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Verödung der Kulturlandschaft25.01.2022
Interview: Rosy Reichert
Foto: Rüdiger Schön
Großes Haus - ganz leer. Das war Anfang 2020 so. Jetzt sieht es eigentlich ähnlich aus? Freie Kulturschaffende hat es in der Existenz getroffen. Manch eineR hat der Kultur den Rücken gekehrt, weil das Leben mit Kurzarbeitergeld oder auch Arbeitslosengeld nicht mehr finanzierbar war und die Perspektiven mehr als ungewiss. Aber gibt es nicht eine Klassengesellschaft in der Kultur? Die Einen, die in Öffentlichen Einrichtungen arbeiten und keine Minderung ihrer Gehälter in Kauf nehmen müssen, die anderen, die in eher privatwirtschaftlich organisierten Häusern arbeiten? Muss nicht für freie Kulturschaffende so etwas ähnliches wie Kurzarbeitergeld eingeführt werden? Was muss sich ändern, damit die Kunst und Kultur nicht auf Gedeih und Verderb der Existenzvernichtung ausgesetzt ist? Darüber sprach Rosy Reichert Ende letzter Woche mit einem Kenner der Kultur weit über Oldenburg hinaus, mit Bernt Wach von der Kulturetage.
MoX: Was fehlt in Oldenburg? Was war gut, was war schlecht?
Bernt Wach: Was in der Kulturförderung fehlt, sei es in Oldenburg, sei es woanders, ist in erster Linie eine vernünftige strukturelle Förderung, die in der Kultur etwas Sicherheit schafft. Und die auch verhindert, dass die Schere zwischen der freien Kultur und der staatlichen Kultur immer weiter auseinanderklafft.
MoX: Die ist ja schon meilenweit auseinander!
Wach: Die ist schon meilenweit auseinander. Aber die geht immer weiter auseinander, zum Beispiel in der Kulturförderung wird mit Festbeträgen gerechnet. Oder wir kriegen Festbeträge von der Stadt oder vom Land. Aber so schnell, wie die Preise steigen, ist der Festbetrag nach zwei bis drei Jahren nur ein Teil von dem wert, was damals mal ausgehandelt wurde. Das heisst, irgendwelche Tarife gibt es in der freien Kultur nicht, weil wir ja im Grunde genommen eine bestimmte Summe von der Stadt bekommen und die wird von Jahr zu Jahr weniger. Das andere ist, dass die Stadt, der Bund und das Land ständig die Verantwortung für Kulturförderung von einem auf den anderen schieben. Der eine sagt, dafür sind sie nicht zuständig. Dass es anders geht, zeigen ja jetzt die Coronahilfen, die vom Bund laufen. Oder das Land sagt, wir sind nicht zuständig für die Einrichtungen, die auf kommunaler Ebene ihr Publikum finden. Wir möchten nur fördern, was das ganze Land betrifft. Aber die Kulturetage als Beispiel oder auch Pavel (Theater Laboratorium, Anm. der Redaktion), oder Dieter Hinrichs (Theater Hof/19) oder Winfried Wrede (theater wrede +) oder andere Initiativen, oder die Kunstschule ziehen auch Leute aus dem Umland und nicht nur die Oldenburger Bürger. Also genau wie beim Staatstheater ist es eine Aufgabe, die über dieStadt hinaus ausstrahlt und deshalb muss sich das Land daran beteiligen.
Die Stadt müsste ihre institutionelle Förderung auf einen Prüfstand stellen. Das will sie auch. Im Moment passiert durch Corona allerdings nicht ganz so viel. In den letzten zwei Jahren sind Ansätze gemacht worden mit Gutachtern usw. Aber um eine wirkliche Förderung zu machen, muss die Stadt mit den Kulturträgern auf Augenhöhe schauen, was ist notwendig und was geht wo? Und was ist vor allem an unbürokratischer Hilfe möglich. Wir sind oft mehr Verwaltungsapparat im Haus, und dieser Bereich erweitert sich immer mehr amstatt die Möglichkeiten für Kulturschaffende oder für Kulturorganisation. Wir haben eben eine große Sorge, dass wir über Anträge und Abrechnungen mehr Energie und Zeit verbrauchen mit immer neuen Auflagen, als die Energie für unsere eigentlichen Aufgaben aufwenden zu können. Wie kann es aussehen, dass das Geld wirklich die Künstler erreicht? Darum muss es doch gehen und nicht immer die Finanzabteilungen ausgeweitet werden müssen. Ich habe es bisher noch nie erlebt, dass die Bürokraten es geschafft haben, sich selbst an die Kandarre zu nehmen.
MoX: Nun bist Du Vertreter einer großen Kultureinrichtung. Aber wir haben ja auch die Probleme der vielen Einzelkünstler, der Freischaffenden. Die können wir heute wohl nicht erörtern... Das Geld fließt. Die Solidarität fließt auch – aber im Gegensatz zum Anfang der Pandemie fließt sie weg! Oder siehst Du das anders?
Wach: Dass die Pandemie dafür sorgt, dass eine Ermüdung und eine Resignation in diesem ganzen Bereich eintritt, ist glaub ich verständlich. Es gab eine ganze Menge Energien, was man alles machen könnte oder auch neue Formen und Wege gesucht wurden, um Kultur unter diesen jetzigen Bedingungen zu betreiben. Ich glaube, dass im Moment so etwas ist, als würde sich die Kultur ein bisschen um sich selbst drehen. Dass im Grunde nicht neue Entwicklungen stattfinden, sondern alle hoffen, dass es morgen etwas besser wird. Oder jeder macht seine eigene kleine Geschichte, wo er noch einen Zuschuss bekommt, bastelt ein neues Format, einen Streamingdienst oder was immer auch noch alles unterwegs ist. Was davon noch übrig bleibt, wenn diese Seuche nicht mehr den Alltag bestimmt, das wird sich erst zeigen, wenn wieder der Alltag eintritt.
MoX: Na ja, man hat schon den Eindruck, dass die Solidarität mit dem Aufkommen des Geldes vom Land, vom Bund mehr oder weniger verschwunden ist.
Wach: Es ist eine neue Konkurrenz entstanden. Und zwar um den Kampf um die Töpfe. Vorher war eine Konkurrenz um die Gunst des Publikums. Weil es entscheidend war, dass das Publikum sagte, zu dir gehe ich, oder da fühle ich mich wohl oder da gehöre ich dazu oder das ist mein Kreis. Oder dort entwickelt sich etwas, auch Neues und Interessantes. Jetzt werden bestimmte Formate davon abhängig sein, ob da irgendwelche Gelder aus Berlin fließen für irgendwelche Neuanfänge der Neustart Kultur. Und dabei geht es aber darum, gute Anträge für gute Programme zu schreiben!
MoX: Wieviele Freie hat es in ihrer Existenz getroffen?
Wach: Es ist noch mal ein großer Unterschied zwischen den Künstlern, die sehr bekannt sind und durch die ganze Republik reisen und denen, die vor Ort arbeiten. Die größte Zahl der Kulturschaffenden arbeitet unter Bedingungen, wo ein Einbruch natürlich an die Existenz geht, ja ein Großteil von Künstlern ist eben nicht in festen Anstellungsverträgen und kann auf Kurzarbeit gehen. Aber selbst die, die bei uns angestellt sind und in Kurzarbeit waren, die haben alle so wenig verdient, dass jetzt durch die Kurzarbeit das eben auch noch mal sehr deutlich geworden war.
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