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Gegen mein Gewissen11.09.2024



Interview Thea Drexhage Foto: Heike Steinweg


MoX: Sie bearbeiten in “Gegen mein Gewissen“ eine Familiengeschichte. Ihren Onkel kannten Sie nicht persönlich. Wie kamen Sie nach so langer Zeit darauf, sich dem Thema zu widmen?
Hannah Brinkmann: Meine Großmutter lebte im nieder-sächsischen Emsland Lindern und ist 2004 verstorben. Nach ihrem Tod haben wir das Haus aus-geräumt und dabei habe ich die Todesanzeige von Hermann gefunden und für mich war das so das erste Mal, dass ich verstanden habe, warum er sich umgebracht hat. Ich wusste zwar davon aber kannte die Hintergründe nicht. Die Todesanzeige ist ja auch im Buch abgedruckt und sehr politisch, da sie seine letzten Lebensdaten und die Hinter-gründe zum Suizid aufzeigt. Diese Anzeige wurde in den 70er Jahren veröffentlicht und hat zu einem großen Medienecho geführt. Das war mein erster Kontakt dazu und ich habe sie dann aufgehoben. Irgendwann am Anfang meines Studiums, ca. 10 Jahre später habe ich meine Professorin Anke Feuchtenberger von dieser Geschichte erzählt und dass ich das gern verarbeiten würde. Da hatte ich bereits begonnen, mich mit Comic zu beschäftigen. Sie hat mich dann sehr darin bestärkt, die Bedeutung dieser Anzeige zu erforschen und dann hat sich dieser ganze Komplex der Kriegsdienstverweigerung und der Gewissensprüfung für mich eröffnet in der Recherche. Dadurch ist es letztlich so ein großes Projekt geworden und aus der Familiengeschichte heraus ist eine politische Erzählung geworden.
MoX: Die Thematik ist sehr komplex. Wie schafft man es, dies im Comic darzustellen?
Hannah Brinkmann: Eine meiner ersten Erkenntnisse war, dass ich und viele meiner Alters-genossen gar nichts über diese Gewissensprüfungen wussten. Deswegen musste ich komplett von vorn darüber recherchieren und alles darüber herausfinden. Alles was ich dazu gelesen habe, war aus juristischen Büchern und damit sehr trocken. Dabei ist das Thema so menschlich und so viele Menschen waren davon betroffen und so viele Schicksale hängen an diesem Komplex. Das hat mich angespornt und davon überzeugt, dass ich das in einem Comic gut verarbeiten kann, weil der Comic aus der trockenen, juristischen Sprache rausgeht ins Bild. Gerade den Prozess der Gewissensprüfung im Bild darzustellen und nicht nur diese teilweise rhetorisch fürchterlichen Fragen aufzuschreiben, die die Leute in eine Zwickmühle bringen sollten, sondern zu zeigen, was das auf einer emotionalen Ebene mit den jungen Menschen gemacht hat, war mir wichtig. In dieser emotionalen Ebene habe ich im Bild die Chance gesehen.
MoX: In diesem Buch stecken viele Jahre Arbeit und Recherche. Wie hat es sich angefühlt, dies in so einer schwierigen Zeit wie dem Jahr 2020 zu veröffentlichen?
Hannah Brinkmann: Erst haben wir überlegt, ob wir es überhaupt veröffentlichen, weil ja niemand wusste was passiert. Im Verlag wurde dann am Ende doch gesagt, dass wir genau zu so einer Zeit starke Geschichten brauchen. Und bei der von Hermann ist es einmal dieses persönliche und einmal dieser vergessene Aspekt aus der Geschichte, über den man viel sprechen kann. So kam es, dass wir doch veröffentlicht haben. Die Arbeit davor zog sich über 4 Jahre während meines Bachelor- und Masterstudiums. Das war sehr intensiv, so intensiv wird man vermutlich nie wieder an einem Buch arbeiten können. Das war ein auf und ab und auch eine Auseinandersetzung mit der Familie. Das hätte ich alles nur in dieser Zeit machen können, in dieser Sicherheit, noch im dieser Sicherheit, noch im Studium zu sein und mit der Bestärkung meiner Professoren auch in schwierigen Momenten. Ich habe durch dieses Buch total viel gelernt.
MoX: Hat die Recherche sie schon einmal nach Oldenburg gebracht, oder wird das der erste Besuch?
Hanna Brinkmann: In Oldenburg war ich nicht, aber ich war natürlich viel in Lindern und Umgebung unterwegs. Hermann war ja nur beim Kreiswehrersatzamt und im Landgericht zur Verhandlung. Da gab es Videomaterial, wie er davorstand. Die Lesung findet ja nahe dem Kreiswehrersatzamt statt, das wird sicher spannend.

MoX: Das Wehrpflichtthema bekommt aktuell wieder eine neue Bedeutung, wie fühlt sich das an nach so einer Geschichte?
Hanna Brinkmann: Ich verfolge das seit dem Beginn des Ukrainekriegs und habe gemerkt, dass Hermanns Geschichte seitdem weniger gefragt ist. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Pazifismus vor dem Krieg einen größeren Raum einnehmen konnte. Da war dann eher interessant, was die Soldaten an der Front machen und so eine Art Soldatenkult wieder da. Natürlich ist das alles völlig in Ordnung, dass sich die Ukraine wehrt, das meine ich gerade nicht. Aber interessant fand ich die Rhetorik drumherum, dass das sozusagen weniger um Pazifismus ging als um Krieg an sich und daraus immer wieder diese Wehrpflichtfragen aufgewühlt wurden. Ich finde schwierig, dass da Ü-50 Menschen sitzen und darüber reden, dass unsere 18-Jährigen in den Krieg ziehen sollen für uns. Das allein ist problematisch und ich finde, dass Hermanns Geschichte zeigt, was der Zwang zur Wehrpflicht für ganz viele junge Leute bedeuten kann. Der Weg, dass aus der vielleicht anfangs freiwilligen Wehrpflicht wieder ein Zwang wird, ist ja nun mal kurz. Eine Wehrpflicht ist nur ausgesetzt und nicht abgeschafft und das sehe ich als Gefahr für junge Menschen. Deswegen ist es wichtig, sich mit Pazifismus auseinanderzusetzen und was es für einen persönlich bedeuten würde, in die Bundeswehr zu gehen. Diesbezüglich findet leider überhaupt keine Bildung statt. Damit junge Leute sich für eine etwaige Wehrpflicht entscheiden, sollten sie doch erstmal ein fundiertes Wissen haben.


Hannah Brinkmann wird das Buch am Sonntag den
22.9.2024 um 17 Uhr im Jochen-Klepper-Haus
(Bremer Straße 228) vorstellen.Der Eintritt ist frei


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