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Buch-Tipps
„James“ von Percival Everett04.12.2024
Interview & Foto: Thea Drexhage
MoX: Wovon handelt der Roman?
Klaus Modick: Es ist das Durchspielen einer Variante von Mark Twains „Huckleberry Finn“, einem der ganz großen Gründerromane der amerikanischen Literatur. Darin wird die Geschichte des Jungen Huck Finn erzählt, der vor seinem gewalttätigen, alkoholabhängigen Vater von zuhause flieht. Huck Finn landet auf einer dem Ort, in dem er lebt, vorgelagerten kleinen Insel auf dem Mississippi und versteckt sich dort. Parallel dazu flieht auch der schwarze Sklave Jim, der später seinen richtigen Namen, James, verraten wird. Dieser flüchtet, weil er verkauft werden soll. Er hat Frau und Kind und soll von ihnen getrennt werden. Auch er kommt auf diese Insel und dort treffen sich nun Huck Finn und James, freunden sich an und erleben zusammen all die Abenteuer, die in dem Roman von Mark Twain beschrieben werden. Everett hat nun aber den Spieß umgedreht und der ganze Roman wird, nicht wie bei Twain aus der Perspektive von Huck Finn, sondern aus der Perspektive von James erzählt, also aus der Sicht eines schwarzen Sklaven. Der sieht die Dinge natürlich ganz anders als ein Weißer. Es ist ein enorm spannendes Buch, wie es auch „Huckleberry Finn“ war. Bei Twain ist es so, dass sich die Wege irgendwann trennen, und dann wird natürlich nur noch die Geschichte von Huck erzählt, denn James (Jim) ist dann eine Weile nicht dabei. Bei James ist es entsprechend andersherum, und man erfährt, was ihm widerfährt.
MoX: Was hat Ihnen besonders gut gefallen?
Klaus Modick :Ich habe selten ein so gelungenes Buch über den furchtbaren Komplex von Sklaverei und White-Supremacy-Ideologie gelesen. Es ist spannend, es ist informativ und aufschlussreich über Verhältnisse, über die unsereiner im Detail nicht so viel weiß. Das wird aber nicht von oben herab aus einer historischen, besserwisserischen, weißen Perspektive erzählt, sondern von jemandem, der das durchleben musste. Zugleich ist es aber auch ein witziges Buch, denn eine der Grundideen ist folgende: die schwarzen Sklaven haben damals ein ganz depraviertes Englisch gesprochen, und jetzt hat Everett die geniale Idee gehabt, dass er sagt, dass die Sklaven diese Sprache selbst erfunden hätten und sie immer nur sprechen würden, wenn Weiße dabei sind, da diese wollen, dass ihre Sklaven dumm sind. Wenn die Weißen nicht in der Nähe sind, sprechen sie ein viel gepflegteres Englisch als das ihrer Herren, die nun die Dummen sind. Die Verhältnisse kippen also, und das zieht sich durch den ganzen Roman. Es ist ein Buch, das keine Wünsche offenlässt.
MoX: Wem würden Sie das Buch empfehlen?
Klaus Modick: Man muss sich schon für die Grundproblematik und die Geschichte des Rassismus insbesondere in den USA interessieren. Das ist ein Thema, das überhaupt noch nicht erledigt ist. Wenn man da auf eine sehr spannende und unterhaltsame Weise etwas Tiefgründiges erfahren will, dann ist das genau das richtige Buch. Es ist eine richtig spannende Geschichte, obwohl wir ja eigentlich alle wissen, was Huck Finn erlebt hat. Everett erzählt aber aus einer anderen Perspektive, und so wird die Geschichte radikal neu.
MoX: Wie haben Sie das Buch gelesen?
Klaus Modick: Wenn ich Bücher lese, besonders Belletristik, dann immer in gedruckter Form. Erfreulicherweise hat ja das Buch als Objekt die Attacke des Digitalen ganz gut verkraftet. Ich hatte schon vorher von diesem Buch gehört. Diesen Sommer war ich dann mit der ganzen Familie im Urlaub. Entweder meine Frau oder eine meiner beiden Töchter hatte das Buch mit, und ich habe da mal reingeblättert und habe es nicht mehr aus der Hand gelegt. Ich habe den Roman übrigens „nur“ im englischen Original gelesen und noch nicht geschaut, wie das in der deutschen Übersetzung gemacht wurde, denn einen Slang zu übersetzen ist bekanntlich schwierig.