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Filme im Kino

MoX Kino-Tipps KW 5119.12.2023













Texte Horst E. Wegener

Perfect Days
Japan/ Deutschland ´23: R: Wim Wenders. Ab 21.12. Wertung: ***** Bild: Master Mind
Im Grunde führt Hirayama (Yakusho) ein ziemlich unspektakuläres Leben – und doch begleitet man ihn mit wachsendem Interesse durch seinen Alltag: Etwa um ihm beim gewissenhaften Putzen der stets blitzblanken öffentlichen Tokioter Klohäuschen zuzusehen, die oftmals hypermodern gestylten Kunstinstallationen ähneln; oder um ihm beim Abtauchen in klar umrissene Rituale und ungewohnte Freizeithobbies zu folgen. Man ahnt, dass dieser wortkarge Arbeiter um die Sechzig mit sich schon frühmorgens im Reinen ist, wenn er auf dem Weg zum Dienst eine seiner Kassetten mit Rockmusik-Klassikern der 1960er und 70er Jahre hört; beseelt ist er in der Freizeit erst recht beim Schmökern in einer seiner antiquarisch erstandenen Bucherwerbungen oder fasziniert vom geglückten Versuch, beim Fotografieren eines Baumwipfels mit der Analog-Kamera das Licht optimal einzufangen.
„Perfect Days“ bewegt sich in aller Seelenruhe durch die Alltagsschleifen dieses von westlicher Kultur begeisterten Tokioters.  Und während einen Koji Yakushos Schauspielkunst in ihren Bann zieht, konzentriert sich die Regie darauf, uns Einblick in Hirayamas Suche nach einem Alltagsleben in Zufriedenheit und dem Auskosten kleiner Glücksgefühle zu vermitteln. Wobei man vom europäischen Altmeister Wim Wenders keineswegs eine jener im westlichen Autorenfilm so angesagten Milieustudien über das beinharte Überleben eines älteren Vertreters der Arbeiterklasse erwarten sollte. Vielmehr entfaltet sich „Perfect Days“ als reinste Kinofantasie, zieht der bald achtzigjährige Filmemacher den Hut vor allem vor der von ihm verehrten japanischen Regiegröße Yasujiro Ozu. Beim Filmfestival in Cannes wurde das Ergebnis in diesem Frühjahr von der internationalen Kritik überschwänglich gelobt; 2024 soll die japanisch-deutsche Koproduktion für Japan ins Oscar-Rennen um den besten fremdsprachigen Film gehen.
D: Koji Yakusho, Arisa Nakano, Aoi Yamada, Tokio Emoto, Yumi Aso.


Monsieur Blake zu Diensten
Frankreich/Luxemburg ´23: R: Gilles Legardinier. Ab 21.12. Wertung: ** Bild: Universal Pictures
Die Auszeichnung als Unternehmer des Jahres ist Andrew Blake (Malkovich) ziemlich schnurz. Seit dem Tod seiner Ehefrau Diane steckt der Londoner Millionär in einer tiefen Sinnkrise. Kurzentschlossen schwänzt er das Galadiner zu  seinen Ehren, um sich stattdessen gen Frankreich abzusetzen - dorthin, wo er einst Diane kennen und lieben lernte. Im hübschen kleinen Schlösschen der Beauvilliers hält die pampige Haushälterin Odile (Dequenne) den Neuankömmling irrtümlich für einen Bewerber auf die offene Butler-Stelle, wird er von ihr in einem der Dienstbotenzimmer einquartiert. Und Blake lässt sich aus einer Laune heraus auf dieses Verwechselungsspielchen ein. Alsbald zeigt es sich, dass auch die Herrin des Hauses, Nathalie de Beauviellier (Ardant), seit dem Tod ihres untreuen Gatten zurückgezogen im Schlösschen mit ihren inneren Dämonen ringt, und von finanziellen Schwierigkeiten geplagt ist. Da das Anwesen demnächst in ein Feriendomizil umgewandelt werden soll, erscheint ihr ein britischer Butler trotzdem Sinn zu machen. Was Blake seinerseits Zeit gibt, peu à peu zu einstigen Stärken zurückzufinden und sich irgendwann zum Business Consultant zu mausern, der sich mit Rat und Tat einbringt.
Derweil schreckt Regisseur Gilles Legardinier vor keinem der hinlänglich bekannten Klischees bei solch einer Möchtegern-Feelgood-Komödie zurück – und mag sich nie entscheiden zwischen Culture Clash Klamauk, Gutsherren-Soap, Verlust-Drama; rätselhaft, was die Altstars Malkovich und Ardant über ihre Gage hinaus zum Mittun bewegt haben könnte.  
D: John Malkovich, Fanny Ardant, Emilie Dequenne, Eugénie Anselin, Philippe Bas, Christel Henon.


Girl you know it´s true
Deutschland ´23: R: Simon Verhoeven. Ab 21.12. Wertung: ** Bild: Leonine Studios
Westdeutschland in den 1980ern: Hitmusikproduzent Frank Farian (Schweighöfer) nimmt die dunkelhäutigen Tänzer Robert Pilatus (Njie) und Fabrice Morvan (Ali) unter seine Fittiche. Während die beiden von einer Gesangskarriere auf europäischen Bühnen träumen, will Farian sie lediglich als tanzende Marionetten einsetzen, überlässt er das Singen im Aufnahmestudio anderen. Da man diese Schummelei aber nicht publik macht, gelten Robert und Fabrice in der Öffentlichkeit schnell als durchaus gesangstalentiert. Kaum feiern sie mit ihrem ersten Hit „Girl you know it´s true“ nationale Erfolge in den Charts, meldet sich auch schon ein Plattenlabel aus den USA. Obwohl für das Milli Vanille-Duo der Traum vom Durchbruch auch jenseits des großen Teichs somit in greifbare Nähe rückt, hält Farian seine eigentlichen Sänger weiterhin geheim – was nicht ewig gut gehen kann…
Simon Verhoevens Film „Girl you know it´s true“ erinnert an einen der größten Skandale der Musikgeschichte der 1980er Jahre – im Stil einer Reportage, der inhaltliche Kürzungen gut getan hätten. Immerhin: Matthias Schweighöfers schmierig-unangenehme Frank Farian-Verkörperung ist sehenswert geraten.
D: Tijan Njie, Elan Ben Ali, Matthias Schweighöfer, Bella Dayae, Graham Rogers, Asley Dowds, Tijan Marci, Michael Maertens.


Black Friday for Future
Frankreich ´23: R: Olivier Nakache/ Éric Toledano. Ab 28.12. Wertung: *** Bild: Quad Films
Über den von Albert (Marmai) beabsichtigten Weiterverkauf eines zum Black-Friday-Preis erstandenen TV-Geräts, das der Schnäppchenjäger mit Gewinn an seinen Kleinanzeigenkontakt Bruno (Cohen) weiterreichen will, lernt man sich persönlich kennen. Stellt fest, dass der eine wie der andere total verschuldet ist – im Fall von Bruno kann der sich nicht mal mehr eine eigene Wohnung leisten, nächtigt nach Möglichkeit am Arbeitsplatz auf dem Flughafen. Alsbald beschließen unsere beiden Franzosen, künftig mit gemeinsam überlegten kleinen Schummeleien übern Tag zu kommen. Dazu beteiligen sie sich an Aktionen einer radikalen Umweltgruppe, die Albert auch schon bei deren Black Friday-Blockade vom Mediamarkt auffiel; vor allem der hübschen Anführerin Cactus (Merlant) wegen! Nicht ohne Hintergedanken schlagen Albert und Bruno den Aktivisten dann irgendwann vor, die Banque de France – vorgeblich als Symbol des umweltzerstörerischen westlichen Finanzkapitals - zu besetzten. Insgeheim hegt das Pleite-Duo die Hoffnung, im Rahmen der Bankbesetzung die vor Ort hinterlegten persönlichen Akten mit ihrer eindeutigen Negativbewertung manipulieren zu können…
Während das Regieduo Nakache/Toledano aus Situationskomik, Missverständnissen und zwischenmenschlichen Verwicklungen seine Mainstreamkomödie zusammenpuzzelt, bleibt jegliche Gesellschaftskritik arg zahnlos, zerfasert die Geschichte zusehends mehr. Insofern: allenfalls mäßig unterhaltsam.
D: Pio Marmai, Jonathan Cohen, Noémie Merlant, Mathieu Amalric, Grégoire Leprince-Ringuet.


Joan Baez – I am a Noise
USA ´23: R: Miri Navasky, Karen O´Connor, Maeve O´Boyle. Ab 28.12. Wertung: **** Bild: Alamodefilm
Anlässlich ihrer Abschiedstournee anno 2018/19 ließ sich Folk-Ikone Joan Baez von den Filmemacherinnen Miri Navasky, Karen O´Connor und Maeve O´Boyle  rund um die Welt begleiten. Und die seinerzeit fast 80-jährige gewährte dem Trio nicht nur Zugang zu den Konzerten, sondern nahm die Gelegenheit obendrein wahr, auch ihr wechselvolles Leben jenseits der Bühne zu reflektieren. Da wurde die Zeit der US-Bürgerrechtsbewegung und der Vietnamkriegsproteste von der früh aktiven Bürgerrechtlerin thematisiert, sprach die Musikerin mit einer durch jahrelange Therapie geschulten Offenheit über prägende Kindheitserlebnisse, das gespannte Verhältnis zu den Schwestern, die Abnabelungsversuche von den Eltern, die Ängste und Depressionen auslösten – und aus Sicht der Baez keinerlei belastbare Partnerschaften je ermöglicht hätten.
1959 hatte die junge, seinerzeit ziemlich unbekannte Baez in einem Folk-Club in Cambridge auf der Bühne gestanden; noch im selben Jahr sang sie auf dem Newport Folk Festival und wurde über Nacht zum gefeierten Star. Sie zierte das Cover des Time Magazine, teilte sich mit dem jungen Barden Bob Dylan Konzertbühnen und Bett - und betätigte sich immer öfter politisch.
Aufgrund ihrer langjährigen Freundschaft zur Filmemacherin Karen O´Connor profitiert die filmische Bio neben der Offenheit, mit der die Baez Auskunft über ihre Karriere und ihr Privatleben gibt, vor allem vom persönlichen Archiv der Portraitierten. So kann im Ergebnis aus Tagebuchtexten, O-Tönen auf Audiokassetten, Archivbildern, Gesprächen und Tour-Impressionen ein materialreiches Portrait der Queen of Folk entstehen.  
Doku.


Lola
Irland/GB ´22: R: Andrew Legge. Ab 28.12. Wertung: ****-vier Punkte Bild: Neue Visionen Filmverleih
Großbritannien gegen Ende der 1930er Jahre: Die beiden technikbegeisterten Schwestern Thomasina (Appleton) und Martha Hanbury (Martini) erfreuen sich an ihrer neuesten Erfindung: Einer Art Fernsehgerät, mit dem sich TV-, Radio- und Funkwellen aus der Zukunft aufschnappen lassen. Natürlich nutzt frau die Maschine zunächst vor allem privat, um sich musikaffin über kommende Trends und künftige Stars schlau zu machen. Während im London dieser Enddreißiger und frühen 1940er Jahre Jazz noch hoch im Kurs steht, hören sich Thom und Martha in der britischen Provinz schon Songs von Bob Dylan und David Bowie an. Andererseits ist´s für die beiden Schwestern bald auch Ehrensache, ihre Erfindung gegen die Nazis einzusetzen: Sie zapfen den zukünftigen Kriegsfunk der Deutschen an, um ihre gewonnenen Erkenntnisse an die heimische Militärführung weiterzugeben.  Anfangs erweisen sich diese abgehörten Meldungen der Möchtegern-Weltherrscher sehr zum Vorteil für die somit bestens informierten englischen Streitkräfte – wobei das Schaffen einer vorausschauend veränderten Zukunft in immer neue, wesentlich größere Probleme einmündet. Schon Doc Brown in „Zurück in die Zukunft“ wusste ja: Wer zeitreist, beachte und wahre stets das Raum-Zeit-Kontinuum. Und, na logisch, natürlich läuft Letzteres in Andrew Legges SciFi-Zeitreise-Thriler im Nu so sehr aus dem Ruder, dass nicht nur David Bowie vom Zukunfts-Maschinchen der beiden Schwestern ins alternative Nirgendwo verbannt wird, sondern sich bald ganz England damit konfrontiert sieht, dass die Nazis vor London aufmarschieren.
„Lola“ präsentiert sich uns als „Found Footage“-Werk, das im Jahr 2021 in irgendeinem Keller gefunden wird. Und beim Sichten der komplett in Schwarzweiß gedrehten, arg ramponierten wiederentdeckten Kopie lässt sich trefflich darüber nachsinnen, was alles passieren kann, wenn jemand auf den Lauf der Zeit Einfluss nimmt. Anspruchsvoll!
D: Stefanie Martini, Emma Appleton, Rory Fleck Byrne, Aaron Monagha, Shaun Boylan.

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