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128 Strophen Totenlied. Karen Köhlers Romanerstling “Miroloi”05.12.2019
Text | Horst E. Wegener
Das Setting von „Miroloi“, dem Roman-Erstling der 1974 in Hamburg geborenen Schriftstellerin Karen Köhler schildert ein mitunter vergleichbar ähnlich dystopisches Patriarchat. „Miroloi“ ist auf einer namenlosen Insel angesiedelt, auf der ein Ältestenrat und die sogenannten Bethaus-Männer das Sagen haben. Diese Männergesellschaft entscheidet über die Regeln des Zusammenlebens, gesteht sich selbst ganz machohaft alle Freiheiten zu, die man den Frauen strikt verwehrt. Wer eines der Gebote missachtet, endet am Pfahl in der Dorfmitte. Im Mittelpunkt der Geschichte dreht sich bei Köhler von Anfang an alles um eine namenlose Jugendliche, die als Findelkind einst von einem der Bethaus-Männer adoptiert wurde. Nach dem Ableben ihres Bethaus-Vaters gilt die Außenseiterin erst recht als Freiwild, ihr Geliebter wird zum Tod durch Steinigung verurteilt.
Der Name Miroloi bezeichnet ein Totenlied, das Köhlers Ich-Erzählerin für sich selbst in 128 Strophen besingt. Vorgetragen in einer märchenhaften Sprache mit poetischen Wendungen wie „Tausendaugen“, „Drübenversprechen“ oder „Lichtsammler“ verdichtet sich der Roman zusehends mehr zu einem politisch aktuellen Plädoyer für die Errungenschaften der Zivilisation, für Menschenwürde und Selbstbestimmung. Dem von manchen Kritikern beschworenen Eindruck, Karen Köhler mache es sich zu einfach, indem sie der geschichtlichen und politischen Festlegung ihrer Romangeschichte ausweicht, mag man nicht widerspruchslos beipflichten. Mehr noch überrascht der in diesem Zusammenhang geäußerte Vorwurf, zu scherenschnittartig sei die entworfene Inselwelt, wenig glaubhaft die Konstruktion eines vom zivilisierten Außen, der nicht allzu fernen Zukunft, so gänzlich abgeschotteten patriarchalischen Staates im Staate. Dem könnte man entgegenhalten, dass sich Köhler ab 2008 zunächst als Dramaturgin am Theater im Schreiben von Dialogen erfolgreich bewähren durfte. Nach einer Schauspielausbildung im Schweizer Städtchen Bern und einigen Festengagements brachten der Hamburgerin ihre obendrein ersonnenen Kurzgeschichten dann sowohl eine Einladung zum Lesen etwa beim renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis ein, als auch etliche Stipendien, Literaturpreis-Nominierungen und Auslandsaufenthalte. Eine Basis, von der aus man vortrefflich neue Kunstwelten ersinnen kann – die einem à la „Miroloi“, bei Licht betrachtet, weit weniger fern erscheinen als man das glauben möchte.
Karen Köhler
mit ihrem Romanerstling „Miroloi“
LiteraTour Nord
8.12. ab 11 Uhr
PFL, OL
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