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Rätsel gelöst? Historiker Harms sieht Tod des Gauleiters Carl Röver als Teil der NS-Krankenmorde14.05.2020
Text und Foto | Christoph Kienemann
Um den Tod des Oldenburger Gauleiters Carl Röver am 15. Mai 1942 rankten sich lange Zeit unterschiedliche Legenden. Der Oldenburger Historiker Ingo Harms kann nun in einem Beitrag für die Zeitschrift für Sonderpädagogik zeigen, das Röver ein Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde im Rahmen der Euthanasie wurde. Harms rekonstruiert die Krankengeschichte des syphilitischen Gauleiters und seine Überführung durch die beiden "Euthanasie"-Beauftragten Prof. Dr. Brandt und Prof. Dr. de Crinis von Ahlhorn nach Berlin. In der psychiatrischen Abteilung der Charité ermordeten sie Röver mit der Routine des professionellen Krankenmords.
Carl Röver war eine der wichtigsten Figuren der NS-Diktatur im Nordwesten. Zunächst stand er als Gauleiter an der Spitze des ‚Gaues‘ Weser-Ems später als Reichsstatthalter. Der Gau Weser-Ems umfasste dabei das Land Oldenburg, Bremen, Ostfriesland, das Emsland, die Grafschaft Bentheim, Osnabrück und das Osnabrücker Land. Bereits zu Beginn der 1930er Jahre hatte sich Röver als Hetzer des Nordens einen Namen gemacht. Am 16. Juni wurde Röver zum Ministerpräsidenten des Freistaates Oldenburg gewählt, nachdem die NSDAP mit 48,5 % der Stimmen eine absolute Mehrheit bei den Wahlen vom 29. Mai 1932 erreichen konnte. Röver war überzeugter Antisemit, Rassist und Antidemokrat. Der die nationalsozialistische Kultstätte Stedingsehre in Bookholzberg initiierte und sich für die Euthanasie-Praxis der Diktatur einsetzte.
Lange Zeit war unklar, wie genau Röver am 15. Mai 1942 ums Leben kam. Eine Lesart ging von einem natürlichen Tod infolge einer nicht auskurierten Syphilis aus. Die zweite Lesart ging hingegen von einer Ermordung Rövers, durch das NS-Regime selbst aus. Ingo Harms legte nun in einer Studie weitere Beweise für die Richtigkeit der zweiten Lesart vor. Der Historiker verweist darauf, dass der Gesundheitszustand Rövers sich in kurzer Zeit zu einer staatspolitischen Krise entwickelte. Am 13. Mai habe demnach die Gauleitung eine Krisensitzung abgehalten und das Reichssicherheitshauptamt in Berlin eingeschaltet. Dessen Leiter Reinhard Heydrich berichtete in der Folge, dass Röver an Paralyse (einer Spätfolge der Syphilis) erkrankt sei und davon rede, nach England zu flüchten. Aufgrund von Heydrichs Bericht sei in Berlin ein Interventionsteam aufgestellt worden, dem Karl Brandt (Hitlers Leibarzt) und Max de Crinis (Leiter der psychiatrischen Abteilung der Charité) und Oswald Arlt (Oberpfleger der Charité) angehörten. Das Trio transportiert Röver am 14. Mai in die Charité.
In der Sammlung Jaeckel des Medizinhistorischen Instituts der Charité befindet sich die Mitschrift eines Zeitzeugeninterviews mit Oswald Arlt. Letzteres wurde nun von Harms ausgewertet und mit anderen vorhandenen Quellen verglichen. Harms kommt zu dem Schluss, dass das Einsatzteam zunächst nach Osten in Hitlers Hauptquartier geflogen sei, bevor es weiter nach Oldenburg ging. Offenbar gab Hitler den Befehl für die Ermordung Rövers. Für Harms liegt das Motiv dabei auch in der zunehmend regimekritischeren Haltung Rövers. Letzterer verfasste noch vor seinem Tod eine Denkschrift, in der er die Politik Hitlers und die SS kritisierte. Allerdings mit der Erwartung, Hitler zu einem Umdenken zu bewegen. Die geäußerte Absicht, nach England zu fliehen und die verstärkte Paralyse ließen dann die Situation eskalieren. Da das Penicillin noch nicht erfunden war, stellte die progressive Paralyse ein ernst zunehmendes Problem dar, gerade auch, weil die Krankheit hohe Infektionszahlen aufwies. Die Krankheit kann dabei vor allem auch psychische Störungen hervorrufen, was wohl im Fall Rövers geschehen war. Dem Leitbild der NS-Medizin folgend, schlussfolgert Harms, sei Rövers Leben dann in der Charité beendet worden. Harms kann mithilfe der Quellen demnach eine Krankengeschichte Rövers darstellen, „die in entscheidenden Merkmalen den im klinischen Alltag der NS-Psychiatrie durchgeführten Krankenmorden entspricht.“
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