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MoX-Laborbericht: Panierte Pappe?07.12.2021
Text: Horst E. Wegener
Wer sein Wiener Schnitzel liebt, dem dürfte es schwer fallen, jeglichen Fleischkonsum auch nur stark einzuschränken. Da fruchtet selbst das Argument wenig, dass Viehzucht, insbesondere Rinderhaltung als klimaschädlicher Emissionstreiber hinlänglich bekannt ist. Und in puncto Fisch sieht es ganz ähnlich aus – egal mit welch drastischer Wortwahl uns Wissenschaftler und Umweltschützer jene Probleme vor Augen führen, die der Menschheit durch Überfischung der Meere drohen. Begrüßenswert also, wenn rings um den Globus Startups und Konzerne fieberhaft nach Alternativen suchen. Mal angenommen, bei Fleisch oder Fisch aus dem Labor würde man keinen Unterschied mehr zwischen Retortenprodukt und Original herausschmecken können, käme das der Quadratur des Kreises unfassbar nahe. Allerdings sieht die Realität bislang zumindest noch anders aus: Wer schon mal eine dieser veganen Burgerfrikadellen probieren mochte, die Supermärkte und Discounter mittlerweile im Angebot haben, der weiß, wie sehr uns solche Fleisch- und Fischersatz-Happen geschmacklich an panierte Pappe erinnern. Das ist darauf zurückzuführen, dass vor allem die großen Player der Lebensmittelindustrie bei ihren pflanzlichen Ersatzkreationen auf Standardformeln schwören, man dieselbe faserige Masse aus Soja-, Weizen- oder Erbsenproteinen mit den immergleichen Gewürzen und Zusatzstoffen für alle möglichen Fertigprodukte versetzt.
Daneben machen inzwischen auch junge Unternehmen von sich reden, die mit kreativeren Ansätzen liebäugeln. In den USA experimentieren Startup-Firmen wie Memphis Meats mit veganen Geflügelhappen und Oceanhuggerfoods mit Fischstäbchen auf Tomatenbasis, beim Schweizer Betrieb planted favorisieren sie BBQ- oder Kräuter-Zitrone-Grillhähnchen auf Erbsenproteinbasis, die ihren Knusper der Extrudertechnologie verdanken. Bei der deutschen Neugründung Bettaf!sh aus Berlin ersetzt man Thunfisch durch Algen. In der Tat stecken in Meeresalgen und Thunfisch eine Reihe ähnlicher Stoffe, etwa die als gesundheitsfördernd geltenden Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B12, an dem es Menschen, die sich vegan ernähren, mitunter mangelt, aber auch Glutamatinsäuren, die im Mund jenen herzhaften Umami-Geschmack erzeugen, der uns in besonders konzentrierter Form aus Maggi-Flaschen bekannt ist. Weil sie kaufwilligen Bürgern aber keinen grünen Thunfisch vorsetzen wollten, schraubte das Berliner Bettaf!sh-Gründerduo Jacob von Manteuffel und seine Geschäftspartnerin Deniz Ficicioglu im Labor solange an der Farbe des Imitats, bis die Tüftler dank Paprika mit dem rötlich-braunen Schimmer des Endprodukts zufrieden waren. Und wer wissen will, wie der pflanzliche Nachbau schmeckt: In rund 4000 Aldi-Filialen (Nord wie Süd) lässt sich der vegane Tu-nah seit wenigen Wochen als Sandwich-Happen für 2,49 Euro erstehen. Beim Lübecker Startup Bluu Biosciences verfolgen derweil der Wissenschaftler Sebastian Rakers und sein Partner Simon Fabich den Ansatz, per Biopsie Fischzellen zu isolieren, um im nächsten Schritt diese sogenannten Stammzellen in Nährmedien wachsen zu lassen. Auf diese Weise entstehen peu à peu Fischfiletbröckchen. Versuche mit dem Fleisch von Lachs, Karpfen oder Forelle haben in Lübeck schon funktioniert.
Das größte Hindernis bei der Produktion von Laborfleisch oder –fisch, das Bluu Biosciences-Pionier Rakers eingangs überwinden musste, ist der Mortalität von Zellen geschuldet: Normalerweise können sich die biologischen Grundeinheiten des Lebens nur 20- bis 30-mal teilen, bevor sie sterben. Aus einer einzigen Zelle ließe sich somit niemals ein Filet kreieren, das aus Milliarden von Zellen besteht. Rakers gelang es, immortale Stammzellen zu isolieren, die sich unendlich häufig teilen. Zudem erkundete der Bluu Biosciences-Mann eine Alternative zu den gängigen Nährflüssigkeiten wie Kälberblut, in denen die Zellen wachsen sollen, indem der Tüftler auf einen Cocktail aus Bakterien und Algen auswich. Noch ist das Lachsfilet aus dem Reagenzglas Fernziel, da solch große Stücke in echt nicht nur aus Zellhaufen bestehen, sondern auch von Fettschichten oder Blutgefäßen durchzogen sind. Rakers Startup-Partner Fabich skizziert zwei mögliche Lösungsansätze: Ein 3-D-Drucker könnte verschiedene Zellschichten übereinanderlegen, alternativ ließe sich das Filet mithilfe eines biologischen Gerüsts aufbauen. Wenn man nun an die stetig wachsende Weltbevölkerung denkt, deren Heißhunger auf Fisch und Fleisch nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen Jahr um Jahr steigt, dann leisten Pioniere wie Bettaf!sh, Bluu Biosciences und Co. die begrüßenswertesten Beiträge, um dieses Problem in den Griff zu kriegen. Laut einer aktuellen Studie der gemeinnützigen Klima-Beratungsgesellschaft CO2 online könnte mithilfe einer pflanzenbasierten oder veganen Ernährungsweise pro Kopf und Jahr 1010 Kilogramm CO2 vermieden werden. Zudem bedeutet die Produktion von Fisch- und Fleisch im Labor, dass keine Tiere mehr gefangen und getötet werden müssen. Der Tag wird kommen, an dem selbst Veganer mit gutem Gewissen im Restaurant ein Filet Bluu bestellen könnten.
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