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Filme im Kino

MoX Kino-Filme KW 4508.11.2023













Texte: Horst E. Wegener
The Quiet Girl
Irland ´22: R: Colm Bairéad. Ab 16.11. Wertung: ***** Bild: Neue Visionen Filmverleih
Irland zu Beginn der 1980er Jahre: Weil ihren Eltern erneut Nachwuchs ins Haus steht, und man in der finanziell aus dem letzten Loch pfeifenden Großfamilie jetzt schon kaum mehr weiß, wie alle Mäuler gestopft werden sollen, wird die neunjährige Cait (Clinch) über die Sommerferien zu Moms Verwandtschaft geschickt – auf die Farm des kinderlosen Paares Séan (Bennett) und Eibhlin (Crowley). Das in sich gekehrte, wortkarge Mädchen braucht seine Zeit, um sich in der neuen Umgebung einzufinden. Während sie von der warmherzigen Ersatzmutter Eibhlin mit offenen Armen aufgenommen wird, bleibt der Hausherr zunächst auf Distanz, öffnet sich Cait gegenüber erst ganz allmählich. Irgendwann spürt die Neunjährige, dass ein schmerzliches Geheimnis ihre Pflegeeltern belastet – weshalb sie ihr bestes tut, um etwas von der Liebe und der Fürsorge an Séan und Eibhlin zurückzugeben, die man Cait im Elternhaus von klein auf verweigern mochte. Doch dann steht das Ende des Sommers an und die Rückkehr zu den Eltern droht der Neunjährigen.Das 2023 für einen Oscar in der Kategorie „Bester internationaler Film“ nominierte Kammerspieldrama von Regiedebütant Colm Bairéad stellt ein Paradebeispiel fürs Kino der leisen Töne dar. Blicke und Gesten genügen hier, um die Geschichte der jungen Cait (herausragend besetzt) in all ihren Facetten zu erzählen. Das offene Ende könnte uns Kinogänger zu Tränen rühren; Herzschmerz-Arthauskino vom Feinsten.
D: Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Kate Nic Chonaonaigh.


Ein ganzes Leben
Deutschland/Österreich ´23: R: Hans Steinbichler. Ab 9.11. Wertung: **** Bild: Tobis Film
Die österreichischen Alpen um 1900: Als Waisenkind kommt Andreas Egger im Alter von acht Jahren auf den Hof des brutalen Bauern Hubert Kranzstocker (Lust). Dort beißt sich das Bürschlein durch, wächst zu einem starken Mann heran – obwohl ihm sein Stiefvater das Leben extrem schwer zu machen versucht. Irgendwann ist die Kämpfernatur dann bereit, dem Haus des gewalttätigen Alten den Rücken zu kehren. Andreas kauft sich eine Hütte in den Bergen, hilft beim Aufbau der ersten Seilbahn und lernt in Marie (Richter) die große Liebe seines Lebens kennen. Doch dann verändert eine Tragödie alles, bleibt dem Eigenbrötler das Glück verwehrt…
Durch den Verzicht auf einen Kommentar aus dem Off (der die inneren Monologe des zugrundeliegenden Romans von Erfolgsautor Robert Seethaler widergibt) verlässt sich Filmemacher Hans Steinbichler einerseits voll und ganz auf seine Darsteller – darunter Ivan Gustavik, der Andreas als Kind darstellt, Stefan Gorski, der jenen Zeitraum von 18 bis 47 übernimmt sowie August Zirner, der die Lebensphase von 60 bis 80 abdeckt.  Vor allem jedoch lässt die Regie die grandiosen Bildkompositionen des Kameramanns Armin Frantzen in Zusammenarbeit mit einem opulenten Soundtrack wirken. Beeindruckend.
D: Stefan Gorski, August Zirner, Ivan Gustavik, Andreas Lust, Julia Franz Richter, Robert Stadlober, Thomas Schubert, Maria Hofstätter.


Tótem
Mexiko/ Dänemark/ Frankreich ´23: R: Lila Avilés. Ab 9.11. Wertung: **** Bild: Limerencia Films
Gar zu gern würde die siebenjährige Sol (Senties) endlich mal wieder ihren Vater  sehen – die Feier seines Geburtstags erscheint ihr dafür günstig. Doch  Sols Papa Tono (Elizondo) ist so schwer an Krebs erkrankt, dass dies wohl das letzte Zusammentreffen der gesamten mexikanischen Großfamilie darstellen wird; unerträgliche Schmerzen halten den Künstler längst sogar vom Malen ab. Wie gewohnt vertrösten also alle das siebenjährige Kind, erklärt man der Kleinen, dass ihr Vater Ruhe brauche, bevor er zur eigenen Party dazu stoßen könne – während die Runde der Älteren die Gelegenheit nutzt, um sich bevorzugt mit sich selbst zu beschäftigen. Letzteres erscheint nicht nur der aufs Tortenbacken und Alkohol süffelnden Tante Nuria (Maranon) oder dem Großvater als dem nominellen Familienoberhaupt bequemer, um somit Tonos bevorstehenden Tod auf Abstand für sich zu halten. Sol wird derweil hartnäckig übersehen, man lässt sie durch das weitläufige Haus geistern, ohne dass ihr Papas Pflegerin Cruz (Sánchez) den Zutritt zum Sterbenden gewährt…
Rund um das Mädchen und seinen kranken Vater entfacht Filmerin Lila Avilés ihr warmherzig ausformuliertes Kammerspieldrama  über das Erlöschen des Lebens, baut „Tótem“ zu einem sehenswerten Mehr-Generationen-Reigen aus, der offenbar tief im magischen Realismus der mexikanischen Kultur verwurzelt ist.´
D: Naima Senties, Mateo Garcia Elizondo, Teresa Sánchez, Montserrat Maranon, Marisol Gasé, Saori Guiza.


Fremont
USA ´23: R: Babak Jalali. Ab 9.11. Wertung: **** Bild: JHR Films
Da sie in ihrer afghanischen Heimat für die Amerikaner als Übersetzerin arbeitete, konnte sich Donya (Zada) im Zuge der Rückkehr der Taliban an die Macht rechtzeitig in die USA absetzen. Dass ihr als Einzige aus ihrer Familie die Flucht gelang, lässt sie sich schuldig fühlen und keinen Schlaf finden. Auch in einer angetretenen Therapie wird es nicht besser – irgendwann spricht Donya bei einem Arzt vor, erhofft sich zumindest ein Schlafmittel. Denn ansonsten verläuft ihr Leben im kalifornischen Städtchen Fremont unweit von San Franzisco durchaus unspektakulär, rührt die Immigrantin tagsüber in einer Fabrik, in der chinesische Glückskekse hergestellt werden, den Teig an und schaut nach getaner Arbeit noch gerne in einem Diner vorbei, bevor ihr wieder eine schlaflose Nacht bevorsteht. Als dann eines Tages im Betrieb jene ältere Arbeitskollegin stirbt, die sich die Sprüche für die Glückskekse ausdenken durfte, trägt der Chef diese Aufgabe Donya an – eine hervorragende Gelegenheit für von Schuldgefühlen geplagte Immigrantin, um Botschaften in die Welt zu senden oder den Glückskeksspruchweisheiten ihre Telefonnummer beizulegen, in der Hoffnung, jemanden kennenzulernen. Dem iranisch-stämmigen, in London lebenden Regisseur Babak Jalali glückt die Gratwanderung zwischen einer unerwartet leichtfüßigen Komödie und Drama. Großen Anteil am Gelingen dieser Balance hat die Hauptdarstellerin, die stoisch die teils absurden Geschehnisse um sie herum zur Kenntnis nimmt – und natürlich jene Situationskomik, deren lakonischer Dialogwitz einen an Jim Jarmush oder Aki Kaurismäki denken lässt.
D: Anaita Wali Zada, Gregg Turkington, Hilda Schmelling, Jeremy Allen White.


Joyland
Pakistan ´22: R: Sain Sadiq. Ab 9.11. Wertung: ***** Bild: Condor Distribution
Der alte Rana gibt einen Clanpatriarchen ab, wie es für die erzkonservative pakistanische Gesellschaft gang und gäbe scheint. Obwohl ihm seine Frau Nucchi (Gilani) schon drei Mädchen geboren hat, wartet er weiterhin auf einen männlichen Stammhalter. Doch auch Kind vier ist wieder kein Knabe. Wütend darüber reagiert der Alte seine mit Händen zu greifende Enttäuschung übers Ergebnis ab, indem er sich seinen arbeitslosen Sohn Haider (Junejo), der sich bislang zusammen mit der Schwägerin um den Haushalt der Großfamilie kümmerte, vorknöpft und ihm befiehlt, sich endlich eine Stelle zu suchen. Haiders weltoffener, lebenslustiger Frau Muntaz (Farooq), die als Kosmetikerin in einem Schönheitssalon arbeitet, untersagt der Patriarch diese Tätigkeit ab sofort und weist ihr den Haushalt zu. Durch Vermittlung eines Freundes findet Haider unerwartet schnell eine Arbeit als Backgroundtänzer in der Truppe der Transfrau Biba (Khan). Da Familienoberhaupt Rana dies auf keinen Fall erfahren darf, wird  zuhause geflunkert, man würde als Theatermanager arbeiten. Durch eine bald in die Gänge kommende Affäre mit Biba bekommt dann kurzfristig selbst die Beziehung des fremdgehenden Flunkerers zur Angetrauten genügend Schwung, um Muntaz schwanger werden zu lassen. Allerdings lotst deren Schwangerschaft Haider endgültig auf eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen schwulem Gefühlschaos und verkapptem Männlichkeitswahn – was von der Regie in eine semidokumentarisch inszenierte Tragödie überführt wird, die uns ein differenziertes Bild der heutigen Gesellschaft in Pakistan präsentiert. Bezeichnend, dass „Joyland“ in der Punjab-Region der Großstadt Lahore, wo die Handlung spielt, bis heute nicht gezeigt werden darf.    
D: Ali Junejo, Rasti Farooq, Alina Khan, Sarwat ilani, Salmann Peerzado.


Thanksgiving
USA ´23: R: Eli Roth. Ab 16.11. Wertung: *** Bild: CTMG
Ein maskierter Serienkiller hat sich ausgerechnet die beschauliche Kleinstadt Plymouth im US-Bundesstaat Massachusetts herausgesucht, um dort an Thanksgiving die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Ob die Tatsache, dass das familienfreundliche Erntedankfest hier einst seinen Ursprung hatte, etwas mit den Metzeleien zu tun haben könnte, damit beschäftigt sich der örtliche Sheriff (Dempsey) allerdings nur am Rande. Sein Ziel ist es vor allem, den Killer möglichst schnell zu stoppen. Mit „Thanksgiving“ greift sich „Hostel“-Regisseur Eli Roth seinen eigenen Fake-Trailer aus dem kultigen Double Feature-Trashstreifen „Grindhouse“ von 2007, um ihn auf Spielfilmlänge auszuweiten. Das Ergebnis: Hardcore-Jungs-Kino, das am besten im Kreise der Clique in der Spätvorstellung genossen wird.
D: Patrick Dempsey, Addison Rae, Milo Manheim, Nell Verlaque, Gina Gershon.

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