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MoX: Neues aus der Hauptstadt27.10.2021



Text und Fotos: Horst E. Wegener
Man kommt, sieht – und staunt. Wer am Stadtrand den Bezirk Wannsee ansteuert, egal ob als Berlin-Besucher oder Einheimischer, der ist auf der Suche nach ganz bestimmten Bildern, die einem in diesem äußersten Zipfel im Südwesten der Hauptstadt vermittelt werden sollen: Neben dem Blick aufs weitläufige Strandbad jener auf die Schlösser- und Seenlandschaft, inklusive dem Zauber einer von Großbürgern und Künstlern schon um das Jahr 1900 herum favorisierten Adresse, wie er kongenial von Impressionisten rund um Max Liebermann und Philipp Franck in deren Malerei festgehalten wurde. Als Urzelle des Ortsteils lässt sich neben der mondänen Villenkolonie Alsen die Fischerdorf-Idylle von Stolpe mit den reetgedeckten Häuschen am Rande der von Havel-Seen umschlungenen Insel Wannsee ausmachen. Auf der Suche nach einem möglichst pittoresken Mix aus mediterranem und märkischem Flair schauen wir heutzutage am besten bei Mutter Fourage vorbei, dieser Dreiseithof-Oase im Herzen des Wannsee-Kiez´. Hinterm Wohnhaus an der Chausseestraße erwartet einen ein kopfsteingepflastertes Paradies, das mit farbenfroher Pflanzenpracht lockt, hier werden südländische Stauden und einheimische Gewächse in Hülle und Fülle verkauft, stapeln sich Kürbisse, Terracotten und Keramiken. Rechts der „Feine Kost“-Bioladen und das Hofcafé zwischen Hortensien, Putten und bunten Schirmen, hinter dem hochaufragenden Taubenturm die denkmalgeschützte Kulturscheune mit ihrem einzigartigen Rautengebälk, Ort für Kleinkunst und Konzerte und links die großen Fenster der Galerie Mutter Fourage.
Der Initiator dieses Gesamtkunstwerks, Wolfgang Immenhausen, ein dezent gebräunter Mittsiebziger mit schlohweißem Haar und einem verschmitzten Lächeln in den Augen, hat nicht nur sein Arbeitszimmer über der Galerie. Auch dem gesamten Hofkomplex ist er von klein auf verbunden, weil seine Großeltern hier ums Jahr 1900 herum eine Futtermittel- und Kartoffelhandlung eröffneten – „Fourage“, auf Französisch „Futter“ prangt mittlerweile wieder als Werbeschriftzug auf dem Vorderhausgiebel. Als ihm seine Mutter gegen Ende der 1970er Jahre das Anwesen überantwortete, war Immenhausen als Schauspieler beim linksalternativen West-Berliner Grips-Theater aktiv. Dort gab es Umweltstücke wie „Dicke Luft“ oder „Wasser im Eimer“ – und der frischgebackene schauspielernde Hofbesitzer sah die Chance, aus grauer Theorie Nägel mit Köpfen zu machen.  Zusammen mit dem Grips-Kollegen Stefan Reisner und Unternehmer-Freund Lutz Peters beschloss der Öko-Aktivist einen der ersten Naturkostläden West-Berlins zu eröffnen und ihn mit kulturellen Aktivitäten zu flankieren. Um das Publikum auch auf Letzteres hinzuweisen, lag es nahe, Großvaters einstigen Fourage-Betrieb in Anlehnung an Brechts „Mutter Courage“ auf „Mutter Fourage“ zu taufen. Los ging es mit einem Pfingstkonzert 1978, gefolgt von Märkten, Konzerten, Kinderfesten, Lesungen, Theateraufführungen, Vernissagen. Das Kammermusik-Ensemble der Berliner Philharmoniker gab hier schon Konzerte, genauso wie regelmäßig gejazzt wird. Und im seit 1989 existierenden Hofcafé werden Leckermäulchen entweder bei Kaffee und Kuchen fündig oder sie probieren sich zum Mittagstisch durch regionale Köstlichkeiten, die dem kulinarischen Konzept, die Ursprünglichkeit der Lebensmittel zu erhalten, ebenso entsprechen wie die Vielfalt ungewöhnlicher Zutaten beeindruckt. Wer sich umsieht, dem könnte auffallen, dass die Gäste des Hofcafés weit weniger nach Ferien auf dem Bauernhof ausschauen, sondern eher nach Businessmittagspause. Verständlich: die Freizeit-Oase vor Ort regt die Fantasie mehr an als manch nüchterne Büroatmosphäre.   Seine beiden Gründungs-Kompagnons Reisner und Peters spielen schon seit Jahrzehnten keine aktive Rolle mehr beim Aushecken neuer Mutter Fourage-Visionen. Um nun auch selbst stressfreier zu leben, mochte Strippenzieher Immenhausen über die Jahre hinweg Bereich um Bereich an Pächter weiterreichen – zuguterletzt hat der allmählich auf die Achtzig zugehende Galerist, Verleger und Mitbegründer der Max Liebermann-Gesellschaft die Koordinierung von Galerie- und Kulturscheunenprogramm ans junge Duo Lea Gryze und Jens Kunath abgetreten. Mit etwas Glück kommen Besucher aber nach wie vor mit dem Mutter Fourage-Gründer ins Gespräch, erhalten Kunst-Interessierte eine Führung übers Gelände. Dann wird einem das Oeuvre des Wannsee-Malers Philipp Franck ans Herz gelegt, darf man die Raffinesse der spektakulären Zollingerholzdachkonstruktion der Kulturscheune aus nächster Nähe bestaunen, führt einen der Rundweg vorbei am vom Grips-Theatertischler gebauten Taubenturm, schlendert man durch den anno 1985 vom Gartenarchitekt Horst Schumacher konzipierten Galeriegarten mit seinen wechselnden Skulpturenausstellungen. Anschließend machen einem im Naturkost-Laden die ehemalige Biologin Dagmar Wohlgemuth von Reiche und der frühere Historiker Heribert von Reiche in ihrer Funktion als Betreiber-Duo des Biolädchens den Mund wässrig. Und bevor man dem Mutter Fourage-Areal kulinarisch gesättigt und kulturell erhellt Adieu sagen mag, lohnt auf jeden Fall noch das Vorbeischauen in Gärtnermeister Uwe Kühns Reich. Ein schöneres Entschleunigungsprogramm wird man so schnell nicht finden.

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