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„Das zweite Mal ist schwierig”28.08.2019

„Das zweite Mal ist schwierig”

Interview | Dieter Oßwald
Foto: Filmfest Oldenburg
Gleich mit seinem Debüt „Oh Boy“ gelang Jan-Ole Gerster 2012 der große Coup. Die lakonische Geschichte um einen jungen, sensiblen Berliner, gespielt von Tom Schilling, bekam glänzende Kritiken, wurde mit mehr als 20 Filmpreisen überhäuft und lockte über 350.000 Besucher in die Kinos. Sieben Jahre hat es gedauert, bis der Regisseur seinem Abschlussfilm den zweiten Streich folgen lässt. „Lara“ erzählt die Geschichte einer ehrgeizigen Mutter, gespielt von Corinna Harfouch, die ihrem Sohn, wiederum Tom Schilling, das Leben schwer macht. Erneut fallen die Kritiken begeistert aus, auf den Festivals von München und Karlovy Vary holte „Lara“ gleich fünf Auszeichnungen.  „Lara“ ist der Eröffnungsfilm des diesjährigen Filmfest Oldenburg. Mit dem 41-jährigen Regisseur unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

DIABOLO: Herr Gerster, was sagt Ihre Mutter zu „Lara“, einem Drama um eine recht gestrenge Mama?
Gerster: Meine Mutter hat zum Glück keinen Grund anzunehmen, „Lara“ stelle einen subtilen Kommentar bezüglich unserer Beziehung dar. (Lacht) Meine Mutter ist das Gegenteil von Lara, nämlich eine warme, zugewandte und unterstützende Person, die keinerlei manipulative Energien gegenüber ihren Kindern hegt. Sie mochte „Lara“ und war ganz froh, bei der Premiere dabei gewesen zu sein – was sich bei „Oh Boy“ leider nie ergeben hat.
DIABOLO: Das Scheitern des Künstlers hat auch keine autobiografischen Hintergründe?
Gerster: Gerade deswegen hatte ich eine so starke Reaktion auf das Drehbuch. Beim Lesen stellt sich ja immer die Frage, warum gehen einen manche Dinge etwas an und andere nicht. Bei „Lara“ dachte ich sofort: Weshalb betrifft dich diese Geschichte so sehr?  
DIABOLO: Und wie sehen diese Schnittmengen aus?
Gerster: Das hat viel mit den Absolutheitsansprüchen von Leuten zu tun, die für eine Sache brennen und eine große Leidenschaft für etwas haben. Die mit ihren Ansprüchen, den Zweifeln und den Ängsten vor dem Scheitern zu kämpfen haben. Wo ausgerechnet das, was man am meisten liebt, zu einer schlechten Erfahrung gerät. Diese Zweifel haben auch etwas Konstruktives, fast eine Schutzfunktion. Im Fall von Lara führen sie dazu, dass sie zielsicher an ihrem Traum vorbei lebt – worin eine große Tragik liegt.
DIABOLO: Scheitern hört man häufig, wenn es um den zweiten Streich nach dem Kino-Debüt geht. Ist das zweite Mal tatsächlich so schwierig oder ist das nur ein Mythos?
Gerster: Das zweite Mal ist in allen Bereichen schwierig. Wie viele Bands können an ein erfolgreiches Debüt anknüpfen? Ein Erstlingsfilm lebt von allen möglichen Dingen, jedoch nicht von Erfahrung. Da zählen Magie und das Momentum. Sowie die Euphorie, mit der alle Beteiligten an dieses Projekt glauben. Beim zweiten Film fehlt es noch immer an Erfahrung, gleichzeitig gilt es, erneut diese Magie herzustellen. Entscheidend ist, dass der Film keine Verzweiflungstat wird, nur weil man etwas machen muss. Man sollte einen Stoff nicht deshalb wählen, weil man glaubt, er könne kommerziell. erfolgreich sein.  
DIABOLO: Was haben Sie die letzten sieben Jahre seit „Oh Boy“ denn gemacht?
Gerster: Das Zeitfenster ist mir selbst ein bisschen rätselhaft! (lacht) Ich bin bis Mitte 2014 mit „Oh Boy“ unterwegs gewesen, auf Festivals und zu Kinostarts im Ausland. Anfänglich fand ich das alles ganz aufregend, am Ende eher mühsam und schrecklich. Nach der tausendsten Frage, weshalb der Film schwarzweiß ist, kam ich mit einem echten „Oh Boy“-Kater zurück nach Berlin und brauchte etwas Zeit, um mich zu sortieren und an eigenen Ideen zu arbeiten. 2016 habe ich das „Lara“-Drehbuch entdeckt und dann ging alles schnell mit dem Projekt.  
DIABOLO: Die Miete zahlt sich nicht von selbst. Bringt ein Debüt so viel in die Kasse, dass man so lange davon leben kann?
Gerster: Weil „Oh Boy“ so wahnsinnig günstig in der Herstellung gewesen ist und verhältnismäßig viele Zuschauer gemacht hat, war mir so eine kleine Durststrecke finanziell möglich.
DIABOLO: Sparsam sind Sie dieses Mal beim Titel. „Lara“ wirkt erstaunlich unspektakulär im Vergleich zu „Oh Boy“.
Gerster: Mir gefiel schon immer diese lange Tradition von Filmen, die nach den Namen ihrer Protagonistinnen benannt sind: „Gloria“, „Gilda“, „Victoria“, „Elizabeth“, „Julia“, „Julietta“ „Emma“, „Lola“ und nun eben „Lara“, mit der ich zu diesem Reigen von Frauen-Namen beitragen wollte. Zudem ist es der Originaltitel von Drehbuchautor Blaz Kutin, an dem ich nichts verändern wollte.  Im Unterschied zu „Oh Boy“, wo ich bis zum Schluss über den Titel nachgedacht hatte, war diesmal die Sache von Anfang an klar.
DIABOLO: Ihre Hauptdarstellerin Corinna Harfouch wird mit Isabelle Huppert in „Die Klavierspielerin“ verglichen. Sehen Sie das ähnlich oder sind Sie eher genervt?
Gerster: Vergleiche mit der Huppert sind sicher als Kompliment gemeint. Auf der anderen Seite bedeutet das immer auch, dass es jemanden gibt, der größer ist und an dem man sich orientiert. Genau das gefällt mir dann doch nicht so gut. Ich finde Corinna Harfouch so einzigartig, besonders und unverwechselbar, da sind gar keine Vergleiche nötig. Sie ist Corinna Harfouch, Punkt!
DIABOLO: Was macht die Schauspielerin so einzigartig?
Gerster: Von Corinna geht eine ganz große, seltene Integrität aus, die man sich nach solch einer lange Karriere erst einmal beibehalten muss. Sie hat eine sehr interessante Sicht auf das, was sie macht. Wenn es keine interessanten Kinorollen gibt, spielt sie eben Theater oder macht Lesungen. Ich kenne niemanden, der so umtriebig und ständig beschäftigt ist, wie Corinna. Im Unterschied zu vielen anderen hält sie sich aus dem Boulevard heraus und muss nicht in jedem Mikrophon ihre Meinung zu allem kundtun. Diese Glaubhaftigkeit überträgt sich in ihre Arbeit. Das macht Corinna nicht nur zu einer Schauspielerin, sondern zu einer richtigen Künstlerin. Schauspieler als Künstler wahrzunehmen passiert nicht sehr häufig.
DIABOLO: Wie schwierig ist es, einer Künstlerin Regieanweisungen zu geben?
Gerster: Das ist nicht schwierig, weil Corinna daran interessiert ist, was man zu sagen hat. Die entscheidenden Dinge haben wir schon vor dem Dreh geklärt. Wir haben viel Zeit gemeinsam verbracht und dabei über alles Mögliche geredet. Auf diese Weise lernt man sich kennen und schafft ein Vertrauen, auf dieser Basis ist es mit der Arbeit dann gar nicht mehr so schwer. Zumal Corinna so eine instinktsichere Schauspielerin ist, dass in der Regel ihr erster Take der beste ist.  
DIABOLO: Was macht die Qualität von Tom Schilling aus?
Gerster: Tom versteht es, mit wenigen Pinselstrichen komplexe, oft introvertierte Figuren zu zeichnen. Er besitzt eine zurückhaltende Strahlkraft, die ihn von anderen Schauspielern seiner Generation unterscheidet. Mit Tom drehe ich nicht nur gerne, mir liegt auch viel an seiner Meinung. Er gehört zu den wenigen Menschen, denen ich Rohschnitte zeige und wissen möchte, was er davon hält.  
DIABOLO: Mit Frank Griebe haben Sie einen der besten Kameramänner des Landes, auf den auch Tom Tykwer regelmäßig setzt. Worin liegen seine Talente?
Gerster: Frank ist ein ganz großer Ruhepol für mich gewesen, weil er sich so schnell durch nichts beeindrucken lässt. Wenn ich bei 300 Komparsen ins Schwitzen komme, tut es gut, einen Blick auf Frank zu werfen, der einem diese enorme Unaufgeregtheit vermittelt. Tykwer und Griebe sind Selfmade-Typen, die sich ohne Filmhochschule alles selbst erarbeitet und beigebracht haben. Damit verfügen sie über eine Substanz an Wissen und Erfahrung, die selten ist.  
DIABOLO: Den Hansa-Platz in Berlin hat man auf der Leinwand so schön noch selten gesehen. Wie entdeckt man solche Schauplätze?
Gerster: Wir waren auf der Suche nach Orten, die einen bundesrepublikanischen Flair haben und in der die Zeit ein bisschen stehen geblieben ist. Lara sollte in Berlin einen Wohnort haben, der einen leicht dörflichen Charakter besitzt – dafür war der Hansaplatz ideal. Welche U-Bahn Arkade kann schon mit solch einer anständigen Weinhandlung aufwarten wie hier? Die Bewohner mögen Filmteams nicht so sehr, weil zu viele kommen. Aber irgendwie ist es uns gelungen, eine Drehgenehmigung zu bekommen.  
DIABOLO: Wie in „Oh Boy“ handelt die Geschichte an nur einem Tag. Zufall oder Markenzeichen?
Gerster: Das ist Zufall. Zunächst dachte ich kurz darüber nach, ob das vielleicht störend sein könnte, weil manche darauf herumreiten werden. Dann entschied ich, dass es völlig egal ist. In der Form des Erzählens wiederhole ich mich, aber das tue ich gerne, weil ich das Drehbuch so mochte. Mein nächstes Projekt „Imperium“ spielt dann nicht mehr nur an einem Tag, sondern umfasst zwölf Jahre!  
DIABOLO: Es wird aber keine weiteren sieben Jahre dauern, bis der Film ins Kino kommt.
Gerster: Hoffentlich nicht! (Lacht)
DIABOLO: Perfektionisten wie Stanley Kubrick passierte es, dass man in „Shining“ den Schatten des Kamera-Hubschraubers auf der Landschaft erkennt. Auch Ihnen passiert ein kleines Malheur, das nicht ausgeplaudert werden soll. Gleichwohl die Frage, wie ärgerlich sind solche Fehler für die Ewigkeit?
Gerster: Fehler können passieren. Im Schneideraum sagt man immer, wenn die Zuschauer solche Dinge feststellen, dann haben wir ein ganz anderes Problem: Dass sie auf alles Mögliche achten, nur nicht auf die Handlung. Soll ich vor dem Kinostart mit dem Retuschestift den Fehler digital ausbügeln? In „Oh Boy“ gehört zu den wiederholenden Elementen, dass der Held nie Feuer hat für seine Zigarette und immer jemand darum bitten muss. Bei der zweiten Vorführung fragte prompt ein Zuschauer, wie er sich bei der Szene im Wald denn allein diese Zigarette hätte anmachen können. Da blieb mir nur als Antwort, dass wohl ein Wanderer oder eine Fee vorbeigekommen sein müssten.

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