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Grundrechte ausgehöhlt?26.11.2020



Text  |  Christoph Kienemann

Die Länder Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen luden am 19. November zu einem Symposium zur Verkehrsdatenspeicherung ein. Minister*innen und Strafverfolgungsbehörden waren sich im Anschluss einig und sprachen sich vehement für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung aus. Nach dem Symposium traten Andreas May, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität in Frankfurt am Main, Carsten Rosengarten von der Generalstaatsanwaltschaft in Celle und Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime in Köln vor die Presse und appellierten: „Wir Ermittler fordern die Wiedereinsetzung der ausgesetzten Verkehrsdatenspeicherung in Deutschland!“

Bei der Vorratsdatenspeicherung sind Anbieter gesetzlich verpflichtet, Telefon- und Internet-Verbindungsdaten über einen bestimmten Zeitraum zu sichern. Ob eine solche Speicherung von Daten zulässig ist oder nicht, darüber streiten seit Jahren Gerichte und Parlamente. Während Letztere immer wieder neue Versuche starten, die Vorratsdatenspeicherung zu beschließen, haben Gerichte gesetzliche Regelungen gekippt, da sie die Grundrechte der Bürger*innen verletzten.
Die drei Justizminister*innen verweisen nun auf ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und interpretieren es so, dass die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Kriminalität auch für IP-Adressen zulässig sei. Rechtsexpert*innen stellen jedoch heraus, dass der EuGH erneut betonte, dass eine pauschale Massenspeicherung nicht zulässig sei und nur in Ausnahmefällen möglich ist. Die Richter*innen betonen, dass die anlasslose und massenhafte Speicherung von Kommunikations- und Standortdaten von allen Nutzer*innen der Telekommunikationsdienste gegen die EU-Grundrechtscharta verstößt. Geklagt vor dem EuGH hatten NGOs aus Großbritannien, Frankreich und Belgien, die sich gegen die Überwachungspraktiken der inländischen Geheimdienste wendeten.
Dennoch wollen die Justizminister*innen Eva Kühne-Hörmann (Hessen), Barbara Havliza (Niedersachsen) und Peter Biesenbach (Nordrhein-Westfalen) zum wiederholten Male die Methode der Vorratsspeicherung durchsetzen. Havliza erklärte: „Ich halte es für einen untragbaren Zustand, dass wir in Deutschland immer wieder auf Hinweise von unseren Partnern aus dem Ausland angewiesen sind, um insbesondere Täter von Kindesmissbrauch verfolgen und Opfer schützen zu können.“ Das Urteil des EuGHs deutet Havliza als Kehrtwende im Bereich der Vorratsdatenspeicherung. Doch der EuGH hat der Vorratsdatenspeicherung klare und eindeutige Grenzen gesetzt. In einer Pressemitteilung führt der EuGH aus, dass die Vorratsdatenspeicherung nur dann angewendet werden dürfe, wenn: „der betreffende Mitgliedstaat mit einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit konfrontiert ist, die sich alsecht und konkret oder vorhersehbar erweist.“ Die Richter*innen führen weiter aus, dass die Maßnahmen für einen begrenzten Zeitraum gelten und von einem Gericht oder einer unabhängigen Behörde geprüft werden sollten. Bei konkreten Bedrohungen der nationalen Sicherheit handelt es sich laut EuGH um terroristische Bedrohungen.
Neben der Vorratsdatenspeicherung hat die EU-Kommission im September dieses Jahres versucht, ein weiteres Mittel der digitalen Überwachung auf den Weg zu bringen. Die sogenannte E-Evidence-Verordnung soll es Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, Zugriff auf private Daten der Nutzer*innen von Internetkonzernen wie Facebook oder Twitter erhalten sollen. NGOs weisen auch in diesem Fall auf das große Missbrauchspotenzial dieser Regelung hin. Denn diese könnte auch von autokratischen Regierungen genutzt werden, um Aktivist*innen über Pressevertreter*innen zu kontrollieren und kritische Berichterstattung zu verhindern.

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