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„Hunger Euthanasie“ in Wehnen09.07.2021



Text: Fabian Steffens
Durch die Betrachtung alter Krankenakten kommt Harms zu dem Schluss, dass zwischen 1933 und 1947 etwa 1500 Menschen an Mangelernährung in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen starben, zusätzlich mehrere hundert Patient*innen im ehemaligen Kloster Blankenburg und dem Gertrudenheim. Um Kosten zu senken, wurde die Versorgung mit Nahrungsmitteln für die Bewohner*innen reduziert, durch gleichzeitig schwere körperliche Arbeit starben viele in der Folge an Unterernährung. Die Anstalt in Wehnen wurde, wie viele andere Einrichtungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen genutzt, um billige Arbeitskräfte für die Landwirtschaft und Torfgewinnung zu erhalten. Dabei wurden nur diejenigen, die als Arbeitskraft zur Verfügung standen, halbwegs ausreichend versorgt. Der Oldenburger Historiker Harms spricht in diesem Zusammenhang von „Hunger Euthanasie“.
Mithilfe der Buchhaltung des damaligen Landesfürsorgeverbands Oldenburg, des heutigen Bezirksverbandes Oldenburg, kommt Harms zu dem Schluss, dass die eingesparten Pflegegelder für unterschiedlichste Zwecke entfremdet wurden. Profitiert hat die Tuberkulosehilfe und Gehörlosenhilfe, aber auch das Museumsdorf Cloppenburg und das Oldenburger Landesmuseum. Mit dem Geld, dass der Landkreis und die Stadt zur Versorgung der Patient*innen bereitstellte, agierte der Landesfürsorgeverband Oldenburg allerdings auch in einem ökonomischen Interesse. So sollen damit Immobilien und Grundstücke als Kapitalanlage gekauft worden sein und es wurde die Ferngasversorgung Weser-Ems gegründet, eines der Vorgängerunternehmen der heutigen der EWE.
Spätestens ab 1933 scheint der ökonomische Gewinn wichtiger als die Versorgung der Menschen zu sein. Harms sieht deshalb seine Beobachtungen als erschreckendes Beispiel, wohin eine Privatisierung und Ökonomisierung im schlimmsten Fall führen kann. Erschreckend an Harms Untersuchung ist aber auch, dass die Krankenmorde in Oldenburg und Wehnen nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endeten, sondern bis 1947 fortliefen. Erst Beamte der britischen Militärverwaltung stoppten das Aushungern der Menschen, die nach Kriegsende weiterhin als billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Die aktuelle Studie erstellte Harms im Auftrag der Gedenkstätte Wehnen und des Fördervereins internationales Fluchtmuseum. Erschienen ist das Buch „Der Verband – Anstaltsfürsorge zwischen Rassenhygiene, Bereicherung und Kommunalpolitik (Oldenburg 1924 – 1960) im Verlag Beltz Juventa.
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