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Überraschende Wendungen
Interview mit Max Herre über sein neues Album, das Ende des Monats erscheinen soll14.08.2019



Interview und Foto |  Ralf Koch

Glückwunsch zum neuen Album. Das erste seit 7 Jahren… ganz schön lang, oder?
Mir ist das gar nicht so lang vorgekommen, erst in den letzten zwei Jahren, in denen ich dran gearbeitet habe. Vorher war ich zu beschäftigt – mit dem Unplugged-Album und der Tournee, mit dem letzten Album von Joy, „Gleisdreieck“, ich habe an Megalohs Album mitproduziert, es gab also immer genug zu tun. Und dann dauert es für mich immer eine Weile, bis ich Musik gesammelt habe, bis ich weiß, was ich machen möchte.
Wir, d.h. Du und deine üblichen Partner?
Ja, genau, das sind KAHEDI alias Samon Kawamura und Roberto di Gioia. Ich hatte ursprünglich die Idee, mich an einem Jazz-Album zu probieren. Ich hatte mit Roberto 2015 einige Konzerte  mit Gregory Porter gespielt und war total beeindruckt davon, wie er es schafft, mit seiner Band Songs zu öffnen, immer wenn er nicht singt, und zurückzuholen, wenn er wieder ans Mikro geht. Und ich hatte mich immer für Jazz und traditionelle Musik interessiert, also dachte ich, ich könnte an verschiedene Orte fahren und da vergessene Musiker ausgraben und mit ihnen ihre Story besingen.
Klingt nach einem Mammutprojekt…
Ganz genau, das entwickelte sich daraus – und es wurde auch einfach zu groß, das merkte ich, als ich mich hinsetzte und Texte dazu schreiben wollte. Also landete das in der Schublade und ich begann zu überlegen, was ich stattdessen machen könnte. Und dann kamen die ersten Geschichten in mir hoch und ich begann daraus eine Verbindung dieser eigenen Sachen mit der ursprünglichen Idee der Reise zu verbinden. Dieser Roadtrip ist also geblieben, aber eben nicht um die halbe Welt sondern nach Athen.
Und die ursprüngliche Idee war auch ein Jazz-Album – oder eine Kollaboration aus deiner Musik mit Jazz-Musikern?
Roberto di Gioia hat ja eine Band namens Web Web und hat 20 Jahre mit Thomas Doldinger gespielt und ist mit allen Jazzgrößen aufgetreten und auch Samon Kawamura hat zum Beispiel mit Till Brönner Alben produziert. Da gibt es also schon auch eine große Expertise, auf die wir zurückgreifen können, und meine Liebe galt schon immer auch dem Jazz.
Aber obwohl es vielleicht immer mal Anklänge gab, wäre das schon Neuland für dich, oder?
Absolut, damit hatten meine Alben bislang nicht viel zu tun. Wenn man HipHop macht und in den 90ern angefangen hat, war natürlich der Jazz immer eine Einflussgröße und eine Riesenbibliothek, auf die man zurückgreifen konnte. Das haben damals zum Beispiel A Tribe Called Quest gemacht und es gab durch Don Philippe auch zu Freundeskreis-Zeiten schon Jazz-Anleihen ,aber in meinem Solo-Kosmos spielte das nie eine übergeordnete Rolle.
Die musikalische Neudefinition des Max Herre lässt aber jetzt erstmal auf sich warten?
Ja, aber es gibt auch schon Pläne für kommendes Jahr , u.a. dass ich mit Roberto di Gioias Web Web ein Album mache, auf dem wir dann die Ideen verwenden, die wir teilweise für das ursprüngliche Album komponiert hatten. Aber auch meine jetzige Platte ist eine Art Neudefinition, jede Platte ist eine Entwicklung für mich, weil es mir immer darum geht, nicht zu verwalten, was ich bereits gemacht habe, sondern einzufangen, was mich zum jeweiligen Produktions-Zeitpunkt am meisten interessiert. Ich glaube, dass diese Platte schon sehr anders klingt als meine letzte, einfach weil es auch viel gute Musik gab zwischendurch, die mich begeistert und beeinflusst hat.
Du hattest schon erwähnt, dass es deine Geschichten sind – ich hatte mich genau das beim Hören der Songs gefragt, weil sie sehr persönlich klingen. Woher kommen die Geschichten?
Es sind zumeist Erinnerungen, die ich ausgegraben habe. Und als Texter nimmt man sich natürlich die Freiheit, Dinge zu verdichten oder ihnen bestimmte Settings zu geben, aber im Großen und Ganzen sind das schon eigene Erfahrungen. Der Song „Siebzehn“ z.B., der eine Spiegelung meines 17jährigen Ichs an meinen damals 17jährigen Sohn ist oder auch der Titelsong „Athen“ hat einen wahren Kern. Und ideal ist eben, wenn der eigene Kosmos zwar die Basis ist, es aber dennoch Texte werden, in denen man sich auch als Hörer wiederfindet.
Wobei „Athen“ ja schon eine sehr konkrete Situation beschreibt… warum war es dir wichtig, dass das der Album-Opener ist?
Absolut! Sehr konkret. Erstmal heißt die Platte so und wir hatten ein paar Songs geschrieben, bei denen Athen immer wieder als Fluchtpunkt auftauchte – und es ist immer hilfreich und schön, wenn man ein Leitmotiv hat, dann sortieren sich die Gedanken und auch die Songs, die danach kommen um dieses Motiv. Und ich fand es musikalisch schön, weil es mit der griechischen Sängerin Melina Kana sehr passend anfängt und den Ton für das Album setzt. Es ist ein Album mit vielen Geschichten und der Opener ist eben sehr klassisches Storytelling und der musikalische Shift, den dieser Song macht, ist auch typisch für dieses Album – anfangs sehr modernistisch, analoge Syntheziser-Flächen, die dann wiederum übergehen in einen Instrumental-Teil im Stile des „70er Jahre Psychedelic Rock – und ich dachte, das sagt auch eine Menge über mich und meine musikalische Herkunft aus und dass an jeder Stelle dieser Platte eben auch unerwartete Wendungen eintreten können. Für mich ist das Album eine Roadtrip-Platte, sie hat eine Grundstimmung und trotzdem kann zu jedem Zeitpunkt alles mögliche passieren.
„Dunkles Kapitel“ – ist das dein Versuch einer aktuellen Aufarbeitung?
Ja, eher noch das Aufzeigen dieser Parallelität.  Spiegelungen sind ein wichtiges Thema auf der Platte und ich wollte ein Gefühl beschreiben, das emotional die Weimarer Republik beschreibt, diese Ahnung, da braut sich etwas zusammen, da rollt etwas an. Auch textlich wollte ich einen Duktus, der sich nach den späten 20er Jahren anfühlt. Und erst im Laufe des Songs kriegt man mit, dass es gar nicht um die Vergangenheit geht, sondern ums Jetzt.
In der Tat ist es besorglich, dass wir so eine Entwicklung schon wieder beobachten können.
Ja, v.a. in den Großstädten, in denen man denkt, es ist doch alles ganz offen und heterogen und man das Gefühl hat, so schlimm kann es nicht werden, da sitzt etwas, wovor ich Angst habe. Denn gerade dort, wo man denkt, wir hatten das ja schon, wir kennen das Problem, uns kann das nicht noch einmal passieren, bereitet mir das noch mehr Sorgen, so etwas zu sehen. Diese Vorstellung davon, dass man eine solche Situation unterschätzt.
Auch auf dem neuen Album gibt es wieder einen Song mit Deiner Frau Joy Denalane. Warum eigentlich nicht das Naheliegende und sie öfter mit dazuholen? Zumal die bisherigen Songs ja auch recht erfolgreich waren…
Das ist ehrlich gesagt  gar nicht so einfach, da den richtigen Ton zu treffen,  den richtigen Text zu schreiben, so viele Themen gibt es dafür gar nicht. Und dann soll es ja auch besonders gut werden, weil man da ja auch ein besonderes Erbe zu verwalten hat.

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