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Wie ist so etwas möglich?24.02.2019



Text: Michael Richter
Immer wieder sind in der Öffentlichkeit Stimmen zu hören, die das bezweifeln. „Das ist ja schon so lange her“, „Der ist doch schon wegen Mordes verurteilt“, „Das Geld könnte man sparen…“, lauten die bisweilen munteren Kommentare angesichts der Berichterstattungen in allen Medien. Das war auch meine Meinung, mit der ich dann im letzten Jahr in die Prozesseröffnung ging. Dort lernte ich den Vorsitzenden Richter Bührmann kennen und der brachte mich zum Nachdenken. Es gibt einen Mörder und nach jetzigem Stand 100 nachweisbare Opfer. Was ist jedoch mit den Hinterbliebenen der Frauen und Männer, die ihr Leben verloren hatten? Sie werden seit vielen Jahren mit der Ungewissheit gequält, was mit ihren Angehörigen geschehen ist? War hier ein Mord geschehen? Oder starb sie oder er eines natürlichen Todes? Diese Fragen blieben! Diese Fragen wurden jeden Tag wieder gestellt und es gab keine Antwort!  
Einer Antwort kommen wir jetzt erst, mit jedem Prozesstag, ein Stück näher!  Damit die Hinterbliebenen abschließen können, mit dem Unfassbaren und endlich etwas Ruhe finden. Das haben sie verdient, auch wenn es viel Steuergeld kostet.  Noch etwas ist in den letzten Prozesstagen in den Focus gerückt. Niels Högel war nicht allein! Wäre dieser Massenmord ohne einige seiner Kolleg*innen im Klinikum Oldenburg und Delmenhorst möglich gewesen? Wann wurde die Frage nach dem warum gestellt? Selbst die damals zuständige Staatsanwaltschaft fand anscheinend nicht die richtigen Fragen!  Lange Jahre vergingen, bis endlich und leider erst 2014 die SOKO Kardio ihre Arbeit aufnahm. In den darauffolgenden Jahren kamen auch diese Profis oft an ihre Grenzen des Ertragbaren. Und eines wurde immer deutlicher, es waren die Kolleg*innen, die die Taten Högels begünstigten. Bis auf wenige Ausnahmen und diese Kollegen wurden dann auch noch gemobbt! Fast alle Kolleg*innen wollen von all dem nichts gewusst haben. Selbst im aktuellen Prozess gibt es eine auffällige Vergesslichkeit in der Öffentlichkeit. Auch der Oldenburger Klinikchef, der erst Jahre später in die Klinik kam, scheint konsequent eine Verschleierungstaktik für richtig zu halten. Nach seiner eigenen Aussage führte er bereits 2014, direkt nach Kenntniserhalt, umfangreiche Gespräche mit seinen betroffenen Mitarbeiter*innen. Erst sage und schreibe 4 Jahre später und nur auf Androhung einer Hausdurchsuchung, übergab er seine Informationen zu den Mitarbeiter*innen der zuständigen Sonderkommission.  Wie ist so etwas erklärlich?
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen fünf „(teils ehemalige) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg“ eingeleitet, nach Aussage des Klinikums „wegen des Verdachts des Meineids in vier Fällen und des Verdachts der falschen uneidlichen Aussage in einem Fall“.  Nach Aussage des Klinikums wurden die betroffenen Mitarbeiter „mit sofortiger Wirkung bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens von ihrer Arbeit im Klinikum freigestellt“. Nun müsse die Staatsanwaltschaft schnellstens prüfen, ob hier Falschaussagen vorlägen.


Der weitere Prozessverlauf
am 21.2. und 22.2.19
Der Tag beginnt mit einer Überraschung. Der Zuhörerbereich ist der heutigen Nachfrage nicht gewachsen und wird um Teile des Pressebereiches erweitert. Es geht an beiden Tagen wieder um MitarbeiterInnen des Klinikums Oldenburg. Werden auch sie keine Erinnerung haben? Der vorsitzende Richter Bührmann beginnt die Sitzung mit dem eindringlichen Appell an Nils Högel, die Wahrheit zu sagen. Wie schon so oft, versucht er nochmals deutlich zu machen, wie wichtig die Wahrheit für die Rechtsfindung und vor allem die Hinterbliebenen ist. Högel zeigt sich ungerührt.                                                                                                   Beginnend mit dem ersten Zeugen Ewald H. wird deutlich: es wird weiter geschwiegen und vertuscht. Selbst von protokollierten Aussagen gegenüber der Klinikleitung und Mails mit seinem damaligen Freund Lauxtermann will er heute nichts gewusst haben. Die nächste Zeugin Pia U., Mitglied des Betriebsrates der Klinik, kann sich ebenfalls nicht mehr erinnern. Auch bei ihr gibt es deutliche Zweifel an der Ehrlichkeit, da auch sie mit schriftlichen Protokollen konfrontiert wird, die ihr Wissen deutlich machen. Diese Protokolle wurden von ihr selbst verfasst und belegen das Wissen um die Wahrheit schon 2002 … Aber sie kann sich nicht mehr erinnern.                                                                      
Am nächsten Verhandlungstag gibt der Zeuge K., auch ehemaliger Kollege von Niels Högel, deutlich andere Einblicke. Er ist in diesem Prozess bereits das zweite Mal als Zeuge dabei und war bereits in den vorangegangenen Prozessen Zeuge. Er wirkt authentisch und ehrlich und macht deutlich, dass er mittlerweile auch Opfer ist. In den Vorprozessen wurde er 3 Jahre, mit einem eigenen Strafverfahren gegen ihn, unrechtmäßig verfolgt. Diese Jahre haben ihre Spuren hinterlassen, bei ihm und sicherlich auch in der Betrachtung der Strafverfolgungsbehörden.                                                                                                                 Der nachfolgende Zeuge Jens H., ebenfalls Krankenpfleger auf der 211 und Jugendfreund von Niels Högel wurde deutlicher. Zumindest konnte er sich an die Kaliumkonferenzen erinnern.  Diese fanden im großen Mitarbeiterkreis, außerhalb der Abteilung im benachbarten MAZ Gebäude statt. Daran konnte sich Dr. N., damals Oberarzt in der Abteilung, nicht erinnern. Er habe nichts über die Kaliumproblematik auf der Station gewusst. Diese Konferenzen in der Abteilung habe er auch nicht gekannt, er sei nur Oberarzt gewesen. Nachdem er mehrfach in seiner Vernehmung mit entsprechenden Details konfrontiert wurde, von denen er wissen musste, gab er zumindest eine Überlegung zu. Einige Dinge in dieser Problematik hätte er schon gehört, aber diese Informationen wurden an den Chefarzt weitergegeben und der habe es zur Chefsache gemacht. Damit ging ihn das nichts mehr an.    
Aufgrund des Erinnerungsschwunds war es nicht verwunderlich, dass auch Dr. N., wie Frau U. vom Betriebsrat und Herr H., nach ihrer Vernehmung, vereidigt wurden. Richter Bührmann machte allen deutlich, dass er ihnen nicht glaubt und auch die ltd. Staatsanwältin hatte an den beiden Tagen diese Sichtweise mehrfach deutlich vertreten.
Leider machten auch diese beiden Verhandlungstage wieder einmal sehr deutlich, wie der  Wahrheitsanspruch im Klinikum Oldenburg und bei den beteiligten Mitarbeiter*innen bewertet wird.  Die Kollegen wollten es damals nicht wahrhaben und das ist bei der Dimension dieses größten Massenmordes in der Bundesrepublik, aus heutiger Sicht, nachvollziehbar. Seit 2014 werden sie durch die SOKO Kardio jedoch mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und sie hatten die Gelegenheit sich der Realität zu stellen!

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