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Serie: Künstler von Hier27.08.2020



Text und Foto  |  Karin Eickenberg

Er schließt die Augen, wenn er spielt. Der Klang des Bandoneons ist unverwechselbar. Die Seele Argentiniens, voller Leidenschaft, sehnsüchtig und traurig-schön. Joaquin Alem stammt aus Buenos Aires, der Heimat des Tango. Er ist ein Meister des Bandoneons und der Gitarre. Aber auch ein hochgelobter Komponist, der sowohl in der traditionellen als auch in der klassischen und modernen Musikwelt unterwegs ist. Alem studierte in Buenos Aires am Konservatorium Carlos López Buchardo. Nach seinem Examen arbeitete er als Professor am Conservatorio de Música Ernesto Mogávero in Olavarría. Seine Konzertreisen führten ihn  quer durch Lateinamerika und Europa.  Bis er vor knapp 5 Jahren, der Liebe wegen, in Oldenburg landete. Hier ist der Vollblutmusiker seit 2016 als Dozent an der Carl von Ossietzky Universität tätig. Ein Glücksfall für die Studenten, denn zum ersten Mal steht das Bandoneon auf dem Lehrplan einer deutschen Universität. Zudem konzertiert er als Solo-Künstler und in diversen Orchestern, hier in Oldenburg zum Beispiel mit dem Staatsorchester, dem Staatstheater oder im Klangpol-Netzwerk für Neue Musik. Die Corona-Zeit nutzt der 44jährige für kreatives Arbeiten zu Hause. Im September kommt seine vierte CD heraus, „lado a y lado b“.  
   
DIABOLO: Was hat Sie zu Ihrer Kunst gebracht?
Alem: Letztlich sind es mystische Elemente, also ganz besondere Erfahrungen mit der Musik, und zwar als Interpret und auch als Komponist. Daran habe ich 25 Jahre intensiv gearbeitet. In diesem Zeitraum hat sich eine ganz bestimmte schöpferische Kraft mit meiner Ausbildung, meinen Prägungen, meinen Erfahrungen und auch meiner Kultur vereint. DIABOLO: Was möchten Sie mit Ihrer Kunst bewirken?
Alem: Nichts im Speziellen. Ich bin in erster Linie daran interessiert, etwas in mir selbst auszulösen oder hervorzurufen. Manchmal kommt ein kreatives Element von mir in einer Eröffnung oder einem Durchdringen von etwas zum Vorschein, das wir Seele nennen, andere Male als Stille oder als eine Art Grenzüberschreitung. An diesem Punkt in meinem Leben ist meine Musik oder die Musik allgemein nur dann vollkommen, wenn ich sie teile und sie wirklich gehört wird.
DIABOLO: Mit welchen Themen setzen Sie sich auseinander?
Alem: Als Komponist und als Interpret meiner eigenen Musik stehe ich andauernd unter Strom. Komposition und Interpretation fordern mich täglich heraus: Das Niveau meiner Auftritte mit beiden Instrumenten halten und steigern ist die eine, dabei zugleich komponieren, die andere Herausforderung. In den vergangenen Jahren habe ich diverse Repertoires angelegt, als Solist, für verschiedene Ensembles und für Orchester und derzeit untersuche ich Opern und Musicals im Hinblick auf mögliche Verbindungen zum typischen Klang des Bandoneons. Mit der Gitarre hingegen ergibt sich eine ganz andere Ästhetik und Technik, alles ist viel intimer und nach innen gerichtet, der Klang hat einen ganz anderen Einfluss auf den Körper und die Emotion ist eine ganz andere. Ich bin als Künstler in mehreren Disziplinen unterwegs – das beschreibt mich am besten.
DIABOLO: Wo und wie arbeiten Sie?
Alem: Derzeit arbeite ich in einem Arbeitszimmer meiner Wohnung. Wie ich arbeite, hängt davon ab, ob ich mich eher als Interpret oder als Komponist entwickeln will, da habe ich inzwischen unendlich viele Vorgehensweisen. Wenn ich komponiere, dann nehme ich wahlweise Klavier, Gitarre, Bandoneon zur Hand oder greife direkt zu Stift und Papier als Ausgangsbasis. Was ich schreibe, muss ich singen oder in irgendeiner anderen Form so in Worte fassen, damit ich es zum Klingen bringe. Meistens nutze ich am Ende dieses Prozesses auch den Computer.
DIABOLO: Ihre kreative Eigen-Art?
Alem: Für mich gibt es von klein auf nur Musik, und zwar ohne Kennzeichnungen oder Schubladen. Ich bin in alle Richtungen offen. Egal, ob Pop-Musik oder Klassik. Ich denke nicht, dass es grundlegende Unterschiede gibt, geschweige denn, dass es substantielle Gräben  zwischen diesen beiden von uns so bezeichneten Richtungen gibt.
DIABOLO: Ein Höhepunkt in Ihrer bisherigen Arbeit?
Alem: Ich sehe den Höhepunkt meines bisherigen kreativen Schaffens in meinen derzeitigen Werken und meiner jetzigen Arbeit. Daher würde ich mein neues Album „Lado a y lado b“ und „Inflexiones“, ein Werk für Bandoneon und Streichorchester, nennen.
DIABOLO: Ein aktuelles Projekt?
Alem: Ende August erscheint mein neues Album mit meinen Kompositionen, es trägt den Titel „A- und B-Seite“. Die A-Seite, wie bei einer Musikkassette, besteht aus fünf Bandoneon-Duos und die B-Seite aus fünf Duos für Gitarre. Es ist sehr emotional, diese Arbeit zu editieren, denn es ist eine sehr intime Synthese der drei Disziplinen, in denen ich beruflich tätig bin. Dieses Album entstand in Oldenburg und es wird auch vollständig durch Kai Leinweber und mich dort produziert.
DIABOLO: Wo ist Ihre Kunst zu sehen?
Alem: Derzeit am  besten auf meiner Website, auf digitalen Plattformen wie YouTube oder Spotify, auf meinen vier Alben und hoffentlich in naher Zukunft auf meinen regelmäßigen Konzerten.
DIABOLO: Was bedeutet Erfolg für Sie?
Alem: Erfolg bedeutet für mich als Künstler: Ich kann meine Bedürfnisse umsetzen. Dann habe ich Zugang zur bestmöglichen Produktion und der nötigen Infrastruktur dahinter.
DIABOLO: Wie lebt es sich als Künstler in Oldenburg?
Alem: In meinem Fall genau so wie in Buenos Aires, denn meine Musik habe ich von dort nach Oldenburg mitgenommen. In kreativer Hinsicht hat sich die Umgebung verändert, hier ist die Natur sehr präsent, die Kommunikation zwischen den Menschen ist anders, der Humor ist anders, das Klima ebenso. Doch Liebe, Freundschaft und seelischer Schmerz und all jene essentiellen Elemente, die in Bewegung sind und die wir niemals sehen oder anfassen können, sind dieselben.
DIABOLO: Ein Wunsch, ein Plan, eine Vision?
Alem: Wunsch: Meinen jetzigen Weg fortsetzen, aber mit mehr Ruhe. Plan: Im Chaos weiter arbeiten. Vision: Ich freue mich unbändig auf alles, was mich erwartet.
Kontakt:  www.joaquinalem.com

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