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MoX-Kulturbericht: In die Tiefe gehen01.06.2022

Iris Wolff

Zum Abschluss des Landgang-Stipendiums stellte Iris Wolff ihren Text in Oldenburg vor.

Es regnete viel auf dieser Reise. Sie kaufte sich eine blaue Wollmütze, die sie die ganze Woche nicht mehr absetzte, auch nicht im Auto. Eine Erkältung holte sie sich trotzdem. Es waren klimatisch nicht die besten Bedingungen, unter denen die vielfach prämierte Schriftstellerin Iris Wolff im vergangenen Herbst ihr vom Literaturhaus Oldenburg vergebenes Landgang-Stipendium durch das Oldenburger Land antrat. Jetzt kehrte sie aus dem sonnigen Freiburg ins kühle Oldenburg zurück und stellte im PFL ihren Text „Ankündigung einer Reise“ vor. Die Veranstaltung wurde von Literaturhaus-Leiterin Monika Eden moderiert.
Iris Wolff wurde 1977 in Hermannstadt geboren und wuchs im Banat und in Siebenbürgen auf. 1985 emigrierte sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Herkunft und Identität sind ihre großen Themen. Für ihr bisheriges Werk und ihren Roman „Die Unschärfe der Welt“ erhielt sie 2021 den Preis der LiteraTour Nord. Das Landgang-Stipendium, so erzählte die Autorin, sei etwas ganz Besonderes. „Dass man eine Woche reist, dann schreibt, dann wiederkommt und liest, das gibt es in Deutschland kein zweites Mal.“ Der Text, den sie über diese Woche geschrieben hat, ist ebenfalls einzig. Er ist überdies poetisch und schön.
Was ist Heimat, was geschieht, wenn man das Vertraute verlässt, vielleicht verlassen muss? Welche Fluchtwege stehen den Menschen offen – und welche den Tieren? Iris Wolff ist in die Tiefe gegangen. Ein Hauch von Abschied liegt über vielen Zeilen, aber auch die Aussicht auf einen anderen Beginn.
Das Tiefe ist gleich am Anfang da, als Iris Wolff in den Keller des Landesmuseums Mensch und Natur hinabsteigt. Hier steht sie vor einem Aquarium und zählt die kurze Entfernung von einer Scheibe zur nächsten. „Womit verbringen die Fische ihre Zeit?“, fragt sie sich. Auf ihrer Reise wird sie weiteren Tieren begegnen. Den Kühen im Kuh-Altersheim in Butjadingen, den Störchen in der Storchenpflegestation Berne und den Katzen im Katzenhospiz „Muffin and Friends“ im Ammerland. Sie wird eine Spendenbox für die drei Einrichtungen basteln (und sie mitbringen und auf den Büchertisch stellen). Sie wird die Essenz des Unterwegsseins erkunden. Sie wird sich im Museumsdorf Cloppenburg an ihre eigene Kindheit erinnern, „als wäre ein Dorfleben überall ein Dorfleben“. Immer wieder gibt es diese Verknüpfungen zu selbst Erlebtem. „Dies ist der persönlichste Text, den ich je geschrieben habe“, bekannte die Autorin im Gespräch mit Monika Eden.
Sie wird sich in Delmenhorst mit der Geschichte griechischer Migrantinnen befassen, die in der Nordwolle-Fabrik geschuftet haben. „Ihre Geschichten ähneln heutigen Geschichten“, sagte Iris Wolff. In einem Buch über die Frauen sieht sie Bilder, die sie an ihre Großmutter denken lassen, „mit rauen Kitteln und rauen Händen“. Die Großmutter, die so viel gearbeitet hatte und zum Schluss Mickymausfiguren aus Plastik bemalte. Die als Deutsche aus Rumänien nach Deutschland übersiedelte, wo man sie für eine Rumänin hielt. Iris Wolff wird über Sprache sinnieren und sich vergegenwärtigen, wie ihre Großmutter auf einem Markt in Deutschland Zeller kaufen wollte und niemand dieses aus dem Banat mitgereiste Wort für Sellerie kannte. In Jever wird sie sich fragen, warum ein Bierhersteller einem ganzen Volk die falsche Aussprache einer Stadt hat beibringen können. Als aber abends die Glocken läuten, weiß sie, dass dies geschieht, damit das Fräulein Maria von Jever den Weg nach Hause findet. „Auch Reisen ist eine Wiederkehr“, beendete sie ihren Text, der auf 19 Seiten eine Region und eine Welt umfasst. „Wäre der Text ein anderer geworden, wenn es nicht so viel geregnet hätte?“, wollte Monika Eden wissen. „Bestimmt“, lächelte Iris Wolff. Wie gut, dass es so viel geregnet hat.

Text und Foto: Britta Lübbers

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