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MoX - Neues aus der Hauptstadt: Urlauben im Grunewald26.07.2022
Und die Gemeinden im Umland konnten ihre Wälder und Felder gar nicht schnell genug verkaufen, um Platz für neue Steuerzahler oder neues Gewerbe zu schaffen. Dabei traten sie oftmals in Konkurrenz zueinander. Wobei sich der preußische Staat stets als der mächtigste Strippenzieher im Hintergrund behauptete: Ein besonderer Coup sollte dem damaligen Kanzler Otto von Bismarck mit einem aus Ku´damm- und Grunewald-Projekt zusammengepuzzelten weltstadt-visionären Vorhaben glücken. Nachdem er beim Kaiser zunächst den Ausbau des 54 Meter breiten und viereinhalb Kilometer langen Prachtboulevards Kurfürstendamm gen Grunewald durchgesetzt hatte, fädelte der Alte im nächsten Schritt den Verkauf von 234 Hektar Wald an ein Bankenkonsortium ein. Die Idee der Projektentwickler, eine zwecks Bebauung nötige Trockenlegung des westlichen Grunewaldrandes gleich durch die Erschaffung einiger künstlicher Weiher zu ergänzen, erwies sich als genial.
„Wenn ich einmal reich wär“, könnten Flaneure vor sich hin pfeifen, nachdem sie die S-Bahnstation Grunewald verlassen haben und die Fontanestraße entlanglaufen, um schließlich neben dem Neo-Rokoko-Palais der Freimaurerloge „Excelsior“, das auch eine Zweigstelle des Deutschen Druiden-Ordens beherbergt, einen öffentlichen Zugang zum einst ausschließlich den Anliegern zugänglichen Dianaseeufer zu finden. Beim Rundgang um die Kunstweiher im Grunewald dringen heutzutage fortwährend Motorengeräusche an unsere Spaziergängerohren – und nicht selten auch Baulärm. Denn die Gier moderner Grundstücksverwerter ist unersättlich. Eine Änderung der ursprünglichen Grunewald-Richtlinie, wonach maximal dreißig Prozent der Grundstücke bebaut werden durften, machte es ab den 1950er Jahren möglich: Anstelle der luxuriösen Anwesen, in denen nur eine Familie samt Dienstboten wohnte, breiten sich seitdem überall moderne Wohnanlagen aus. Wie tief, wie unglaublich weitläufig die vielen tausend Quadratmeter großen Parzellen ursprünglich angelegt waren, wird immer dann spürbar, wenn sich mal wieder eine der handtuchschmalen Schneisen von der Straße gen Ufer öffnet. So gesehen könnte einem auf den ersten Blick fast schon eine Art umgekehrte Gentrifizierung in den Sinn kommen: Durch jene forcierte Umgestaltung der alten Stadtpalais´ zu Eigentumsanlagen kommen ja mehr Menschen in den Genuss, an den Privatseen residieren zu können. Um den Preis natürlich, dass sie teils dicht an dicht mit anderen in ihren vergleichsweise „kleinen“ Wohnungen leben. Bei näherer Betrachtung wird man sich allerdings eingestehen müssen, dass das neuzeitliche Preisniveau wieder in ähnlich unbezahlbaren Höhen angekommen ist wie zu Kaisers Zeiten. Auf jenem weitläufigen Parkgrundstück der Verlegerfamilie Ullstein, die sich 1913 ein schlossähnliches Palais inklusive Privatzugang zum Dianasee leisten mochte, ließen sich nach Abriss der Residenz zwanzig auf Pseudoaltbau getrimmte Gebäude hochziehen, in denen drei Zimmer zuletzt für 1,15 Millionen Euro zu haben waren.
Da bleibt unsereins nur der Blick aufs Ullstein-Gelände durch die Zufahrt von der Bettinastraße aus – oder vom öffentlich zugänglichen Uferrand des Dianasees aus gen Grundstücksneubebauung. Den Seezugang verdanken wir Bürger dem sogenannten Projekt „Grünzug Grunewaldseen“, das das zuständige Bezirksamt Wilmersdorf anno 1979 aus der Taufe hob. Diejenigen Westberliner, so hieß es damals, die nicht das Glück haben, so privilegiert zu wohnen „und deshalb einen Mangel an entsprechenden Erholungsflächen haben“, sollten sich zu Mauerzeiten östlich vom Diana- und Koenigssee sowie südlich vom Hertha- und Hubertussee ergehen dürfen. Einige Millionen Mark flossen dann auch, um Eigentümern jeweils einen 35 Meter breiten „Schutzstreifen“ am Ufer abzukaufen. Erwartungsgemäß waren dazu jedoch nur wenige Anrainer bereit, sodass sich von den angestrebten vier Kilometer letztlich ganze 2,1 Kilometer realisieren ließen. Neben dem einen oder anderen Stummel-Zugang lohnt unweit des Domizils des verstorbenen Filmproduzenten Atze Brauner das Erkunden der blütenreichen Ufervegetation im Rhoda Erdmann-Park am nördlichen Zipfel des Koenigssees oder das Flanieren entlang des Hubertussees. Von der Terrasse an der östlichen Spitze dieses Gewässers, einer klassischen, von einem kunstvoll gearbeiteten Gitter eingefassten „Neugierde“, blickt man in Richtung Bismarckbrücke, wo sehr wilhelminische dreinblickende Sphinxe prunken. Angrenzend an diese repräsentative Protzbrücke lädt uns das Palais der Grunewald-Mitbegründerfamilie Mendelssohn zum Verweilen ein. Mitte der 1960er-Jahre wurde das Anwesen zu einem Großkomplex umgebaut, der als Sankt-Michaels-Heim von der Kita bis zum Jugendhotel, von der Kirche zum Kinosaal, inklusive Sozialstation und Arztpraxen im ehemaligen Pförtnerhaus bis zum Hofladen-Pavillon so ziemlich alles aufbietet, was man von einem Kiezzentrum erwarten würde – im weitläufigen Park könnten wir bei Kaffee und Kuchen die Vier-Seen-Tour gedanklich sacken lassen.
Wer den Aufenthalt in der despektierlich gern als „Millionärskaff“ apostrophierten Villenkolonie stilvoller angehen will, der sollte das im Gegensatz zu den vier Kunstteichen angrenzende natürliche Grunewaldgewässer, den Halensee aufsuchen – mit seinem jüngst eröffneten und peu à peu zum Luxus-Ressort für alle modifizierten Q-Beach-Strandbad.
Text und Fotos : Horst E. Wegener
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