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Nahezu unsichtbar18.03.2022
Text und Foto: Thea Drexhage
Vor zwei Jahren hat das statistische Bundesamt mit dem Wohnungslosenberichterstattungsgesetz jedoch beschlossen, alle zwei Jahre eine Statistik über wohnungslose Menschen zu erfassen. Mit den Ergebnissen der ersten Zählung wird bis Ende Juni 2022 gerechnet. Die aktuellen Zählungen der BAG Wohnungslosenhilfe aus dem Jahr 2020 deuten an, dass 2020 etwa 256.000 Menschen (davon 78.000 Frauen) wohnungslos gewesen sind, von diesen lebten etwa 45.000 Menschen ohne jegliche Unterkunft auf der Straße.
Auch Oldenburg trägt seinen Teil zu dieser enormen Zahl bei. Reinhild Hagedorn von der Diakonie Tagesunterkunft in der Ehnernstraße betont dabei, dass sich die tatsächlichen Zahlen, gerade bei Frauen, nur schwer erfassen lassen. „Wir erheben Zahlen darüber, wer zu uns kommt. Zu uns kommen obdachlose und wohnungslose Frauen, Frauen in prekären Unterkünften und prekären Lebenssituationen, Frauen mit Beratungsbedarf und Frauen, die um Hilfe gebeten haben und auch Frauen, die nur den Aufenthalt für sich nutzen wollen, weil sie vielleicht mal obdachlos waren. Deswegen ist die Zahl, wenn ich diese nenne so zu betrachten, dass es vielerlei Frauentypen oder Spezifizierungen trifft. Wir hatten 2021 1099 Gäste bei uns im Haus, davon waren 267 Frauen, also liegt der Anteil bei 24,29 Prozent.
Außerdem erfassen wir noch, wie viele Neuanmeldungen wir unter den 1099 Gästen haben. Das waren in 2021 426 Neuanmeldungen, davon 114 Frauen.“ Diese Zahlen beinhalten nicht die Frauen, die aus verschiedenen Gründen, seien es Trennungen und Scheidungen, Ausbrüchen aus gewalttätigen Beziehungen oder aus finanziellen Gründen in Frauenhäusern oder auch in Angestelltenverhältnissen in Bordellen unterkommen. Was sich beobachten lässt, ist, dass Frauen nur selten allein auf der Straße zu finden sind. „Wenn man Szenegruppen beobachtet, kann man, allein daran wie die Leute stehen und wie Frauen sich dazu gestellt haben eine zweckorientierte Partnerschaft erkennen. Das bedeutet, dass sie nicht auf einer Basis geprägt von Zuwendung, Achtung und Wohlwollen entstanden ist, sondern zweckmäßig. Für die Frau bedeutet es etwas mehr Schutz. Wenngleich, dass muss man sagen, auch unter Wohnungslosen Menschen Partnerschaften da sind, die auf der Basis von Liebe, Würde und gegenseitiger Achtung bestehen.“, so Hagedorn.
Letzteres trifft zum Beispiel auf Anja S.* zu. Die junge Frau lebt seit fast 3 Jahren gemeinsam mit ihrem Partner und ihrem Hund in Oldenburg auf der Straße. Durch einen Todesfall in der Familie wurde das Haus, in dem auch die beiden lebten zwangsversteigert und eine neue, bezahlbare Wohnung konnte so schnell nicht aufgetrieben werden. „Wir sind natürlich bei der Diakonie und bei den Baugesellschaften gemeldet, aber da tut sich nicht viel. Es gibt sehr viele Obdachlose in Oldenburg und der Wohnungsmarkt ist ja bekanntlich nicht so toll. Viele Vermieter haben Vorurteile. Im Perso steht dann drin ‚Ohne festen Wohnsitz‘ und dann gibt es sofort Vorurteile, denn Obdachlosigkeit wird oft mit Alkohol, Drogen und Ähnlichem verbunden.“, berichtet die junge Frau. Schlafmangel, Angst, Erschöpfung und die oft fehlenden Duschmöglichkeiten machen es außerdem schwer, in so einer Situation Arbeit zu finden. „Ich habe zum Glück meinen Freund und meinen Hund und fühle mich sicher. Man geht nicht an eine schlafende Person dran, wenn da ein großer Hund daneben liegt. Gerade für Frauen ist es allein sehr gefährlich. Mir ist nie etwas passiert, aber einer Bekannten schon. Sie ist seit 5 Jahren hier in Oldenburg auf der Straße und hat schlimme Dinge erlebt. Sie wurde überfallen, ausgeraubt und Schlimmeres.“, erzählt sie. Für Anja S. ist es bedrückend zu sehen, wie in Gegenden wie dem Hafen immer mehr Luxuswohnungen gebaut werden, die sich kaum noch jemand leisten kann. Auch wünscht sie sich von der Stadt bessere Angebote für Obdachlose. „Das fängt schon bei Unterkünften nur für Frauen an. Ich bin schon durch viele Städte hindurchgekommen und es ist fast immer nur für Männer und das kann eigentlich nicht sein. In Oldenburg gibt es drei Angebote für Obdachlose, wo man halt duschen und waschen kann, aber ich persönlich geh da nicht gern hin, weil es wirklich eklig ist. Es wird dort kaum auf Hygiene geachtet, aber ich habe hier das Glück, dass mir oft von Leuten angeboten wird, die mich ein bisschen kennen, dass ich dort duschen und waschen kann.“, so Anja S.
Auch Reinhild Hagedorn bemängelt das Fehlen von Unterkünften nur für Frauen, vermutet aber, dass sich auch in diesem Bereich in nächster Zeit etwas in Oldenburg tun wird. Wie dies aussehen könnte, zeigt sich bei einem Blick nach Hamburg. Auf dem Campus der Hochschule für angewandte Wissenschaft befinden sich die Containerunterkünfte, die in Zusammenarbeit mit der Caritas entstanden sind. Dort haben 10 obdachlose Frauen die Möglichkeit, in Einzelunterkünften bleiben zu dürfen unter Betreuung der Studierenden der sozialen Arbeit. 10 Wohncontainer und zwei Badezimmercontainer bieten Frauen, die sonst durch alle Raster fallen, einen sicheren Unterschlupf. Neben den Studenten wird das Projekt betreut von Andrea Hniopek, die einmal die Woche Seminare für die Studis anbietet, wo es um Theorie und Organisation der Einrichtung geht. In der Praxis steht sie immer unter Rufbereitschaft für Krisensituationen zur Verfügung. „Ganz entscheidend ist, dass wir alle die Frauen aufnehmen, die aus anderen Einrichtungen rausgeflogen sind, oder gar nicht erst reinkommen. Sei es wegen psychischer Erkrankungen, Suchtproblemen, Prostitution und vor allem auch die nicht eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht. Zum Beispiel biologische Männer, die heute als Frauen leben werden bei uns seit 10 Jahren aufgenommen. Und dann haben wir hier vor allem die Frauen, die in Deutschland keine Leistungen beziehen können, weil sie aus dem Ausland kommen, aber nun mal hier leben und auch versuchen, hier Fuß zu fassen.“, betont sie.
Sollten Sie selbst betroffen sein und möchten ihre Geschichte erzählen? Dann melden Sie sich gern bei uns.
Hilfsangebote:
Diakonisches Werk: Güterstraße 3 in Oldenburg
Bahnhofsmission: Bahnhofsplatz Oldenburg (Mo. - Fr. 9:00 – 17:00)
Johanniter Kältebus: Bahnhofsplatz (Fr. 18:00-20:00 & So. 17:00 – 19:00 Uhr)
*Name aus Schutzgründen geändert.
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