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Buch-Tipps
"Vincent" von Joey Goebel19.12.2023
Interview und Foto: Thea Drexhage
Hauptfigur ist Vincent. Er wird als Wunderkind bezeichnet. Die Talentagentur „New Renaissance“, möchte der Kunst in jeglicher Art und Weise zu einem Revival verhelfen, weil immer weniger Kunst konsumiert bzw. sich damit beschäftigt wird. Das Buch beginnt mit dem sehr eindrücklichen Brief eines Managers an den 7-jährigen Vincent, der auserkoren ist. Darin entschuldigt er sich von vornherein für alles, was passieren wird. Das Ganze wird ins Leben gerufen von einem Medientycoon, der eben diese Agentur bezahlt, die wiederum Talentscouts bezahlt, die Jugend-liche und Kinder in eine Akademie bringt. Sie werden dort für die verschiedenen Massenmedien ausgebildet. Es ist eben das Projekt „leidender Künstler“. Vincent ist insofern besonders, dass man früh merkt, dass er besonders melancholisch ist, vielleicht schon depressiv und sie sagen, genau da müssen sie ansetzen. So wird das Glück immer in Sichtweite, aber nie ganz erreichbar für ihn sein. Dabei wird der Leser in einen Zwiespalt gebracht. Man merkt, dass man beginnt, ganz ekelhaft zu denken. Beispielsweise lassen sie ihn sich in ein Mädchen verlieben, sorgen aber dafür, dass sie nie zusammenkommen. Es kommt dazu, dass das Mädchen auch Gefühle entwickelt, aber die Agency schreitet ein und kriegt sie dazu, ihm keine Chance zu geben. Auf der einen Seite hat man Mitleid, aber auf der anderen denkt man „na wer weiß, wozu es gut ist im Bezug auf die Kunst“.
MoX: Was hat Ihnen besonders gut gefallen?
Annika Blanke: Das Buch liefert viele Fragen und wenig Antworten, das mag ich total gern. Wird daher aber auch von einigen kritisiert. Man denkt die ganze Zeit darüber nach, dass diese ganze Tortur für irgendwas nützlich sein muss. Das sind teilweise schon perverse Gedanken, wie aus der Unzufriedenheit ein Triebmotor wird, obwohl die Situation in Wirklichkeit einfach nur schlecht ist. Man merkt, wie ein Medienkonsument tickt, was ein Medienkonsument vielleicht auch will. Man stellt sich die Frage, ob Künstler unsere Stellvertreter sind und Dinge aussprechen, die wir aussprechen sollten aber uns nicht trauen. Damit spielt der Roman auf eine tolle Art und Weise und er ist gut geschrieben. Er ist nun schon ein paar Jahre alt, 2004 erschienen. Und wenn ich mir jetzt anschaue, wie sich die Medienlandschaft in den letzten 20 Jahren verändert hat und wie viel konsumfreudiger wir geworden sind, aber wie viel auch nur als „was Schnelles zwischendurch“ aufgenommen wird, dann würde Joey Goebel heute wahrscheinlich einen etwas anderen Roman schreiben, aber nicht weniger drastisch.
MoX: Wem würden Sie das Buch empfehlen?
Annika Blanke: Für jene, die Lust auf einen guten Gegenwartsroman haben. Für jede Person, die glaubt, dass Kunst nicht nur zum Konsumieren ist, sondern dass jede Art der Kunst auch immer eine Auseinandersetzung mit sich selbst ist. Natürlich kann ich Dinge einfach nur schön finden und auch das kann ein Selbstzweck sein. Vielleicht ist das Buch gerade auch für Künstler geeignet. Es ist auch interessant für Leute, die Interesse daran haben, wie Mechanismen der Medienindustrie funktionieren, die natürlich super überspitzt dargestellt werden, aber ich befürchte, dass das in Teilen gar nicht so überspitzt ist.
MoX: Wie haben Sie das Buch gelesen?
Annika Blanke: In Papierform. Es war eine Empfehlung eines Freundes oder einer Freundin und da möchte ich mich auch nochmal bedanken. Wenn Leute so lapidar sagen: „Das könntest du mögen.“, dann möchte ich sie jetzt schütteln und sagen: „Mögen ist kein Ausdruck, ich finde das richtig gut!“