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„Vanitas“: Uraufführung von Antoine Jully und der BallettCompagnie Oldenburg30.01.2020



Text  | Martina Burandt
Bild | Stephan Wall
Mit einem beeindruckenden Anfangsbild beginnt die neueste Choreografie von Antoine Jully. Beinahe alle Tänzer*innen des 14-köpfigen Ensembles sitzen auf schwarzen Würfeln mit dem Gesicht zum Zuschauerraum. Wie in den fließenden Wellenbewegungen von Kettenreaktionen zeigen sie in schneller Folge unterschiedliche Gesten und Bewegungen. Mit Schulterzucken, Kopfdrehen oder  geometrischen Armbewegungen geht es auf, unter und um die Würfel.
Musik setzt ein: Die Mezzosopranistin Rebecca Jo Loeb beginnt zu singen. Am Klavier: Piotr Fidelus und am Violoncello: André Saad. Die drei Musiker*innen  befinden sich in einer Art Ausschnitt des Bühnenbildes –  einer strukturierten Plastik an der Bühnenrückwand.
In „Vanitas. Natura morta in un atto“ von dem 1947 geborenen italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino sind die  Klänge beinahe wie Geräusche. Diese Musik  wirkt unmittelbar auf unsere Gefühlswelt und ist schwer greifbar. Grundlage für Sciarrinos Komposition ist das  1927 entstandene Lied „Stardust“ von Hoagy Carmichael, das sich um Leere dreht und das Thema Vergänglichkeit reflektiert.
Der Begriff Vanitas stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Nichtigkeit, Eitelkeit und Leere und verweist auf die Endlichkeit unseres Seins. Es gibt eine Vanitas-Motivik mit bestimmten Symbolen, die in den unterschiedlichen Künsten als Bedeutungsträger herangezogen werden – wie die Rose für die Liebe oder eine Kerze für die menschliche Seele.
Die 70-minütige Choreografie von Antoine Jully zeigt neue, auch symbolträchtige und manchmal skurrile Bewegungsqualitäten: Insektenartige Rückwärtsbewegungen, Männer im Spitzentanz und gestische Bewegungsfolgen, die manchmal an Pina Bausch erinnern. In einer für Jully gewohnt raschen  Abfolge von Zusammenkünften und Zerstreuungen, kreist es auch tänzerisch  um die Thematik von Vanitas. Perfekt synchronisierte Gruppenchoreografien wechseln sich gekonnt mit Solos und Duos ab, lösen sich auf und finden temporeich und fließend wieder neu zusammen. Diese Flüchtigkeit und Wiederholung ist zunächst  ein passender Ausdruck von Zeit und Endlichkeit; dem ständigen Kreislaufs von Leben und Tod.
„Vanitas“ ist ein wenig wie ein bewegtes Bild, in dem sich nach und nach immer mehr Themen und Details entdecken lassen. Und gäbe es innerhalb der ständigen Wiederholungen nun auch den Mut zu Brüchen, beispielsweise in Tempo-Variationen wie Zeitlupe oder Standbildern, dann wäre auch die thematisch vorgegebene Leere und Stille greifbar.
Dagegen kann das atemlos fließende Tempo, die choreografische Fülle sowie die immer wieder gezeigte technische Perfektion der Compagnie auch ermüden. Setzt man zu viel darauf, geht ein Stück der Tiefe verloren, die so berühren kann, wie Sciarrinos Musik.
Das beweist der wunderbare Bruch zum Schluss der Choreografie, wo Jully – bevor wieder alle gestikulierend in einer Reihe sitzen wie am Anfang – mit Léo Ferrés „Avec le temps“ eine neue Musik einsetzt, zu der zunächst die Tänzerin Adi Hanan einen wunderbaren Tanz beginnt, bevor immer mehr Ensemblemitglieder dazu kommen. Das berührt das Herz und ist zum Weinen schön!

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