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Die Unsichtbaren sichtbar machen25.09.2024





Text und Fotos: Thea Drexhage


Moldawische Einwandererjugend in Italien
Tineret (moldawisch für Jugend) von Nicolò Ballantes handelt dabei von Andrei, einem jungen Moldawier, der mit seiner jüngeren Schwester und seiner Mutter in Rom lebt. Er träumt von einer Karriere als Rapmusiker, in die er seine knappe Freizeit investiert. Realistisch findet er sich allerdings nicht auf großen Bühnen wieder, sondern in der Rolle des Versorgers, der seinen eigenen Traum zurückstecken muss, damit er und seine Familie über die Runden kommen, denn diese sieht sich bedroht von Obdachlosigkeit, sollte sie mit ihren kleinen Mitteln nicht schnell ein neues Haus finden. Es ist ein bewegender, kurzweiliger Einblick in ein reales Familienleben, denn Ballante greift für Tineret nicht auf Schauspieler und Drehbuch zurück, sondern begleitete eine reale Familie über einen längeren Zeitraum, insgesamt dauerte die Produktion des Films 4 Jahre, mit der Kamera. Dabei gelang es ihm mit kleinem Budget etwas zu schaffen, dass eher an Spielfilm als an Dokumentation erinnert. Andrei Grigorita erzählte im anschließenden Q&A, dass das Schauspiel auch ein beruflicher Weg wäre, der ihn in seiner Jugend interessiert hätte, doch auch dieser Wunsch war aus finanziellen Gründen nicht umsetzbar. Die Arbeit mit Freund Ballante brachte ihm diesen Traum ein Stückchen näher – und Grigoritas Familie? Die passte sich nach der ersten kurzen Umgewöhnung schnell an den Umstand an, immer wieder von der Kamera begleitet zu werden. Ein Haus konnte die Familie mittlerweile kaufen und auch musikalisch geht es für Andrei langsam bergauf.


Pferdewetten in New York
Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt der Micro-Budget-Film $$$ von Jake Remington, in dem sich Realität und Fiktion zu einer spannenden Geschichte über jene ärmere New Yorker vermischen, die ihr großes Glück im Pferderennen suchen und sich durch monetäre Probleme schnell in Gewalt und Kriminalität wiederfinden. Auch das gewaltige Fentanyl-Problem, mit dem sich Amerika konfrontiert sieht, wird auf dramatische Weise zitiert. Gedreht wurde $$$ mit einer Kamera und einer Zoom-Linse in Schwarzweiß. Die Figuren sind keine oder Laienschauspieler, die nach einem losen Skript eine Version ihrer selbst spielen. Dabei sind viele Dialoge direkt vor Ort entstanden oder zitieren reale Unterhaltungen aus der Vergangenheit, was den Film absolut glaubhaft macht und einen voyeuristischen Einblick in das echte Leben New Yorks ganz fern abseits der Upper East Side gibt. Beide Filme zeigen beeindruckend, wie wenig Budget es braucht, um eine fesselnde und ergreifende Geschichte zu erzählen, die auf dem Oldenburger Filmfestival goldrichtig aufgehoben ist, denn genau diese Projekte entstanden tatsächlich independent. Es gibt keine großen Stories, keine unnötig konstruierten Spannungsbögen und schon gar kein Happy End – dafür ein Blick auf die Leben jener, die sonst in der mittelständischen Gesellschaft nicht gesehen werden.


Sex-Trafficking an der katholischen Schule
Thematisch ganz ähnlich aber mit mehr Professionalität im klassischen, filmischen Sinne ging es in der Midnite Xpress-Reihe zu. Zum Beispiel in Saint Clare von Mitzi Peirone, die mit Bella Thorne und Ryan Philippe auf erfahrene Hollywoodschauspieler zurückgreifen konnte, die ihren feministischen Rachethriller umsetzen durften. An einer katholischen Schule verschwinden nach und nach junge Mädchen - Hauptdarstellerin Clare hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Menschenhandelsring hochzunehmen und geht dafür über Leichen. Filmisch erzählerisch betrachtet, findet sich Saint Clare dabei im Mittelmaß des amerikanischen Popcornkinos wieder, dennoch lohnt sich ein Blick in den Streifen, da er einer Gruppe Menschen eine Plattform bietet, die laut Regisseurin Mitzi Perone dringend mehr Aufmerksamkeit verdient: jungen Frauen in den USA, die sich real bedroht von Menschenhandel/ Sex-Trafficking sehen. Besonders betroffen dabei sind Immigranten und People Of Color, basierend auf den teils verankerten Menschenbildern durch die Sklaverei in den USA. Leider verpasst der Spielfilm die Chance, faktenbasiert mehr Informationen zu dieser Thematik zu vermitteln und verliert sich schnell in einer aufpolierten Hollywooderzählweise.


Vernachlässigte Jugendliche in Belgien
Ganz fern ab von aufpoliert und Hollywood bewegte sich das soziale Drama Skunk von Koen Mortier aus Belgien. Mortier hat sich mit seinem schonungslos-schockierenden Erstlingswerk Ex-Drummer aus dem Jahre 2007 einen Namen in der Indie-Szene gemacht. Wie auch Ex-Drummer basiert Skunk auf einer literarischen Vorlage, die sich in diesem Fall nah an der Realität bewegt. Gezeigt wird das Leben des jugendlichen Liam, der aus seiner gewaltvollen Familie gerissen und in ein Heim für misshandelte Jugendliche gebracht wird. Es beginnt ein Ringen zwischen Rehabilitation und Resignation. Mortier spart dabei nicht an drastischen Darstellungen von Gewalt, schafft es aber auch durch kleinste Momente Licht in die dunkle Geschichte Liams scheinen zu lassen. Am Ende von Skunk finden sich die Zuschauer*innen schockiert und gleichzeitig bewegt wieder. Mortier betritt das Q&A im Anschluss mit den Worten „Sorry for that“ und erklärt die Hintergründe. Der Autor der literarischen Vorlage bat ihn, sein Buch umzusetzen, also begab sich Koen Mortier auf Recherche durch viele dieser Einrichtungen und erklärt, dass das im Film gezeigte nur einen Bruchteil der wahren Brutalität zeigen würde, die einige dieser Jugendlichen erfahren hätten. Die brillante Darstellung des Liam durch Thibaud Dooms wird auch hier unterstützt von Laien und Kids, die tatsächlich aus solchen Einrichtungen kommen. Versöhnlich nach diesem Schocker stimmen dabei Mortiers Berichte darüber, was die jungen Menschen mit ihrer Filmgage angefangen haben, um den Weg in ein normales Leben zu finden. Skunk mag an dieser Stelle einer der härtesten Filme des Festivals gewesen sein, aber vermutlich auch der Film, der am längsten nachwirken wird. Das Internationale Filmfest Oldenburg – immer auch ein Ort für unbequemes Kino und neue Wege, Filmideen umzusetzen.

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