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Kunst als Impuls09.03.2021



Jeder kann Kunst. Könnte sich alternativ auch am Anschieben eines Kunstprojekts beteiligen. Was für die Ohren vieler Bürger schrill klingen mag, lässt die unterschiedlichsten Projekte wahr werden – mit denen ihre Initiatoren oftmals auf lokaler Ebene Missstände anprangern. Entstanden ist das Konzept in Frankreich vor mehr als 30 Jahren. Hat längst Unterstützer europaweit gefunden. Der deutsche Ableger nennt sich Gesellschaft Neue Auftraggeber und sieht seine Aufgabe laut Geschäftsführer Alexander Koch vor allem darin, Ansprechpartner für all jene zu sein, denen eine künstlerische Vision unter den Nägeln brennt, ohne dass ihnen klar ist, wie und von wem sie ihren Traum in die Tat umsetzen lassen sollen. Grundsätzlich sind  alle Spielarten von Kunst machbar – ob Architektur, Fotografie, Film, Malerei, Theater, Skulptur, Performance, Literatur, Design, Installation, Aktionen zur Stadtplanung oder auch Musik. Da möchten einhundert Schüler vor ihrer Schule einen Strand anlegen, wünschen sich andernorts drei Krankenschwestern einen Andachtsraum für Gläubige aller Religionen, soll ein Plattenbauviertel neu belebt werden – die meisten Projekte kreisen um Kommunikation und Gemeinschaft. Mediatoren der in Berlin beheimateten Neuen Auftraggeber  helfen beim Sondieren der Möglichkeiten und bringen die Ideengeber mit Künstlern sowie Finanzierungspartnern zusammen.
So geschehen zuletzt beim Comic „Temple of Refuge“, der vom kurdischen Iraker Sartep  Namiq in einem zur Notunterkunft umfunktionierten Hangar des früheren Berliner Flughafens Tempelhof voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft ersonnen wurde. Gut fünf Jahre ist´s her, seit sich Sartep gen Deutschland aufmachte. Die Geschichte seiner Odyssee inspirierte Cyberpunk-Legende Bruce Sterling, Co-Autor Matthias Zuber nebst Zeichner Felix Mertikat zu einer abenteuerlichen SciFi-Erzählung mit überraschend optimistischen Happy end. Mit kantigem Strich setzt „Steam Noir“-Zeichner Mertikat die immer unerträglicher werdenden Lebensbedingungen in der nordirakischen Region in Szene: Nachdem in der Heimat des jungen Sartep Namiq Bäume absterben und Seen austrocknen, zwingt eine nicht enden wollende Dürreperiode die Bevölkerung zur Flucht gen Europa. Wessen Schlauchboot es von Nordafrika übers Mittelmeer schafft, für den geht es weiter durch winterliche Gefilde – bis schließlich die meterhohen Betonwänden der Festung Europa vor einem aufragen. Per Bus werden Neuankömmlinge zu einem Flüchtlingscamp vor dem einstigen Berliner Zentralflughafen Tempelhof gefahren, wo sie sich in Elendsbaracken einquartieren können. Es überwiegt Hoffnungslosigkeit – bis Sartep realisiert, dass ihm ein Chip implantiert wurde, der Zauberkräfte verleiht. Damit lässt er die Wünsche und Träume der vor Ort Gestrandeten Wirklichkeit werden: Die Festungswand bekommt Risse, wird von Pflanzen überwuchert. Und bald breitet sich beiderseits der Berliner Mauer eine öko-bewusste Megalopolis aus, in der man die Utopie des friedlichen Zusammenlebens praktiziert.
„Natürlich ist das ein modernes Märchen“, gibt Visionär Sartep Namiq in Interviews zu seiner Comic-Idee unumwunden zu. „Aber warum nicht von einem Ort träumen, an dem alle Menschen die gleichen Chancen haben, ob sie nun reich sind oder arm?“ Während der extrem langen Wartezeit, die der Nordiraker in der Notunterkunft im alten Flughafen Tempelhof auf die Bearbeitung seines Asylantrags ausharrte, stresste vor allem das Gefühl des Nicht-Wissens, wie es für ihn weitergehen sollte. Die Sprachlosigkeit der Flüchtlingscamp-Bewohner war das alles überlagernde Thema bei den Neu-Berlinern – die es mithilfe des Comic-Projekts zu durchbrechen galt. Dank Neue Auftraggeber-Geschäftsführer Alexander Koch zeigten neben dem Erzähler-Duo Sterling/Zuber nebst Zeichner Mertikat schnell auch der Egmont Verlag Interesse an Namiqs „Temple of Refuge“-Idee, sicherten die Fondation de France, das Institut für Auslandbeziehungen sowie das Auswärtige Amt Fördergelder zu. Der Verlag hat sich bereiterklärt, den gesamten Erlös der Anfang März bei der Egmont Comic Collection erscheinenden Hardcover-Ausgabe an die Hilfsorganisation Sea-Watch zu spenden, die in Seenot geratene Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet. Zudem sollen gut 10 000 Exemplare von „Temple of Refuge“ an deutschen Schulen, in Geflüchtetentreffs und an Flüchtlingsinitiativen in der arabischen Welt verschenkt werden. Und gut fünf Jahre nach seiner Ankunft in Berlin kann Sartep Namiq sagen, dass er sich von Deutschland endgültig angenommen fühlt.


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