sorgte die Soundtrack-Nummer der zuvor kaum bekannten Kalifornien-stämmigen Bad Boys-Rockcombo Steppenwolf dafür, dass die Truppe schnell Kultstatus weit über die USA hinaus bekam. Weniger geläufig dürfte es den meisten ihrer Fans bis heute sein, dass der Frontmann und Sänger der Combo, John Kay, ein gebürtiger Ostpreuße ist. 1944 in Tilsit als Joachim-Fritz Krauledat zur Welt gekommen, entschieden sich seine aus ihrer Heimat kriegsbedingt vertriebenen Eltern mit der gesamten Familie nach Kanada auszuwandern. Am neuen Wohnort, in Toronto, lernte Joachim-Fritz im Teenageralter den Rock´n´Roll lieben, benannte er sich in John Kay um - und trat einer Rockgruppe bei. Dort begegnete ihm der Bassist Nick St. Nicholas, der ursprünglich auf den Namen Klaus Karl Kassbaum getauft worden war und dessen Familie aus Schleswig-Holstein übern großen Teich rüber gemacht hatte. Gemeinsam setzten sich die beiden Wahl-Kanadier dann irgendwann nach Los Angeles ab. In Kalifornien gründeten sie anno 1968 Steppenwolf…
Dokufilmer Oliver Schwehm wertet die bis 1976 andauernde Bandgeschichte mit Super-8-Filmschnipseln aus dem Privatbesitz der Steppenwolf-Mitglieder auf. Gleichermaßen kenntnisreich wie liebevoll zeichnet er das Leben vor allem des Frontmanns John Kay und dessen Kumpels Nick St. Nicholas nach, bleibt ihnen über Ende der Band hinaus auf den Fersen. Dabei unterstreicht seine Rockumentary einerseits, dass die Geschichte der Bad Boys-Rocker hinter der Bühne mindestens genauso wild verlief wie on stage; dass es andererseits für John und Nick auch nach Steppenwolf noch lebenswert weiter gehen mochte.
Doku.