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Filme im Kino

„Der Firnis von Menschlichkeit ist sehr brüchig.“02.10.2019



Interview | Dieter Oßwald
Sein erster Kinofilm folgte zwei Jahre später mit Joseph Vilsmaiers „Comedian Harmonists“, wofür er mit dem Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. Den Bayerischen Filmpreis erhielt Noethen für die Rolle des Herrn Taschenbier in der Verfilmung von Paul Maars Kinderbuch „Das Sams“. Zu den weiteren Filmen gehören „Der Untergang“, „Das fliegende Klassenzimmer“, „Ein fliehendes Pferd“, „Oh Boy“ und „Das Tagebuch der Anne Frank“. Nach dem Roman von Siegfried Lenz inszenierte Christian Schwochow nun „Deutschstunde“, wo Noethen als autoritärer Landpolizist im Zweiten Weltkrieg auftritt, der seinem langjährigen Freund das Malverbot der Nazis überbringt. Mit dem Schauspieler unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.
   
DIABOLO: Herr Noethen, wo sehen Sie die Aktualität der „Deutschstunde“ für heute?
Noethen:  In der Zeitlosigkeit seines Stoffes. Die „Deutschstunde“ handelt von Pflichtbewusstsein und zwar in einer pervertierten Form, die dazu führt, dass persönliche und gesellschaftliche Beziehungen zerrüttet, vergiftet und zerstört werden. Das geschieht als Folge von faschistischen, rassistischen Zuständen. Die Parallelen zur heutigen Zeit mag sich jeder selbst erklären.
DIABOLO: Ist diese Aktualität ein entscheidender Faktor für Sie oder genügt Ihnen der Stoff als Klassiker?
Noethen:  Ich bin Zeitzeuge und bekomme Entwicklungen mit. Und ich möchte mithelfen, die Erinnerung an Geschehenes wach zu halten. Und Vergangenheit und Gegenwart sinnvoll zusammenfügen. Das empfinde ich als starke Aufgaben. Gleichzeitig bin ich jemand, der seinen Beruf gerne ausüben möchte. Deswegen war es mir sehr wichtig, erneut mit Regisseur Christian Schwochow und solch hervorragenden Kollegen zu arbeiten. Das sind ganz egoistische Gründe, aber dann macht ein Projekt – zusätzlich zur inneren Befriedigung – einfach auch Spaß.
DIABOLO: Können Sie sich noch erinnern, als Sie den Roman zum ersten Mal gelesen haben?
Noethen:  Wir hatten „Deutschstunde“ nicht im Schulunterricht, aber zu jener Zeit habe ich den Roman entdeckt. Zu Siegfried Lenz kam ich über „So zärtlich war Suleyken“. Aus diesem mehr humoristisch-anekdotenhaften Stoff bin in die „Deutschstunde“ gerutscht. Spannend fand ich dort das Lokalkolorit und die Schilderung der Typen. Diese literarische Auseinandersetzung eines Ich-Erzählers mit seiner Vergangenheit kannte ich so noch nicht.
DIABOLO: Wie fühlt man sich, wenn man einen Typen spielt, der auch das eigene Kind schlägt. Alles Schauspiel-Routine oder nimmt einen das doch ein bisschen mit?
Noethen:  Den Zuschauern geht das vermutlich mehr an die Nieren als mir, Für mich ist das zunächst einfach eine schauspielerische Aufgabe, die es technisch in den Griff zu bekommen gilt : wie macht man das, ohne dass einer der Beteiligten dabei zu Schaden kommt. Insofern erschüttert mich so eine Szene beim Spielen gar nicht so sehr. Aber nach Drehschluss gehen mir solche Szenen noch nach.
DIABOLO: Wie sind die Gefühle, wenn Sie sich in solchen Szenen auf der Leinwand sehen?
Noethen:  Mich erschüttert in diesem Film einiges, wenn ich mich sehe. Diese Prügel-Szene gehört sicher auch dazu.
DIABOLO: Benötigen Sie Schnittmengen mit Ihren Figuren?
Noethen:  Natürlich hat eine Figur immer mit mir zu tun und berührt mich irgendwie. Wie sie auch mit anderen Menschen zu tun hat. Ich glaube, dass Menschen zu unglaublichen Dingen fähig sind. Der Firnis von Kultur, Erziehung und Menschlichkeit ist sehr dünn und brüchig. Ich finde es eine größere Herausforderung, Menschen zu verstehen als sie zu verurteilen. Das heißt nicht, dass ich ihr Handeln billige, aber man sollte mit einem menschlichen Auge auf den Unmenschen schauen.
DIABOLO: Sie geben gern den Durchschnittstypen vor der Kamera. Was macht den Spießer reizvoll?
Noethen:  In den zurückliegenden Jahren durfte ich eine Reihe von ganz starken und überhaupt nicht durchschnittlichen Menschen spielen. Und wenn ich Allerwelts-Typen spielen kann, dann um so besser. Ich finde es jedenfalls nicht ehrenrührig. Und bei der Verwendung des Begriffes „Spießer“ wäre ich inzwischen sehr vorsichtig. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!

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