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Filme im Kino

MoX Kinofilme KW 0210.01.2024













Texte: Horst E. Wegener


Poor Things  
GB/Irland/USA ´23: R: Giorgos Lanthinos. Ab: 18.1. Wertung: ***** Bild: Searchlight Pictures
England im 19 Jahrhundert: Dem exzentrisch-experimentierfreudigen Arzt Godwin Baxter (Dafoe) gelingt es, das Gehirn einer Selbstmörderin durch das ihres ungeborenen Kindes zu ersetzen – und die Tote mithilfe einer Elektroschockbehandlung ins Leben zurückzuholen. Allerdings hat die von Baxter fortan Bella genannte Kreatur (Stone) somit das geistige Alter eines Babys, weshalb sie von ihrem Ziehvater, dessen Haushälterin und dem zusätzlich angeheuerten Medizinstudenten des Mad Scientists namens Max McCandles (Youssef) erst behutsam mit der Umwelt vertraut gemacht werden muss. Dabei verliebt sich McCandles unsterblich ins Mündel seines Mentors – und zu seiner Freude stimmt Dr. Baxter einer Heirat der beiden zu. Bevor es jedoch soweit ist, wird die Schönheit vom schmierigen Anwalt Duncan Wedderburn (Ruffalo) verführt. Obendrein lässt sie sich vom Winkeladvokat überreden, mit ihm durchzubrennen. Die beiden bereisen Europa und Nordafrika – und Wedderburn verfällt zusehends mehr den schier unstillbaren sexuellen Gelüsten seiner wissbegierigen Begleiterin, die immer besser versteht, was sie selbst will. Peu à peu dämmert´s ihr, dass sie durch Sexarbeit im viktorianischen Zeitalter finanzielle Unabhängigkeit erreichen kann. Im Pariser Edelbordell entdeckt Bella ihr soziales Gewissen. Als es ihr dann zu Ohren kommt, dass ihr Ziehvater Baxter im Sterben liegt, kehrt sie nach London zurück, um dort endgültig mit ihrer einstigen Vergangenheit konfrontiert zu werden…
Giorgos Lanthinos erwies sich vom 2009er Regiedebüt „Dogtooth“ an als meisterlich im Sezieren neurotisch-sexueller Beziehungsgeflechte; seine schwarzromantische Sexhorrormär „Poor Things“ folgt dem Roman des Schotten Alasdair Gray, der wiederum als feministisch-humorige Überarbeitung des Frankensteinthemas von Mary Shelley vorab von der Literaturkritik gefeiert wurde. Die Verfilmung, ein visuell surreal-wuchtiger Bilder- und Kostüm-Trip, bekam im Vorjahr in Venedig den Goldenen Löwen zugesprochen – und beschert Lanthinos-Muse Emma Stone für ihre unerschrockene Performance die Rolle ihres Lebens. Mit „Poor Things“ steht uns schon jetzt einer der filmischen Höhepunkte des noch jungen neuen Jahres ins Kino; absolut sehenswert!
D: Emma Stone, Willem Dafoe, Mark Ruffalo, Ramy Youssef, Vicki Pepperdine, Christopher Abbott, Hanna Schygulla.


Im letzten Sommer
Frankreich ´23: R: Catherine Breillat. Ab 11.1. Wertung: **** Bild: Pyramide Films
Als Anwältin für Jugendrecht genießt Anne (Drucker) ihre Machtposition im Gerichtssaal und fühlt sich in der Rolle einer wahrheitsliebenden Kämpferin für die Rechte von Minderjährigen ideal besetzt. Dass der 50-jährigen ihr Langeweiler-Alltag an der Seite eines Spießbürger-Ehemanns (Rabourdin)  bisweilen auf die Nerven geht, hat sie in Absprache mit ihrem Gatten Pierre zu lösen versucht, indem man sich zwei kleine adoptierte vietnamesische Mädchen ins luxuriöse Domizil holen mochte. Da es Platz genug gibt, spricht wenig dagegen, dann auch noch den vorm Wegdriften auf die schiefe Bahn zu bewahrenden rebellischen Sohn aus Pierres erster Ehe zu sich zu holen. Théo (Kircher), siebzehn jahre jung, testet immer wieder aus, wie weit er gehen kann – und weil Anne dabei zunehmend ihre mütterliche Rolle vergisst, mit der sie sich ohnehin nie wohl gefühlt hat, findet sie sich alsbald in einer Affäre mit ihrem Stiefsohn wieder. Erst als Annes Schwester Mina (Courau) die beiden beim Rummachen ertappt, scheint die euphorisierte 50-Jährige aus ihren Wolke-Sieben- Traumtänzereien aufzuwachen und zu realisieren, auf was sie sich da eingelassen hat. Leichter gesagt als getan – schlussendlich landet das Liebesdrama vor Gericht und die Karriere der Anwältin steht auf der Kippe.
Nach zehnjähriger Regie-Pause hat die französische Filmemacherin Catherine Breillat ihrem Dauerthema Sexualität, Verführung, Wahrheit und Lüge ein neues Kapitel hinzugefügt – ohne die sich anbahnende Liaison ihres ungleichen Liebespaares zu skandalisieren oder zu beschönigen. In „Im letzten Sommer“ erweist sie sich als aufmerksame Beobachterin, bleibt die Kamera diskret auf den Gesichtern, wenn Anne und Théo sich nahekommen. Glaubwürdig besetzt, mitreißend inszeniert - Kino für Erwachsene.
D: Léa Drucker, Samuel Kircher, Olivier Rabourdin, Clotilde Courau, Serena Hu, Angela Chen.


Wie wilde Tiere
Spanien/ Frankreich ´22: R: Rodrigo Sorogoyen. Ab 11.1. Wertung: **** Bild: Lucia Faraig
Das als Idylle erträumte Landleben im Nordwesten Spaniens entwickelt sich für das aus Frankreich übersiedelnde Duo Antoine (Ménochet) und Olga (Fois) peu à peu zur Nachbarschaftshölle. Den alteingesessenen Bewohnern der abgelegenen kleinen galizischen Gemeinde sind diese Zwei suspekt, umso mehr, wenn sie sich so sehr von den Dörflern unterscheiden wie diese beiden Neuankömmlinge mit ihren Biogemüse-Ideen, ihrer Öko-Weltsicht und der stoischen Weigerung, einen Windpark in der Gegend aufbauen zu lassen. Vor allem in den Brüdern Xan (Zahera) und Lorenzo (Anido), die mit ihrer Mutter einen heruntergekommenen Rinderhof bewirtschaften, erwächst Antoine und Olga eine zunehmend offensiver zündelnde Feindschaft. Da sich der geistig beeinträchtigte Xan und der boshafte Lorenzo von den Windrädern den großen Reibach erhoffen, wird dem hünenhaften Antoine unmissverständlich gedroht: „Wir werden tun, was wir tun müssen“. Keine leeren Worte; nur wie schlimm es werden wird, ahnt niemand.
Den Konflikt lässt Filmemacher Rodrigo Sorogoyen verstörend eskalieren, dabei mehrfach die Perspektive wechselnd. Ebenso stilsicher wie pittoresk zeichnet er sein Bestie-Mensch-Drama, weiß die Regie die raue Berglandschaft und Natur Galiziens ebenso zu nutzen wie die Körperlichkeit der männlichen Hauptdarsteller. Die Dorfgemeinschaft hat dabei so gar nichts Gemütliches, sondern wird als ständige Bedrohung dargestellt – was Sorogoyens Provinzpsychothriller im Vorjahr zu Recht neun spanische Goya-Preise einbrachte.
D: Denis Ménochet, Marina Fois, Luis Zahera, Diego Anido, Marie Colomb, Machi Salgado.

15 Jahre
Deutschland/Österreich/Luxemburg ´23: R: Chris Kraus. Ab 11.1. Wertung: **** Bild: Dor Film West
Anno 2006 brillierte Hannah Herzsprung in „Vier Minuten“ als von psychischen Problemen dauergeplagtes Klavier-Wunderkind Jenny von Loeben. Obgleich unschuldig am Mord des Vaters ihres Freundes und schwanger, wurde ihr für diese Tat seinerzeit eine mehrjährige Gefängnisstrafe aufgebrummt, verlor Jenny dann sogar ihr Baby. Gut 15 Jahre später kommt sie im jetzt realisierten Kino-Nachschlag wieder frei – und mit ihr ihre psychischen Probleme, die sich nach wie vor in Gewaltausbrüchen entladen. Hoffnung könnte eine christlich-therapeutische WG bieten, bei der Jenny ein Zimmer bezieht. Doch dann wird ihr klar, dass jener ehemalige Lover, für den sie damals ins Gefängnis ging, inzwischen ein Star als Sänger und Entertainer Gimmemore (Schuch) ist.  Von Rachegelüsten überwältigt heckt die Klaviervirtuosin einen Plan aus, bereitet sich gemeinsam mit dem syrischen Musiker und Flüchtling Omar (Akkouch) auf einen Auftritt in Gimmemores TV-Show vor. Allerdings würde die radikale Umsetzung von Jennys Ideen deren aufkeimende Liebe zum neuen Bühnen- und Liebespartner aus Syrien komplett aufs Spiel setzen.
Mit einer auf Borderline-Syndrom gebuchten Hannah „Jenny“ Herzsprung in der schauspielerischen Rolle ihres Lebens, dem liebenswürdigen Hassan Akkouch als neuer Bühnen- und Liebes-Partner Omar an Jennys Seite und Albrecht Schuch als zynischer Popstar Gimmemore hat Filmemacher Chris Kraus sein Dreigestirn fürs Fortsetzungsdrama gefunden. Man muss „Vier Minuten“ nicht gesehen haben, um „15 Jahre“ als eigenständiges Psychodrama nachvollziehen zu können. Tiefgründig, emotional, ohne dabei auf die Tränendrüsen zu drücken – ein Programmkinojuwel.
D: Hannah Herzsprung, Hassan Akkouch, Albrech Schuch, Christian Friedel, Adele Neuhauser.

Animalia
Frankreich/Belgien ´23: R: Thomas Cailley. Ab 11.1. Wertung: **** Bild: Studiocanal
Niemand weiß, wie sich diese rätselhafte Krankheit besiegen ließe, der weltweit immer mehr Menschen zum Opfer fallen. Wen das unheimliche Virus erwischt hat, der verwandelt sich peu à peu in ein Tier. Ein Schicksal, das auch der Mutter Émiles nicht erspart bleibt – weshalb sich´s ihr Sohn (Kircher) nach dem zuvor gemeisterten Umzug der Familie in die französische Provinz vor den neuen Freunden als „gestorben“ verleugnet. Eigentlich sollte Émiles Mama ja zusammen mit weiteren Infizierten in ein therapeutisches Zentrum überführt und dort weggesperrt werden, doch der Transport verunfallte und die Kranken flüchteten ins naheliegende Waldgebiet. Für Émile und dessen Vater Francois (Duris), der an der Liebe zu seiner Frau festhält, ist´s naheliegend, vor Ort nach der Entkommenen zu suchen.  Bald lässt es sich nicht mehr unterdrücken, dass Émile wölfische Veränderungen am eigenen Körper und Verhalten entdeckt. Für Nina, eine an ADHS erkrankte Mitschülerin des Jungen, ist das dennoch kein Grund, auf Abstand zu gehen – ganz im Gegensatz zur Mehrheit der regionalen Bevölkerung. Die Allgemeinheit fühlt sich von den tierischen Kreaturen bedroht und holt zum massiven Präventivschlag aus.
Fantasy-Mär, Body-Horror, Coming-of-Age- und Vater-Sohn-Drama, Pandemie- und Fremdenhassverarbeitung – Regisseur Thomas Cailley mixt aus den unterschiedlichsten Erzählsträngen genreübergreifend ein mitreißendes Filmerlebnis.
D: Romain Duris, Paul Kircher, Adèle Exarcholoulos, Tom Mercier, Billie Blain, Nathalie Richard.
The Palace
Italien/Schweiz/Polen/Frankreich ´23: R: Roman Polanski. Ab 18.1. Wertung: **-zwei Punkte
Zum Jahreswechsel 1999/2000 gibt sich ein illustres Völkchen von mehr oder weniger bedeutenden, reichen oder nur schnöselig-nervigen Personen im Schweizer Palace Berghotel ein Stelldichein. Dass beileibe nicht jeder Gast den weltentrückten Ort wieder lebend verlassen wird, ist in Roman Polanskis neuester Menschen-im-Nobelhotel-Studie keinem Serienmörder oder Vampir geschuldet, sondern hat eher mit dem fortgeschrittenen Alter und den neurotischen Gelüsten der Eintreffenden zu tun – darunter etwa ein Milliardär, dem unter der Last seiner mehr als ein halbes Jahrhundert jüngeren voluminösen Gemahlin die Luft wegbleibt. Zwar heißt es, dass Regie-Legende Polanski zu besagter Jahrtausendwende höchst selbst in dem real existierenden Schweizer Luxushotel zugegen war, aber so sehr diese idealen Voraussetzungen für eine Satire nach gallig inszenierten Vorfällen schreien, beschränkt sich der Altmeister auf Klamauk. Schade!
D: Oliver Masucci, Fanny Ardant, John Cleese, Mickey Rourke, Sydne Rome, Bronwyn James, Joaquim de Almeida.

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