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„Überfahrt“ von Roman Ehrlich und Michael Disqué (Spector Books 2020)06.05.2021
Vorgestellt von Monika Eden, Leiterin des Literaturhauses Oldenburg
Mox: Wovon handelt das Buch?
Der Schriftsteller Roman Ehrlich und der Fotograf Michael Disqué verbrachten vierzig Tage auf einem Containerschiff, das von Hamburg nach Qingdao (China) fuhr. Das Buch, das aus der Reise hervorging, ist keine Dokumentation. Die teilnehmende Selbstbeobachtung der beiden Künstler fragt nicht nach Wetter, Menüfolge und Unterhaltungsprogramm. Das ungefähr dürften die Eckpunkte sein, die für maritime Pauschaltouristen von Interesse sind. Als „vollversorgte Freizeit“ bezeichnet der Schriftsteller das Höchstmaß an Komfort, Luxus und Entertainment, das Kreuzfahrtunternehmen ihren Urlaubsreisenden bieten. Das prägende Erlebnis an Bord des 365 Meter langen Frachtriesen ist jedoch die Ereignislosigkeit. „Im Vorfeld ihrer Reise“, heißt es im Text zu der gemeinsamen Fahrt auf dem Containerschiff, „haben die Passagiere eingewilligt, eine Fahrt zu unternehmen, die kein Abenteuer ist“. Der reibungslose Transport der Container darf nicht gefährdet werden. Deshalb sind alle an Bord Beschäftigten bestrebt, besondere Vorkommnisse und Störungen zu vermeiden. Die daraus resultierende Ereignislosigkeit wirft die Künstler auf sich selbst zurück. Sie lässt ihren Blicken und Gedanken Raum. Es sind Gedanken über den politischen Kontext des weltweiten Güterverkehrs, den Verlust der Festlandwirklichkeit und die brüchigen Mythologien der Seefahrt.
Mox: Wie haben sie das Buch gelesen?
Natürlich auf Papier. Bücher sind für mich immer auch haptische und ästhetische Ereignisse. Auf die Gestaltung des Umschlags, die Auswahl des Papiers und die Entscheidung, wie der Text gesetzt ist, möchte ich nicht verzichten.
Mox: Was hat Ihnen besonders gut gefallen?
Mit gefällt die Gestaltung des Buches. Passend zum Inhalt tritt es mit seinem Einband aus transparenter Folie wie ein Reiseführer auf. Schwarz auf Schwarz ist der Titel, sind die Namen der Künstler gesetzt. Und mir gefällt, wie Roman Ehrlich unseren Blick auf die Seefahrt relativiert. Das Bild von Schiffsreisen ist in der Literatur bisher überwiegend durch klassische Seefahrterzählungen geprägt. Die Realität sieht aber anders aus: Das Leben der heutigen Seeleute wird von der Reedereizentrale gesteuert. Alles Unberechenbare – was Stoff für eine Abenteuergeschichte böte – muss ausgeschlossen werden. Eine These des Essays besagt, dass den Seeleuten wegen der Gleichförmigkeit ihrer Arbeitstage und der Ereignislosigkeit an Bord die Stimmen versagen, wenn sie zurück an Land sind. Über den banalen Alltag der zeitgenössischen Seefahrt gibt es deshalb keine Erzählungen. „Überfahrt“ ist auch ein Versuch, dieser Leerstelle zu begegnen.
Mox: Wem würden Sie das Buch empfehlen?
„Überfahrt“ ist keine Roman, sondern eine vielschichtige Selbstbeobachtung. Das Buch erzählt keine spannende Geschichte. Es durchdringt sein Thema als literarischer Essay in sechs Kapiteln unter verschiedenen Fragestellungen. Deshalb spricht es vermutlich eher Leserinnen und Leser an, die Freude an der komplexen Darstellung von Sachverhalten und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen haben.
Mox: Was wissen Sie über den Autor?
Roman Ehrlich kam 1983 in Aichach zur Welt. Aufgewachsen ist er in Neuburg an der Donau. Er studierte an der Freien Universität Berlin und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sein Debütroman „Das kalte Jahr“ erschien 2013. Zuletzt wurden 2020 der Roman „Malé“ und das hier vorgestellte Buch veröffentlicht. „Überfahrt“ erschien bei dem Leipziger Kleinverlag Spector Books als Band #4 der Reihe Volte expanded, in der zeitgenössische Literaturen in ein Wechselspiel mit Bildern und Buchgestaltung treten. Nach „Theater des Krieges“ (2017) ist es das zweite Projekt, das Roman Ehrlich mit Michael Disqué für den Verlag realisierte.
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