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Romantisches Teppichknüpfen27.08.2020



Text und Foto | Britta Lübbers

Der Künstler Ennow Strelow beteiligt sich mit seinem ganz persönlichen „Oldenburger Tagebuch“ an einer Dauer-Ausstellung im Osthaus Museum in Hagen. Unter der Überschrift „Architektur der Erinnerung“ haben inzwischen rund 600 Autorinnen und Autoren aus aller Welt individuelle Erinnerungsbücher gestaltet. Ennow Strelow füllt die ihm zur Verfügung stehenden 600 Seiten bevorzugt mit heiteren Fundstücken aus dem Alltag.
Ennow Strelow öffnet die Tür zu seiner Wohnung, die auch sein Arbeitsraum ist. Er trägt ein Hemd mit buntem Blumenmuster – ein ziemlicher Kontrast zu seinen meist schwarzweißen Fotoarbeiten. „Ich kann auch Farbe“, lacht er und bittet herein.
Seit 20 Jahren wohnt Strelow mit seiner Frau in Oldenburg. Geboren wurde er in Lübeck, rund 50 Jahre hat er in Hagen gelebt, wo er sich als Porträt- und Theaterfotograf einen Namen machte. Auch für das Staatstheater in Oldenburg hat er gearbeitet, daher kannte er die Huntestadt. Er habe seinen Umzug nicht einen Tag bereut, sagt der Fotokünstler, der 2019 eine erfolgreiche Werkschau im Oldenburger Stadtmuseum hatte. Aber die Verbundenheit zu Hagen sei immer da. Jetzt hat der Wahl-Oldenburger, der nicht nur Fotografie, sondern auch Zeichnung und Wortkunst beherrscht, eine Anfrage vom Osthaus Museum bekommen. „Das ist ein ganz tolles Museum, ein Besuch lohnt sich“, schwärmt er. Das Haus ist u.a. für sein „Museum im Museum“ bekannt, das Konzept geht auf die Künstlerin Sigrid Sigurdsson zurück. Unter der Überschrift „Architektur der Erinnerung“ finden sich hier Bücher, Briefe, Fotografien und andere Dokumente, die sich vor allem mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen. Im „Offenen Archiv der Arbeit“ wiederum geht es um individuell erlebte Geschichte und Geschichten. Hier stehen die sogenannten Reisetagebücher, die seit 1993 von Interessierten als Leerfläche ausgeliehen, nach eigenen Vorstellungen mit Inhalt gefüllt und anschließend wieder ins Archiv zurückgegeben werden. Dort liegen sie auf Regalen und warten darauf, dass jemand in ihnen blättert oder sich festliest. „Rund 600 Autorinnen und Autoren aus aller Welt sind bisher an dem Projekt beteiligt“, teilt das Museum mit. „Was ist Erinnerung? Wer schreibt Geschichte? Wie funktioniert das Gedächtnis?“, das sind die zentralen Fragen hinter der einzigartigen Idee. Zweimal bereits hat Ennow Strelow Bücher für das Offene Archiv gestaltet, jetzt ist das Museum wieder an ihn herangetreten. Natürlich hat er zugesagt. „Schauen Sie mal, was für ein schönes Buch, und wie hochwertig das Papier ist“, sagt er, schiebt Kaffeetassen und Keksteller zur Seite und legt einen monumentalen Band auf den Tisch. Im Januar ist der Foliant per Post bei ihm zu Hause eingetroffen, seitdem widmet sich Strelow Tag für Tag einer Seite. Es ist besonders das Komische, auch Abseitige, das ihn interessiert. Er möchte zum Schmunzeln anregen, zum Lachen. Den Auftakt seines Tagebuchs macht ein Zeitungstext über einen Mann, der Warnwesten für Hühner anfertigt. „Seine Hühner wurden ihm zu oft angefahren, darum hat er das gemacht“, weiß Strelow. „Sehen Sie, Sie lachen. Es hat schon gewirkt“, konstatiert er zufrieden.
Ennow Strelow sammelt und sortiert, er fotografiert, schneidet aus und klebt ein. Zum Beispiel die Todesanzeige von Alfons B., in der es heißt: „Ich hatte ein schönes Leben. Tschüss.“ Oder Kontaktanzeigen. In der einen möchte ein Mann „kein Gesülze“ als Antwort, in der anderen freut sich der Beziehungswillige auf „romantische Teppichknüpfabende“.
Strelow hält auch eigene Arbeiten fest, darunter die Fotoserie „Tanz ums goldene Kalb“ mit Gegensatz-Motiven: schicke High Heels neben ausgelatschten Schuhen von Flüchtlingen, oder eine abgeranzte Klingel an einem Wohnblock neben einem edlen Türschild an einer Villa. „Dies Wohnen und das Wohnen“, sagt er dazu. Die Reihe hat er übrigens auch an den Vatikan geschickt. „Kann man ja mal versuchen“, lächelt er. Jetzt besitzt er ein Foto vom Papst und eine freundliche Absage.
Dem TV-Moderator Yared Dibaba hat er ungefragt einen Sketch geschrieben, auch der steht im Buch. Ein Asylbewerber soll vor einem Behördenvertreter einen zusammenhängenden Satz auf Deutsch sagen. „Fischers Fritze“ geht dem Mann mühelos über die Lippen. Dibaba ließ ausrichten, er werde die Parodie bei Gelegenheit in sein Programm einbauen. Das freut Strelow. „Mir ging es aber vor allem darum, dem Fremdenhass etwas entgegenzusetzen.“
„Wollen Sie mal meine neuen Fotoarbeiten sehen?“, fragt er noch, als der Kaffee ausgetrunken und das Gespräch fast zu Ende ist. Er zieht den Tisch aus und legt eine Mappe auf die Holzfläche. Ein Bild nach dem anderen zieht er hervor, eine großartige Arbeit. Es sind die für ihn typischen Schwarzweißaufnahmen und einmal mehr spielt das Glasauge eine Rolle, das Strelow von seinem Onkel geerbt hat, der sein richtiges Auge an der Westfront verlor. „Dies ist für Fritz Lang“, erklärt der Künstler – das Auge schaut sich eine Filmrolle an. „Dies ist für Carl Benz“ – ein Oldtimer blickt mit Schweinwerfer-Glasaugen auf die Straße. „Dies ist für Marcel Proust“ – zwei gläserne Pupillen starren aus einem Fernglas auf den Stadtplan von Paris. Der Bilderstapel ist so umfangreich wie Strelows Ideen. Es wäre ein Jammer, wenn diese Arbeiten nicht aus ihrer Schublade herausfänden.

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