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Filme im Kino

MoX Kino-Tipps KW 4509.11.2022













Texte: Horst E. Wegener


Mrs. Harris und ein Kleid von Dior
GB/ Frankreich/ Ungarn ´22: R: Anthony Fabian. Ab 10.11. Wertung: ****
London in den 1950er Jahren: Als Putzfee für die egozentrische Upper-class-Gesellschaft geht es Ada Harris (Manville) finanziell zwar mehr schlecht als recht, doch Wehklagen liegt ihr nicht. Auch die erst jetzt übermittelte Nachricht vom Tod ihres im Zweiten Weltkrieg als Pilot abgeschossenen und bislang für verschollen erklärten Ehemanns bringt unsere stets in sich selbst ruhende Kellerwohnungsbewohnerin nur kurz aus dem Tritt. Bei einer ihrer permanent zahlungsunwilligen High-Society-Ladies entdeckt die patente Putze ein Haute-Couture-Kleid des Stardesigners Christian Dior – und verliebt sich unsterblich in das 500-Pfund teure Teil. Obwohl es ihr klar ist, dass sie wohl kaum eine Gelegenheit hätte, solch ein Designerstück zu tragen, beginnt Ada eisern für ihr persönliches Dior-Kleid zu sparen. Verzichtet fortan möglichst aufs Busfahren und das Beleuchten der Wohnung, hat zudem Wett-Glück beim Hunde- und Pferderennen, kann eine im Nachhinein ausbezahlte Witwenrente und die Belohnung für einen gefundenen Ohrclip verbuchen – um irgendwann tatsächlich im Flieger nach Paris zu sitzen. Doch einfach nur Hinfliegen, Einkaufen und in den Abendstunden den Rückflug anzutreten funktioniert natürlich nicht. Nicht nur der Abflug verspätet sich und in Paris legt die streikende Müllabfuhr die Großstadt lahm, zur Präsentation der neuen Kollektion des Hauses Dior verwehrt die biestige Dior-Direktorin Claudine Colbert (Huppert) Mrs. Harris den Zutritt. Glücklicherweise bietet sich der verwitwete Marquis de Chassagne (Wilson) an, die Paris-Besucherin als seine Begleiterin mitzunehmen. Eine Übernachtungsmöglichkeit findet sich ebenfalls, da für das ausgewählte Kleid die Maße der Barzahlerin über mehrere Tage hinweg am Körper abgenommen und verarbeitet werden müssen…Die Vorlage zum Film liefert ein 1958 erschienener Roman des Bestsellerautoren Paul Gallico, dem Regisseur Anthony Fabian sein im positiven Sinn aus der Zeit gefallenes Kinomärchen abtrotzt. So angestaubt einem die 50er-Jahre-Geschichte vorkommen könnte, der Regie gelingt es trotzdem, ganz nebenbei skandalöse Arbeitsbedingungen und Misswirtschaft in der Haute Couture-Branche zu thematisieren oder die Arroganz der Eliten gegenüber dem Volk zu benennen. Vor allem aber fungiert „Mrs. Harris…“ als One-Woman-Show von Lesley Manville - deren fürsorgliche Hauptfigur uns jederzeit sympathisch und grundehrlich näher gebracht wird, selbst nachdem ihre Freude am neuerstandenen Prachtkleid nur kurz währt. Da die Witwe ihr kostbares Kleidungsstück herzensgut verleiht, woraufhin das Teil in Flammen aufgeht: Tragisch, aber nicht zu ändern. Den Film adelt dies Missgeschick endgültig zum verfrühten Weihnachtsfilmmärchen-Juwel.
D: Lesley Manville, Jason Isaacs, Rose Williams, Isabelle Huppert, Lambert Wilson, Alba Baptista, Ellen Thomas, Lucas Bravo.
Bild: Liam Daniel / 2021 Ada Films Ltd
Black Panther: Wakanda forever
USA ´22: R: Ryan Coogler. Ab 9.11. Vorankündigung.
Der Tod von König T´Challa stürzt sein Reich in tiefe Trauer. Als Nachfolgerin ist die Mutter des Verstorbenen, Ramonda (Bassett) bemüht, die von ihrem Sohn vor den Vereinten Nationen in Wien der gesamten Welt  in Aussicht gestellte Öffnung Wakandas zu gewährleisten. Dass die Staatengemeinschaft somit Zugriff auf das kostbare Metall Vibranium erhalten würde, geht dem die Weltherrschaft anstrebenden Oberhaupt von Talocan, König Namor (Huerta), total gegen den Strich. Während Königin Ramonda noch in Wien weilt, rücken Namors Soldaten gegen Wakanda vor. Es gilt, sich zu wappnen und angefangen beim Tech-Genie Shuri (Wright), der Elitekriegerin Nakia (Nyong´o), Generalin Okoya (Gurira) und der von ihr angeführten Dora Milaje über den Anführer der Jabari M´Baku (Duke) sowie CIA-Agent Everett Ross (Freeman) ein starkes Bündnis zusammenzutrommeln. Wie schon beim ersten Black Panther-Kinohit ist Profi Ryan Coogler erneut für die Regie zuständig, begreift man T´Challas Tod als Möglichkeit, den Black Power-Kassenschlager zu einem Frauenpower-Actioner zu verdichten – vor allem bei Fans der Marvel-Comics-Verfilmungen mauserte sich das mehrfach verschobene „Wakanda forever“-Kapitel zu einem der am ungeduldigsten erwarteten Filme des Kinojahres.  
D: Angela Bassett, Letitia Wright, Lupita Nyong´o, Danai Gurira, Winston Duke, Martin Freeman, Florence Kasumbe, Tenoch Huerta, Dominique Thorne, Michaela Coel.
Bild: Walt Disney Company

Crimes of the Future
Kanada/Frankreich/Griechenland ´22: R: David Cronenberg. Ab 10.11.. Wertung: **
Bizarre Zukunft, in der Menschen das Talent gegeben ist, innerhalb ihres Körpers neue Organe zu züchten. So cool sich´s anhört, dass ihnen in diesem Stadium dann körperliche Schmerzen nicht mehr zu schaffen machen, vergeht einem bedauerlicherweise auch die Lust am Sex. Um sich wie in früheren Zeiten in Stimmung zu bringen, liebäugelt der eine oder andere mit einem operativen Eingriff zwecks Stimulation. Als wahre Könner ihres Metiers setzen Saul Tenser (Mortensen) und seine Assistentin Caprice (Seydoux) auf Öffentlichkeitswirksamkeit: Vor Publikum entnimmt Caprice dem Körper ihres Chefs Saul kunstperformance-affin die jeweils neu gezüchteten Organe – mit Interesse von den Behörden als auch von einer im Untergrund agierenden Widerstandsgruppe beäugt. Bis es blutig-brutal wird, baut Independent-Film-Urgestein David Cronenberg eine Zukunftswelt auf, die an seine früheren Schock-SciFi-Arbeiten à la "Scanners" oder „Crash“ erinnert, nur ungleich viel anämischer und verkopfter ausschaut.
D: Viggo Mortensen, Léa Seydoux, Kristen Stewart, Don McKellar, Scott Speedman.
Bild: Metropolitan FilmExport

The Menu
USA ´22: R: Mark Mylod. Ab 17.11. Wertung: ****-vier Punkte
Nachdem der junge, stinkreiche Schnösel Tyler (Hoult) von seiner eigentlichen Fine-Dining-Begleitung kurzfristig versetzt wurde, lässt sich Margot (Taylor-Joy) als Last-Minute-Date einspannen. Zusammen mit den restlichen Gästen wird man per Boot abgeholt und zur vor der Küste gelegenen Privatinsel geschippert. Dort erwartet einen dann ein gut viereinhalbstündiges Menü im Nobelrestaurant, dessen Preis von 1250 Dollar pro Kopf die bodenständige Margot frotzeln lässt: „Gibt´s Rolex-Uhren zu essen?“. Als einzige im Raum zeigt sie sich weder beeindruckt von den wortreichen Erläuterungen des Chefkochs Slowik (Fiennes) vor jedem Gang, noch von dessen Kreationen. Dass diese junge Frau seine Köstlichkeiten als einzige Person verschmäht und nicht mal die eigentlich angekündigte Begleitung Tylers ist, macht Slowik unruhig. Schließlich hat er einzelne Gerichte ganz persönlich auf seine jeweiligen Gäste zugeschnitten – und bezweckt damit letztlich Finsteres, wobei ihm Margots Kritik den Abend vermasseln könnte.TV-Regieveteran Mark Mylod  hält der teils hohlen oder pathetischen Sprache der Haute-Cuisine-Anhänger den Spiegel vor, leuchtet deren elitäres Getue randscharf aus und trommelt ein sternemäßig schauspielerndes Ensemble zusammen. Sein „Die Speisekarte“ beginnt als Fine-Dining-Satire, die sich mit der Zeit in eine Horror-Groteske verwandelt – und punktet als Genrekino-Schmankerl fürs Arthaus-Publikum.
D: Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Hong Chau, Janet McTeer, John Leguizano.
Bild: 20th Century Studios

Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten
Mexiko ´22: R: Alejandro Inarritu. Ab 17. 11. Wertung: ***
Der aus Mexiko stammende Journalist und Dokumentarfilmer Silverio Gama (Giménez) ist in der Heimat zwar anerkannt, so richtig geschätzt wird er jedoch eher in seiner langjährigen Wahlheimat USA. Dort fühlt sich der mittlerweile fast Sechzigjährige heimisch, lebt und arbeitet mit Ehefrau (Lamadrid) und Kindern in Los Angeles. Ausgelöst durch einen renommierten Preis, der ihm zuerkannt wurde, beschließt Gama mitsamt der Familie Mexiko einen Besuch abzustatten – und neben dem Auftritt in einer Talkshow alte Bekannte wiederzusehen. Die Reise wird zum Auslöser einer Identitätskrise, in der fortan Gama seine berufliche und private Existenz hinterfragt, familiäre Beziehungen und die Torheit früherer Erinnerungen einer Prüfung unterzieht, oder sich der Vergangenheit und den neuen mexikanischen Identitäten im Angesicht der von Kartell-Brutalität dominierten Gegenwart zu stellen versucht. Während der Egomane durch die Welt um ihn herum schlafwandelt wie in einem Fiebertraum, versieht Regie-enfant terrible Alejandro Inarritu seine Hauptfigur mit autobiografischen Zügen, um in der Tradition von Fellinis Opus magnum „Achteinhalb“ eine sehr persönliche Arbeit zu stemmen. Dabei hat man als Kinogänger immer mal den Eindruck, dass es diesem mehrfach oscar-prämierten Indie-Filmer (für „Birdman“ und „The Revenant“) in allererster Linie darum geht, zu zeigen, wozu er technisch imstande ist. Was die bilderwuchtige Befindlichkeits-Portraitstudie bisweilen ermüdend überdehnt.
D: Daniel Giménez, Ximena Lamadrid, Andrés Alemeida, Meteora Fontana, Griselda Siciliani.
Bild: Jeonwonsa Film Co. Production

Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall
Südkorea ´22: R: Hong Sang-soo. Ab 17.11. Wertung: ****
Seit Jahren hat Jun-hee (Hye-yeong) keinen neuen Roman veröffentlicht, steckt die berühmte Autorin in einer Schreibkrise. Dass ihr in einem Buchladen ihre frühere Kollegin Se-won (Young-hwa) begegnet, die mittlerweile Bücher verkauft, statt sie zu schreiben, lindert die Schaffenskrise der mit sich und ihrem Talent permanent ringenden Schriftstellerin kein bisschen. Wenig später trifft Jun-hee beim Flanieren durch einen von Seouls Außenbezirken auf den Filmemacher Hyo-jin (Hae-hyo), dem einst das Adaptieren einer ihrer Romane total missglückte, weshalb der eitle Fatzke ihr am liebsten nicht begegnen würde. Im Gespräch hält der Macho dann  mal wieder mit seinen überheblichen Ansichten nicht allzu lange hinterm Berg. Dass er der ebenfalls mit Jun-hee bekannten Schauspielerin Kil-soo (Min-hee) vorhält, ihr Talent zu vergeuden, weil diese seit Jahren kaum noch dreht, geht definitiv zu weit. In langen Gesprächen über Gott und die Welt, Kunst, Talent, Alltägliches und die Lust, Neues auszuprobieren, bringt uns der südkoreanische Independent-Filmer Hong Sang-soo seine Charaktere nahe. Erweist sich als Meister des Zwischenmenschlichen - in dessen Filmen ähnlich viel oder wenig passiert wie im europäischen Kino des Eric Rohmer. Sein „Die Schriftstellerin…“ punktet als Arthaus-Kinojuwel für erwachsene Cinephile.
D: Lee Hye-yeong, Kim min-hee, Kwon Hae-hyo, Seo Young-hwa.
Bild: SeoJu Park/ Netflix

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